Menschen

Leben zwischen zwei Kulturen

Frauen in Deutschland

Füssen.     Sie leben hier seit vielen Jahren. Es sind Migrantinnen, die in Deutschland ihre neue Heimat gefunden haben. Ob nun als Tochter oder Enkeltochter der ersten Gastarbeiter-Generation, Studierende oder Reisende. Die meisten dieser Frauen sprechen ein gutes Deutsch und nutzen das Wissen beider Kulturen. Es sind emanzipierte Frauen, die wissen, was sie wollen. Füssen aktuell hat sich mit Imelda Wurm, Giselle Thurm  und Öznur Özata unterhalten. Sie erzählen von Deutschland, von ihren Erfahrungen und wie sie die deutsche Mentalität empfinden.

Imelda Wurm
Imelda Wurm  ist seit 34 Jahren in Deutschland. Als sie ihren Mann kennen lernte, war sie 22 Jahre alt und studierte Betriebswirtschaft in ihrem Heimatland, den Philippinen. Ihre Eltern, ein Hochbauingenieur und eine Lehrerin, ließen ihre Tochter nach Deutschland in eine ungewisse Zukunft gehen. Für Imelda Wurm war das alles aufregend. „Es war November, als ich nach Füssen kam. Was mir als Erstes auffiel: Kaum einer lächelte. Vielleicht war das Wetter daran schuld“, meint die 55-Jährige heute lächelnd. Imelda Wurm war mutig, vielleicht aber auch naiv, wie sie selber meint, als sie den Weg nach Deutschland nahm. „Ich war noch nie von zu Hause weg. Ich bin einfach ins kalte Wasser gesprungen und hatte eine rosarote Brille auf. Nach zwei Wochen hatte ich Heimweh, die Sprache war ein Hindernis.“ Heute ist die Sprache schon längst keine Barriere mehr. Sie spricht fließend Deutsch und hat sich bestens in Deutschland eingelebt. Sehr hilfreich waren ihr dabei die Schwiegermutter und die Freunde ihres Mannes. „Meine Schwiegermutter war sehr streng, aber immer sehr liebenswert zu mir. Sie nahm mich überall mit: mal auf Kaffeekränzchen, dann wieder zu einer Kaffeefahrt oder einem Faschingsball. Heute muss ich darüber lächeln. Ich, als
22-jähriges junges Mädchen mit der Schwiegermutter auf Achse. Sie sprach kein Englisch und ich kein Deutsch. Gut, dass wir unsere Hände hatten, die wir gestikulierend zu Hilfe nahmen. Sie brachte mir übrigens auch die Zubereitung der Mehlspeisen bei“, erzählt die dreifache Mutter. Für Imelda Wurm ist es eine Bereicherung, beide Kulturen leben zu können. Sicherlich kommt es auch vor, dass manchmal die Sehnsucht nach dem Heimatland überhand nimmt – aber dann sind es Tage, an denen sie etwas melancholisch oder vielleicht auch wütend ist. Für immer auf den Philippinen zu leben, das kann sich Imelda Wurm gar nicht mehr vorstellen und erklärt es so: „Es sind einfach zu viele Jahre vergangen als dass ich mich ganz wohl fühlen könnte. Ich habe mittlerweile beide Kulturen in mir, so dass ich immer die eine vermissen würde.“  Als Ausländerin fühlt sich die zierliche Frau ganz und gar nicht, schließlich ist sie in Deutschland vor vielen Jahren angekommen. Sie hat es geschafft, eine Brücke zwischen diesen beiden Kulturen zu schlagen.

