Menschen

„Vancouver wurde mir auf dem Goldtablett serviert“

Füssen.    An den Paralympischen Winterspielen in Vancouver – 12. bis 21. März 2010 – nimmt Christiane Steger aus Füssen teil. Sie ist „die Neue“ in der zuletzt überaus erfolgreichen Rolli-Curling-Mannschaft. Dieses Team könnte eine Medaille holen. Aber für Gold, Silber oder Bronze rollen bei den Paralympics-Wettkämpfen 2010 – das weiß auch die Curling-Newcomerin – zehn Top-Teams aus der gesamten Welt aufs Eis in British Columbia. „Für uns gilt der olympische Leitspruch“, betont die 34-jährige Athletin. Der heißt bekanntlich: „Dabei sein ist alles.“ Dass Christiane Steger einmal zum Kreis der offiziell nominierten Sportlerinnen und Sportlern für „die Spiele“ zählen würde, hat mit einer Wende in ihrem Leben zu tun. Von ihrer Erkrankung ließ sie sich nicht besiegen.

Es kann ein Verkehrsunfall sein, der von jetzt auf nachher einen Menschen „vom Fußgänger“ –
wie die Rolli-Curler sagen –
zum Rollstuhlfahrer macht. „Bei mir war es eine chronische Krankheit“, berichtet Christiane Steger in einer Trainingspause im Bundesleistungszentrum. Wenn andere Leute ihr verdientes Wochenende in aller Gemütlichkeit genießen, schiebt die Sekretärin an der m&i Fachklinik Enzensberg ihre „Sonderschichten“ auf dem Eis in Halle II. Gefühlvoll gibt sie einen Stein ab. Er soll vor dem Zielkreis zur Verteidigung dienen. Weil auch der zweite Stein nahezu optimal platziert ist, dreht Christiane Steger mit ihrem Rolli eine Pirouette. „Im Wettkampf bin ich hoch konzentriert. Da mache ich keine solchen Aktionen.“ Sie bezeichnet sich selbst als „sehr ehrgeizig“. Aber sie sei auch „ein lustiges Huhn“. Nicht zuletzt aber ist sie stolz auf das Trikot mit dem Adler auf der Brust. „Das ist schon ein angenehm prickelndes Gefühl, dass wir Curler aus Füssen und Schwenningen in Kanada die deutsche Nationalmannschaft sind.“

Beim Interview nach dem Training erzählt Christiane Steger in ihrer offenen Art: „Ich bin dreimal operiert worden.“ Die chronische Erkrankung raubte ihr nicht den Lebensmut. „Mein Mann ist mein großer Halt. Er ist mein Ruhepol. Er sieht es genauso wie ich: Eigentlich ist durch diese schwere Erkrankung gar nicht so viel passiert. Wir bleiben zusammen und genießen unsere Liebe. Ich bin ja noch lebendig. Mit dem Curling ist viel Positives in mein Leben gekommen.“

