Menschen

Eine Auszeit für die Seele

Das Lechtal ist durch seine wilde Natur-Schönheit, vielen Wasserfällen und wunderschönen Seitentäler gesegnet. Die Seitentalgemeinde Hinterhornbach gehört auch dazu und liegt auf 1.101 Meter direkt am Fuße des Hochvogels (2.592m). In alten Zeiten war die Gemeinde besonders unter Schmugglern ein Geheimtipp. So konnte man schnell und meist ungesehen die Grenze nach Deutschland passieren und allerlei Brauchbares schmuggeln.

Heute sind genau diese Pfade als Wanderwege beschildert und ausgebaut. Da die Straße in dem kleinen Ort Hinterhornbach endet, bleibt die charmante Gemeinde von Durchzugsverkehr und Lärm verschont. Wer Ruhe und Erholung sucht, der ist hier genau richtig! Selbst in der Weltliteratur ist Hinterhornbach verewigt. Der Schriftsteller Ödön von Horváth lebte einige Zeit in Hinterhornbach. Sein kurzer Prosatext „Souvenir de Hinterhornbach“, der 1930 im Berliner Tagblatt erschien, wurde ihm von den Hinterhornbachern sehr übel genommen. Sie waren dermaßen verärgert, dass sie das Bauernhaus, in dem der Autor logierte, mit Kuhmist beschmierten und Horváths Text in der Kirche neben dem Weihwasserkessel in einer Vitrine ausstellten, sodass es jeder lesen und sehen konnte. Seine zu genauen Beobachtungen über das Dorf und die Menschen kam nicht gut an.

Für Jens Baur sind der Ort und insbesondere die Petersbergalm ein Traum, der wahr geworden ist. Er hat sich eine Auszeit genommen, genauer gesagt einen Monat, um auf der Alm zu arbeiten. Manche nutzen ihren Urlaub anders, nicht der Manager, der bei einer großen Schweizer Firma beschäftigt ist und in Ulm lebt. Der 45-Jährige wollte immer schon auf eine Alm, wo Tiere sind und den Alltag eines Almwirts leben.

Sie waren sich sofort sympathisch: Jens Baur mit dem Almwirte-Paar Elfriede und Karl-Heinz.

Es ist früher Abend. Auf der Petersbergalm ist Ruhe eingekehrt. Der Trubel vom Tag ist vorbei. Elfriede, die Almwirtin, ist noch am Küche putzen, so wie jeden Tag. Zu zweit putzen sie die Küche aus, jede Fläche wird gewaschen und desinfiziert. Ihr Arbeitstag ist lang. „Der Karl-Heinz ist im Stall mit dem Praktikanten“, sagt sie und deutet in die Richtung hinter der Hütte. Einen Praktikanten stellt man sich zwischen 16 und 25 Jahren, vielleicht ein bisschen älter, vor. Jens Baur steht mitten im Leben und jetzt im Kuhstall. „Ich bin gleich fertig“, gibt er zu verstehen, „dann können wir uns unterhalten“, sagt er. Er trägt eine Zimmermannshose, Gummistiefel und ein T-Shirt. Kurz darauf treibt er die Kühe aus dem Stall, sie werden auf die Nachtweide getrieben. „Ich bin gleich soweit. Ich muss nur noch kurz in den Schweinestall und dann duschen“, sagt er abermals. Almwirt Karl-Heinz schmunzelt und sagt im Dialekt: „Der ist richtig gut. Man merkt nicht, dass er Manager ist. “ Jens Baur ist bei der Firma Siga beschäftigt und ist für Zentraleuropa zuständig. In seinem Arbeitsleben ist er mindestens drei Tage in der Woche in ganz Europa unterwegs. Früh aufstehen kennt er und einen strammen Arbeitsalltag auch. Doch das, was er sich für seinen Sabbatical-Monat ausgesucht hat, ist ganz anders. Jens Baur kommt frisch geduscht und mit einem Stück Kuchen aus der Küche und setzt sich auf die Bank. Er erzählt, dass er sich schon letztes Jahr beworben hat und dass ihn seine Frau darin bestärkt hat. „Ich war schon überrascht, als ich die Bewerbung bekam. Aber die war wirklich ernst gemeint. Wir haben uns dann auch getroffen und ich habe ihm alles gezeigt“, erzählt Karl-Heinz. Abgeschreckt hat es Jens Baur nicht. „Ganz im Gegenteil. Das ist genau so, wie ich es mir vorgestellt habe. Ich hatte hier keinen Luxus erwartet, nur gehofft, dass es nette Chefs sind. Und das sind sie“, sagt er. Jeden Tag steht er um fünf Uhr auf und geht in die Ställe, mistet aus und melkt die Kühe. Erst dann wird gemeinsam gefrühstückt, bevor es wieder weiter geht. Erst vor wenigen Tagen hat er mit dem Sohn des Hauses, Bernhard, den Zaun gemacht. „Ab dem Mittag helfe ich dann in der Küche mit, bringe den Gästen das Essen und räume das Geschirr auf“, skizziert er seinen Arbeitsalltag. „Schau Dir mal seine Hände an, er hat schon Schwielen“, lacht Karl-Heinz. Jens Bauer wiegelt ab. „So schlimm ist das gar nicht, die sieht man ja kaum“, sagt er etwas verlegen. Die zwei mögen sich, das ist nicht zu übersehen. Sie haben Respekt vor der Arbeit des anderen, auch wenn sie sich damit ein bisschen necken. „Ich arbeite bei weitem nicht so viel wie die Beiden“, meint Jens Baur und zeigt auf Elfriede und Karl-Heinz.