Giselle Thurm

Der Traum vom Eiskunstlaufen hat Giselle Thurm im Alter von 18 Jahren nach Deutschland in die Nähe von Köln gebracht. Giselle Thurm kommt aus Brasilien, dem multikulturellen Staat in dem viele verschiedene Nationalitäten ein neues Zuhause fanden. Es ist ein lebendiges Volk, ein Volk, das Musik und den Tanz liebt. 1984/85 war Giselle Thurm brasilianische Meisterin im Eiskunstlaufen. Kaum vorstellbar im Land des Samba. Sie drehte ihre Pirouetten auf den Eisflächen der großen Einkaufszentren, die von „Holiday on Ice“ gemacht wurden.  „Die Macher des Holiday on Ice verdienen viel Geld damit. Aber sie wollen sich keine Stars aus Amerika oder Europa leisten, weil sie ihnen zu teuer sind. Ich wäre auch fast zu „Holiday on Ice“ gegangen, weil man sich durch das viele Reisen die ganze Welt anschauen kann. Doch ich bekam die Möglichkeit, nach Deutschland zu gehen und hier zu trainieren. Ich wollte Sportlerin bleiben“, erzählt die 41-jährige. Durch einen Deutschen, der in Brasilien lebte, entstand der Kontakt zur Deutschen Eislaufunion, der die junge Eiskunstläuferin und einen anderen Eiskunstläufer für ein halbes Jahr nach Deutschland einlud. Giselle Thurm brach das Studium ab und vertröstete Eltern, Freunde und Freund, dass sie ja bald wiederkäme. Im Februar kam sie nach Wiehl, einer kleinen Stadt in der Nähe von Gummersbach. Die Trainerin des damaligen deutschen Meisters Richard Zander wollte sich um sie kümmern. Doch leider Fehlanzeige. Keiner kümmerte sich um die beiden jungen Talente aus Brasilien. Durch Zufall und viel Glück kamen die zwei nach Füssen und wurden von Walter Hofer trainiert. Hofer war ein Spitzenmann, der internationale Eiskunstläufer betreute. „Ich durfte hier umsonst wohnen und das Eis benutzen. Dafür hielt ich das Haus der Sportler, in dem ich auch wohnte, sauber, und kümmerte mich um die Kinder, die den Sommer über in die Eishockeyschule kamen.“ Deutsch war allerdings für die Brasilianerin ein große Hürde. „Ich konnte mich mit Deutsch nicht anfreunden. Die Sprache hatte nichts weiches Melodisches an sich, sie hörte sich so hart an. Ich wollte sie einfach nicht lernen“, erzählt sie. Um die Trainerstunden zu finanzieren, bewarb sie sich im Hotel Rübezahl als Küchenhilfe. Dass sie gerade da ihr neues Zuhause fand, hätte sie nie für möglich gehalten, schließlich wollte sie ja ihrem Sport treu bleiben und wieder zurück nach Hause. Doch die Liebe war stärker und Giselle Thurm heiratete und wurde gleich Mutter von zwei kleinen Kindern. Der Anfang war alles andere als einfach. „Für mich war es eine große Herausforderung. Manchmal habe ich mich über die vielen Klischees  gewundert, die man so über die Brasilianer hatte. Leider haben viele hier immer noch ein falsches Bild von Brasilien und den Brasilianern.“
Wenn man wie Giselle Thurm aus Rio de Janeiro kommt, vermisst man den Trubel, das Temperament dieser Großstadt. „Ich habe anfangs die Schönheit des Allgäus gar nicht wahrgenommen, weil ich die Großstadt so vermisst habe“, erzählt sie offen. Heute ist das alles anders. Sie schätzt vieles an der deutschen Mentalität. Zum einen die Pünktlichkeit oder auch die Zuverlässigkeit, die es so in ihrem Heimatland nicht gibt.
Alexander, der 14-jährige Sohn, spricht fließend Portugiesisch. Für Giselle Thurm war es wichtig, dass ihr Sohn mit beiden Kulturen und somit auch mit beiden Sprachen aufwächst. „Man fängt an, die Heimat mit anderen Augen zu  sehen….aber nie ohne viel Liebe. Es gibt viele schöne Sachen bei uns in Brasilien und auch in Deutschland. Aber man kann nicht aus zwei schönen und verschiedenen Ländern ein drittes machen. Aber man kann beides miteinander verbinden und leben. Das ist, glaube ich, das Wichtigere.“
 
Öznur Özata

Öznur Özata gehört zu der ersten Generation der Gastarbeiterkinder in Deutschland. 1970 kamen ihre Eltern aus der Türkei, um hier zu arbeiten. Sie wollten Geld verdienen für ein besseres und angenehmeres Leben in ihrem Heimatland. Die ganze Kultur mit Tradition und Religion haben sie mitgebracht – ein Stück Heimat in einem fremden Land. „Akzeptiert wurden sie nie so richtig“, erzählt Öznur Özata, „sie sind immer Ausländer geblieben.“