Die Rolli-Curlerin
wirkt quicklebendig

Lebensfreude drückt sich zum Beispiel auch dadurch aus, dass Christiane Steger der blonden Haarfarbe aus dem Vorjahr nicht unbedingt treu bleiben muss. „Bei Olympia trete ich so an wie im BLZ im Training: mit kurzen dunklen Haaren“, erklärt sie und verschenkt ein Lächeln.
„Ihr gelingt mit Talent und viel Ehrgeiz, sich zur Spitzensportlerin zu entwickeln. Als Persönlichkeit kann sie auch durch ihre natürlich-charmante Ausstrahlung punkten“, so charakterisiert man „das Küken“ im Team.
„Wir kannten die Christiane und mögen sie“, erzählt Trainer Helmar Erlewein aus Schwangau. Denn seine Lebensgefährtin arbeitet ebenfalls auf dem Enzensberg. „Ein Platz im Curling-Team, das sich für die Paralympics qualifiziert hatte, ist frei geworden. Daher haben wir sie direkt gefragt, ob sie beim Curling mitmachen möchte.“ Christiane Steger erinnert sich gut daran: „Das war im Obi. Da hat mir Helmar die Olympiateilnahme praktisch auf dem Goldtablett serviert.“ Christiane Steger musste dafür allerdings auch viel tun. „Um hier mithalten zu können, habe ich zusätzlich Einzeltraining bekommen. Das war hart. Für mein Privatleben blieb wenig Zeit.“ Doch auch ihr Mann sei der Ansicht: Es ist einfach eine Riesensache, bei den Paralympics aktiv dabei zu sein. „Was mich jetzt am meisten freut: Mein Mann fliegt nach Kanada mit.“ Vor der verbindlichen Zusage an Trainer Erlewein stand ein längeres Gespräch im Hause Steger. „Wenn es für dich gut ist, dann mach es auch. Ich stehe auf jeden Fall immer hinter Dir“, fasst Christiane Steger die unmissverständliche Haltung ihres Mannes zusammen. „Ein solcher Moment macht gemeinsam glücklich.“

Die Chemie stimmt

Die gebürtige Füssenerin lebte früher in Warstein, weil ihr Vater dort beruflich tätig war. „Meine erste Sportart war der Gardetanz. Dafür gibt es in Nordrhein-Westfalen Turniere, an denen wir auch teilgenommen haben. Als ich dann älter war, habe ich Tennis auf hohem Niveau gespielt. Sport war ein schönes Hobby. Das ist auch noch lang so geblieben, als wir nach dem Tod meines Vaters wieder nach Füssen gezogen sind. Mein Bruder hat hier die Tankstelle.“ Jetzt trägt sie auf der wichtigen Position als Lead Verantwortung für ein Curling-Team, dem nicht nur der heimische CC Füssen bei den Paralympics die Daumen drückt. Die Mitglieder der Nationalmannschaft gehören unterschiedlichen Vereinen an. „Unsere gemeinsamen Übungseinheiten finden daher oft an Wochenenden statt“, berichtet Christiane Steger. „Außerdem nehmen wir regelmäßig an Turnieren im Ausland teil. Gute Kontakte gibt es zur Schweiz. Wir waren jetzt auch wieder in Schottland.“ Sie sei durchaus reiselustig. „Aber mit dem Rolli sind manche Hotels auch besonders anstrengend.“ Vor allem gelte das fürs Badezimmer.“

Zuletzt war das Team viel unterwegs. Da ist auch Christiane Steger oft zu müde, um sich noch die Sehenswürdigkeiten und die Shops einer fremden Stadt anzuschauen. So bleibe man zusammen mit der Gruppe im und beim Eisstadion. „Curling ist wie Schach auf dem Eis. Mir gefällt dieser Mannschaftssport, weil es meist bis zum letzten Stein spannend bleibt. Der Stein bringt oft noch den Sieg. Mich fasziniert diese tolle Mischung aus Technik und Taktik. Mir sagt der Spirit of Curling zu. Alle sind vorbildlich fair auf dem Eis. Das ist im Leistungssport eher selten zu finden.“
Beim Rolli-Curling sind Frauen und Männer in einer Mannschaft. „In unserem Mixed-Team stimmt die Chemie“, so Christiane Steger. „Ich bin spontan. Das kommt hier gut an.“ So legt sie im Training im BLZ schon mal ein flottes Rolli-Tänzchen mit den Sportkameraden hin. „Wenn es aber darauf ankommt, bin ich hundert Prozent konzentriert.“ Sie traut sich zu, den starken Druck im Wettkampf auch bei den Paralympics auszuhalten.

Besonders wichtig für das körperliche Wohlbefinden sei fürs Team, dass mit Marion Demeter „unsere Füssener Physiotherapeutin“ wieder dabei ist.

Text/Bild:bh

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