Jens Baur treibt die Kühe auf die Nachtweide hinaus. So hat er sich seine Arbeit auf der Alm vorgestellt.

Die Familie von Jens Baur findet gut, was er macht. „Ich kann hier loslassen und mich auspowern, mein Kopf ist frei und ich bin glücklich. Meine Familie geht damit sehr gut um, sie kommen mich wieder besuchen. Ohne den Rückhalt von Ihnen hätte ich es nicht machen können.“ Der sympathische Praktikant erzählt über seine Familie, seine Frau, die ihm den Rücken freihält und wie dankbar er ist, weil nicht jede Frau das mitmachen würde. Nicht nur seine Auszeit, sondern auch seinen Job, in dem er viel unterwegs ist. Das Lechtal war ihm bislang nicht fremd. Verwandte seiner Frau leben im Lechtal und die Petersbergalm kannte er bereits. Die Frage, ob es ihm nichts ausmacht in der Küche zu arbeiten und den Gästen das Essen zu bringen und die Tische abzuräumen, verneint er. „Nein, das macht mir nichts. Es macht Spaß. Ab und zu muss ich schmunzeln, wenn mich Gäste mitleidig oder von oben herab anschauen. Gleichzeitig finde ich es auch schade. Es ist so unwichtig, was man für einen Beruf hat, wichtig ist doch die Leistung, die man erbringt.“ Das Zimmer von Jens Baur ist klein. „Es ist eher winzig und mehr Kammer als Zimmer“, sagt Elfriede. „Aber leider konnten wir ihm nichts anderes anbieten“, sagt sie entschuldigend. Für Jens Baur ist das ausreichend. „Abends bin ich sowieso so müde, dass ich gleich einschlafe. Mir tut das hier richtig gut.“ Eine Internetverbindung gibt es auf der Petersbergalm mittlerweile auch. „Das haben wir gebraucht. Die Gäste sind es gewohnt mit ihren Handys zu fotografieren und die Bilder gleich zu posten“, erzählt Karl-Heinz. Das digitale Zeitalter ist auch auf der Alm angekommen. Nicht mit großer Wucht, aber immerhin so, dass man von der Außenwelt nicht abgeschottet ist.

So gut es Jens Baur auch gefällt, Almwirt würde er nicht sein ganzes Leben lang machen wollen. „Es ist eine harte Arbeit, die Elfriede und Karl-Heinz machen. Sie tun es mit Leidenschaft, sonst würde das nicht gehen. Sie haben meinen vollen Respekt“, so der Siga-Manager. Bevor er auf die Alm kam, machte er erst einen Workshop in Kempten. Er lernte melken und andere landwirtschaftliche Arbeiten, die eventuell auf ihn zukommen könnten. „Das hat mir schon etwas gebracht. Ich war nicht unvorbereitet“, so Baur, der in seinem ersten Beruf Zimmermann war.

Keine Frage, hier oben auf 1.250 Metern, sieht die Welt schöner aus. Friedlich grasende Kühe, die Berge, das satte Grün der Weide … man möchte am liebsten hier verweilen und einfach dieser Stille zuhören. Ja, genau. Der Stille zuhören, um die eigene Ruhe zu finden. Dann erst kann man verstehen, warum sich Menschen eine Auszeit nehmen, um das zu erleben.

Text · Fotos:Sabina Riegger

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