Die junge Mutter ist in Füssen geboren. Sie ist Deutsche mit türkischer Abstammung, wie man heutzutage sagt. Deutsche Freundinnen hatte sie kaum. „Man blieb unter sich. Diese Freiheiten, wie sie die deutschen Mädchen haben, haben wir nie gehabt – obwohl ich mit meinen Geschwistern von unseren Eltern liberaler erzogen wurde. Wir durften schwimmen gehen oder auch mal abends weggehen.“  Zu Hause wurde generell nur Türkisch gesprochen – und heute? „Es hat sich nicht viel daran geändert. Wir sprechen nur Türkisch daheim – auch mit meinen Kindern. Sie sollen unsere Kultur und Sprache nicht vergessen“, so Öznur Özata. Ihr kleiner Sohn hat Deutschprobleme. Im Kindergarten konnte er sich nicht verständigen. Mitt-lerweile hat Öznur Özata ihrem Sohn einige wichtige Sätze in Deutsch beigebracht. Obwohl die junge Frau nach türkischen Verhältnissen modern ist, spielt Tradition eine wichtige Rolle im alltäglichen Leben. „Eine Frau ist im moslemischen Glauben für die Erziehung der Kinder verantwortlich. Sie pflegt die Tradition und passt auf, dass die Kinder den richtigen Weg gehen.“ Für Öznur Özata ist das Leben zwischen zwei Kulturen anstrengend. „In der Türkei sind wir die Alemanci und hier sind wir die Türken. Da ist es schwierig, den Mittelweg zu finden“, argumentiert sie. Manchmal wirft sie ihren Eltern vor, dass sie nach Deutschland gekommen sind. Wären sie in der Türkei geblieben, wären sie vielleicht nicht in den 70er Jahren stehen geblieben. „In der Türkei sind die Frauen und Mädchen viel freier. Sie sind den Fortschritt weiter gegangen. Wir hier sind streng erzogen worden. Unsere Eltern sind in der Zeit stehen geblieben als sie nach Deutschland kamen. Sie passten auf, dass wir nichts Deutsches annehmen, die Mädchen die Ehre der Familie nicht verletzen… „
Ghettos oder Viertel, in denen nur Türken leben, findet die 31-jährige nicht fördernd. „Wie soll man sich integrieren, wenn man in einem türkischen Viertel lebt? Man spricht Türkisch, man lebt türkisch – da kann man nicht viel von Integration sprechen.“

Als Kind lebte Öznur Özata in „Klein Istanbul“, wie das Türkenviertel in Füssen heißt. „Es war wie im Urlaub. Man trug das Essen raus und aß gemeinsam, die Kinder hatten immer jemanden zu spielen. Manchmal gab es auch Randale, dann musste die Polizei einschreiten. Ich denke jetzt ist es schlimmer. Die Jungs sind arbeitslos, sie trinken, nehmen Drogen, da sind Schwierigkeiten vorprogrammiert.“ Für die Deutsch-Türkin wäre eine Beziehung mit einem Deutschen nie in Frage gekommen. Dafür wären die Mentalitäten zu verschieden als dass eine harmonische Partnerschaft daraus entstehen könnte, erklärt sie. Warum die türkischen Frauen oft kein oder ein schlechtes Deutsch sprechen, erklärt sie so: „Die meisten leben im Viertel, wo soll man da die andere Sprache lernen? Ein weiterer Punkt ist, dass viele dieser Frauen als Putzfrauen oder Fabrikarbeiterinnen beschäftigt sind – also keinen wirklichen Kontakt zu Deutschsprachigen haben.“ Wie ist also das Leben als Deutsche mit türkischer Abstammung in Füssen? „Ich lebe gerne in Füssen. Hier gibt es keine Diskriminierung, in Großstädten wird das wohl anders sein. Meine Mutter trägt ein Kopftuch, da wird sie schon ab und zu komisch angeschaut. Meine Meinung: Man kann zusammen leben, aber beide Kulturen verbinden? Mir fällt das schwer. Ich muss das trennen.“

Text: rie/Bilder: rie (2), lck

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