Essen & TrinkenLeben

„Bei uns gibt es keine Bittsteller“


Im Gespräch mit Tafel-Leiter Jens Müller

Füssen. Mehr als 60 ehrenamtliche Mitarbeiter engagieren sich für die Tafel. Seit über zwei Jahren versorgt die karitative Einrichtung etwa 170 hilfsbedürftige Personen mit Lebensmitteln. Bislang wurde über die Arbeit der Tafel immer positiv berichtet. Zuletzt gab es allerdings einen negativen Pressebericht, die den Mitarbeitern der Tafel Unfreundlichkeit und schlechte Qualitätskontrolle bei den Lebensmittel vorwirft. Tafel-Kunden würden sich als Abschaum und Bittsteller vorkommen, erzählt ein Kunde, der seinen Namen nicht nennen will. „Wir bekommen Lebensmittel, die keiner mehr will“, so der 53-Jährige. Füssen aktuell konfrontierte den Leiter der Füssener Tafel, Jens Müller, mit diesen schwerwiegenden Vorwürfen.

Letztens gab es einigen Trubel um die Tafel beziehungsweise um die Lebensmittel, die dort angeliefert werden. Es wird behauptet, dass diese in keinem verwertbaren Zustand sind. Wie stehen Sie zu den Vorwürfen?

Es sind keine haltbaren Vorwürfe. Eigentlich ist die ganze Situation eher traurig und viele ehrenamtliche Mitarbeiter sind deprimiert über diese Äußerungen. Wir bekommen die Waren gratis und in einem guten Zustand. Der Käufer im Geschäft will sie aber nicht kaufen, weil vielleicht die Cornflakes Packung etwas angerissen oder die Banane ein wenig braun geworden ist. Die meisten Lebensmittel, die wir bekommen, wie zum Beispiel vom Wochenmarkt, sind eine 1a Ware.

Wie funktioniert das mit der Kontrolle der Lebensmittel?

Der Fahrer kommt zum Spender, sortiert grob aus und nimmt nach Möglichkeit alles Gute mit.

Warum nach Möglichkeit?

Weil eventuell an einer Weinrebe vielleicht einige Trauben kaputt sind. Wenn er jedes einzelne Obst kontrollieren würde, könnten die Kunden nicht zeitgenau bedient werden. Im Geschäft werden dann die Waren natürlich genau kontrolliert und nach ihrer Art sortiert. Das Gute kommt ins Regal zum Verkauf.

Anscheinend gibt es dennoch Lücken?

Die Frage ist letztendlich, was bezeichnet der eine oder andere als essbar? Wahrscheinlich habe ich eine andere Meinung, was für mich essbar ist und was nicht. Ich esse zum Beispiel auch eine Banane mit einem braunen Fleck, ein anderer nur Bananen, die gelb sind. Fakt ist, das alle Waren, die von den ehrenamtlichen Mitarbeitern ausgegeben werden, sie auch selber essen würden. Jedem von uns ist es schon mal passiert, dass wenn wir Kartoffeln, Zwiebeln, Erdbeeren, Kirschen oder Salat kaufen, dass vielleicht ein Stück davon faul ist und das obwohl wir vorher geschaut haben. In einem Sack oder einer eingeschweißten Packung ist das aber immer möglich. Jedoch gleich zu sagen, wir geben verdorbene Ware raus, ist gegenüber der Tafel und den Spendern eine, wie ich schon im Vorfeld sagte, deprimierende Aussage.

Gibt es abgelaufene Waren?

Ja, aber die geben wir nicht aus. Wir stellen sie auf mit dem Vermerk, dass sie auf eigene Verantwortung mitgenommen werden.

Was für Waren sind das?

Zum Beispiel Nudeln, Kekse, Kaffee oder Tee. Das sind Waren, die kurz über das Mindesthaltbarkeitsdatum, aber trotzdem voll genießbar sind und keine Qualitätseinbußen haben. Manchmal bekommen wir auch Tester, Parfums, Haarshampoos, da sind die Frauen dankbar dafür.

Es gibt auch die Kritik, dass die ehrenamtlichen Mitarbeiter unfreundlich sind. Wie sehen Sie das?

