Menschen

„Mein Glaube ist nicht die Kirche“

Gemeinschaft ist Stärke und zugleich eine Herausforderung, eine Lebensweisheit, die Manfred Sailer seit Jahren begleitet. Sein Glaube ist dabei ein wichtiger Motor, der ihm Zuversicht und Hoffnung gibt. „Der Glaube, die Kirche und ich, dieses Konstrukt zusammenzubringen ist nicht immer einfach“, erzählt er.

Sein Glaube an Gott ist stark. Der Glaube an die „Amtskirche“ wie er es nennt, allerdings nicht. „Es ist zu vieles vorgefallen und ich frage mich immer, wo bleibt hier die Nächstenliebe, das Wichtigste im christlichen Glauben?“

Manfred Sailer ist empört, wütend und in allem schwingt eine Enttäuschung mit, manchmal sogar Zweifel. Er hinterfragt und nennt die Dinge beim Namen oft so direkt und provozierend, so dass ihn manche als unbequem empfinden.

„Ich habe Interesse an der Gemeinschaft und die vielen Themen, die sich daraus ergeben. Deshalb ist es für mich auch selbstverständlich, mich da einzubringen. Man kann nicht nur fordern und erwarten und hoffen, dass andere das schon machen werden.“

Früher war er Vorsitzender im Dekanatsrat und in der Pfarrgemeinde in Füssen. Heute ist er im Pfarrgemeinderat „nur noch Mitglied“. „Es ist wichtig Platz zu machen für junge Menschen mit frischen Ideen“, so der 76-Jährige.

Der ehemalige Postbeamte lässt sich in keine politische oder gar gesellschaftliche Schublade pressen. Schließlich verkörpert er sein Lebensmotto „jeden so lassen, wie er ist, solange er niemandem damit schadet“, täglich.

„Die Kirche hat allerdings so viel Schaden angerichtet und hat im großen Maße versagt. Der sexuelle Missbrauch von Kindern in der katholischen Kirche wurde jahrelang vertuscht. Die Täter wurden geschützt, die Opfer nicht. Das darf es so nicht geben. Jeder, der ein bisschen emphatiefähig ist und ein soziales Empfinden hat, wäre den Opfern zu Hilfe gekommen. Diese normale und menschliche Regung ist den Amtsinhabern abhanden gekommen. Selbst Papst Benedikt hat seine schützende Hand über seinen Bruder gehalten. Er ist Mitschuld an der Vertuschung. So ein Papst kann kein Vorbild sein.“

Wir haben mit Manfred Sailer über seine Gedanken gesprochen, über die Gemeinschaft, das kirchliche Strafrecht und auch über die guten Taten der Kirche.

Sind Sie gläubig?
Ja, weil ich daraus viel Kraft schöpfen kann. Als ich den schweren Fahrrad-Unfall hatte und als meine Frau starb, hatte ich viel Zuspruch. Der Glaube vermittelt bestimmte Werte wie Liebe und Hoffnung und das tut gut, weil man in schwierigen Situationen nicht allein ist, man erträgt den Schmerz leichter.

Sind Glaube und Kirche unzertrennlich?
Nein, der Glaube hat nichts mit der Amtskirche zu tun. Es gibt auch die Gemeinde, das ist Gemeinschaft und das ist wichtig für mich.

Warum trennen Sie die Gemeinde von der Amtskirche?
Weil die Kirche, die sich leider jetzt so präsentiert, kein Vorbild für mich ist. Ich kann verstehen, wenn Menschen daran zweifeln und der Kirche den Rücken kehren. Natürlich weiß ich, dass dieses Problem des Missbrauchs nicht nur in der Kirche besteht.

Leider finden sich in Vereinen, im Sport, in der Familie und anderen Institutionen immer wieder solche nicht akzeptable, grenzüberschreitende Verhaltensweisen von Menschen. Es ist ein menschliches Desaster, ein Abgrund. Ich finde, dass es kein kirchliches Recht für solche schwerwiegende Taten geben darf. Es muss über das Zivilrecht gehen.

Die Kirche darf auf keinen Fall sich das Recht herausnehmen, das selbst zu bearbeiten und dann noch die Unwissende spielen und den Täter schützen. „Ich wasche meine Hände in Unschuld“, das hatten wir schon vor 2000 Jahren gehabt.

Haben Sie jemals daran gedacht aus der Kirche auszutreten?
Ja, das habe ich. Ich war enttäuscht, zornig und entsetzt. Aber dann habe ich länger darüber nachgedacht und kam zu dem Entschluss, dass, wenn ich austrete, gleichzeitig auch mein Recht abgebe, in der Kirche etwas zu verändern. Ein Austritt kommt einer Resignation zugleich und das hat mich davon abgehalten. Ich möchte mit meiner Stimme etwas bewegen. Selbstverständlich weiß ich, dass es nur winzig kleine Schritte sein werden, aber immerhin. Es sind Schritte in Richtung einer fortschrittlichen Kirche.

Die Kirche hat einen mächtigen Kratzer abbekommen und dennoch halten Sie fest an ihr, auch weil sie, wie Sie sagen, vieles Gutes bewirkt.
Ja, das ist richtig. Die Kirchen nehmen einen beachtlichen Teil der sozialen Aufgaben im Staat wahr. Sie unterhalten Krankenhäuser, Kindergärten, Schulen, Altenheime, Sozial- und Pflegestationen. Die Kirche engagiert sich in den Bereichen Bildung, Soziales, Kultur und Gemeinschaft.

Das dichte Netz sozialer und karitativer Dienste für bedürftige Menschen, der große Schatz kultureller Güter und Angebote oder das hohe Maß ehrenamtlichen Engagements zeigt sich besonders dort, wo Staat und Kirche zum Wohl der Menschen kooperieren. Das heißt auch die, die mit der Kirche nichts am „Hut“ haben, profitieren davon. Hier zeigt sich die Kirche solidarisch. Ich hoffe, dass unsere Kirche eines Tages auch ehrlich ist – zu uns und zu sich selbst.

Was tragen Sie dazu bei, dass die Kirche in Ihrer Gemeinschaft ein Ort des Miteinanders bleibt?
Das Gemeindeleben mitgestalten und dabei mitwirken wie zurzeit als Mitglied im Bau-Ausschuss zur Gestaltung und Ausstattung des neuen Begegnungszentrums in Füssen-West. Tolerant sein und andere Meinungen akzeptieren, aber vor allem ehrlich miteinander umgehen, dazu gehört es auch Dinge anzusprechen, die vielleicht nicht angenehm sind. Ich glaube, davor scheuen sich die meisten.

Vielen Dank für das Gespräch.
Ich danke Ihnen.

Text · Foto: Sabina Riegger

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