Wo gehobelt wird, fallen auch Späne. Jeder von uns gibt sich viel Mühe, dass er den Kunden sehr gut bedient. Man darf nicht vergessen, dass unsere ehrenamtlichen Mitarbeiter viel an Emotionen mit nach Hause nehmen. Es beschäftigt einen schon, wenn eine alleinerziehende Mutter kommt, Kinder zu Hause hat und sie irgendwie ernähren muss. Wenn alles bei uns schlecht wäre, warum kommen dann die Kunden? Man sollte schon die Kirche im Dorf lassen. Was mich an dieser ganzen Geschichte ärgert ist, dass man alle und alles in einem Topf wirft. Warum kommt keiner der Kunden zu uns und sagt: Der oder die ist das? Man kann doch nicht alles verallgemeinern und sagen: Alle Ehrenamtlichen sind unfreundlich und alle Lebensmittel sind verdorben. Ich kann mir gut vorstellen, dass einige unserer ehrenamtlichen Mitarbeiter sich persönlich davon betroffen fühlen.

Wäre es nicht besser anstatt Waren, nur Spendengelder anzunehmen, um damit die Lebensmittel selber zu kaufen?

Es entspricht nicht dem Prinzip der Tafel, es heißt ja verteilen statt vernichten. Sicherlich könnte man einen Einkaufsladen einrichten. Der muss dann aber täglich geöffnet haben. Dort können die Leute dann das einkaufen, was sie benötigen. Das muss aber ein Geschäft sein von einer Größe wie die großen Discounter, die wir alle kennen. Je nach Ware und Qualität muss dann der Kunde zwischen 10 und 20 Prozent des Verkaufspreises zahlen. Nur muss man dabei bedenken, die zuerst zum Einkaufen kommen, kaufen die beste Ware und die anderen bekommen das, was übrig bleibt. Die Aufteilung, die wir jetzt haben, ist gerechter, weil jeder die gleiche Wareneinteilung in gleicher Qualität erhält.

Aber jeder ist doch für sich selber verantwortlich, wann er einkaufen geht und ob er noch die Waren bekommt, die er braucht?

Das wäre die logische Konsequenz daraus. Aber in der Praxis sieht es anders aus. Dann heißt es zum Beispiel: Wir bekommen kein Mehl oder Nudeln. Keiner wird sagen: „Ich war zu spät und deswegen habe ich es nicht kaufen können.“ Um das zu vermeiden, müssten wir den Käufern vorschreiben, wie viel sie kaufen dürfen.

Würde sich so ein Einkaufsladen in Füssen rechnen?

Wahrscheinlich nicht. Man braucht viel mehr Leute, ein Kühlhaus, einen hauptamtlichen Leiter, der alles koordiniert, ein Kassensystem und vieles mehr. Prinzipiell wäre so ein Einkaufsladen gut, aber dazu braucht man mehr Kunden.

Kann man von dem Lebensmittelpaket der Tafel eine Woche lang leben?

Aber nein. Dass, was wir machen, ist nur eine Unterstützung. Sie müssen von sich selber ausgehen, wie viel sie in einer Woche verbrauchen. Wir sind kein Vollversorger und auch kein Feinkostladen.

Was meinen Sie mit Feinkostladen?

Wir haben in letzter Zeit immer wieder Anfragen von Kunden gehabt, die nach Lachs, Fischfilet oder anderen Lebensmittel fragen und sich auch dann beschweren, dass wir das nicht haben. Aber das sind nur Einzelne. Die meisten unserer Kunden sind dankbar und sehr freundlich.

Was passiert mit den Spendengeldern der Tafel?

Davon kaufen wir oft haltbare Lebensmittel wie Öl, Mehl, Zucker, Nudeln oder auch Reis ein, weil wir nicht so viel davon gespendet bekommen. Das Geld wird aber auch für die Unterhaltskosten wie Miete, Strom, oder auch Benzinkosten für die Fahrten genommen. Jeder von uns arbeitet freiwillig und kostenfrei, wir sind alle ehrenamtliche Mitarbeiter.

Vielen Dank für das Gespräch.

Ich danke Ihnen für das Interesse. Es ist uns allen sehr wichtig, das alles hier klarzustellen. Wenn es berechtigte Kritik gibt, sind wir gerne bereit, die auch anzunehmen. Wenn es einmalig ist, dann muss ich schauen, dass es nicht wieder passiert. Bei uns ist keiner Bittsteller, das sollte auch klar gestellt werden. Wir versuchen zu helfen.

Interview: rie

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