KulturLeben

Die Königsfamilie auf der Flucht

„Wir müssen fort! Und zwar gleich. Holt Eure Sachen so schnell wie möglich, und daß [ihr] niemand sagt wohin auch den Damen nicht!“ Mit diesen Worten empfing König Ludwig III. von Bayern, Cousin des verstorbenen König Ludwigs II. und Sohn des Prinzregenten Luitpold seine Familie am Abend des 7. Novembers 1918 im kleinen Salon seiner Räume in der Münchner Residenz. Die herbeigeeilte Familie bestand aus seiner Ehefrau Königin Marie Therese und vier der insgesamt dreizehn erwachsenen Kinder. Es waren die vier unverheirateten Töchter Hildegard (37), Wiltrud (34), Helmtrud (32) und Gundelinde (27), die noch im elterlichen Haushalt lebten.

Die Revolution tobte in München.

Die Prinzessinnen suchten eilig ein paar Habseligkeiten zusammen. „In der Hetze tat ich Geld, Seife Bleistifte, Tagebuch und Esswaren in eine Ledermappe (…)“, erinnerte sich Prinzessin Wiltrud in ihren Aufzeichnungen. Die schwerkranke Königin wurde von ihrer Kammerfrau unterstützt, die „Geld aus dem Schreibtisch ihrer Majestät, sowie einige Schriftstücke und Briefe, das Arzneikästchen, mit den notwendigsten Mitteln sowie die allernötigsten Toilettenartikel“ zusammenpackte. Auch Kleidung, Stiefel, Zucker und etwas Zwieback wurden mitgenommen. Hastig verließ die königliche Familie die Residenz in Begleitung zweier Hofdamen, einer Kammerfrau, zweier Adjutanten sowie einem Oberwachtmeister. „Nie vergesse ich den Zug durch den schwarzen Saal, das Herrschaftspaar tief gebeugt, die alten Hartschiere [Königliche Leibgarde] mit Thränen in den Augen, das letzte Mal salutierend.“

Die Flucht sollte per Automobil erfolgen. Da sich die Ereignisse überschlugen, waren keine Vorbereitungen getroffen worden. Zum einen waren die Autos nicht startklar und mussten erst „montiert“ werden, zum anderen erreichte man nur zwei der fünf Chauffeure. Einer von ihnen war sogar zum „Gegner“ übergelaufen. Zu der kleinen Gruppe stießen der 13-jährige Enkel des Königspaares, Erbprinz Albrecht von Bayern, und dessen Erzieher. Die Gruppe bestand insgesamt aus 14 Personen, für die nun in Windeseile Automobile gesucht wurden. Um beim Verlassen des Residenzgebäudes nicht aufzufallen, teilte sich der Tross in kleinere Gruppen und schlich im Schutz der Dunkelheit ins Freie Richtung Marstallgarage. „Der Abend war mild und die Sterne beruhigend schön. Derweil knatterten Maschinengewehre und tönten fern und verworren die Laute der Menge in die fast menschenleere Marstallstrasse.“ Endlich standen drei Autos und drei Chauffeure zur Verfügung. Im ersten Auto wurde das Königspaar, eine Prinzessin, eine Hofdame, ein Adjutant und der Oberwachtmeister untergebracht. In einem weiteren Auto nahmen die drei anderen Prinzessinnen sowie der Enkel des Königs samt Erzieher Platz. Das dritte, sehr kleine Auto bot im Fahrgastbereich nur Raum für drei Personen. Dieses bestiegen eine weitere Hofdame, eine Kammerfrau und ein Adjutant. Damit die königlichen Fahrzeuge nicht als solche erkannt wurden, stülpte man Handschuhe über die vergoldeten Kronen auf den Kühlerhauben und überdeckte die aufgemalten Kronen mit Wagenschmiere. Die anfängliche Erleichterung über die drei voll besetzten Wagen wich schnell einer erneuten Sorge, da das Auto des Königspaars doch nicht fahrtüchtig war und bereits nach wenigen Metern liegenblieb. So schnell wie möglich wurden die Automobile gewechselt. Die königlichen Insassen bestiegen das kleinste der drei Fahrzeuge, weswegen Prinzessin Helmtrud und der begleitende Adjutant am Boden im Fußraum vor den Majestäten Platz nehmen mussten. Die drei diensttuenden Personen, die eigentlich in diesem Wagen saßen, stiegen aus und warteten bis das defekte Auto repariert oder ein neues bereitgestellt werden konnte.

Ungefähr eineinhalb Stunden nach Verlassen des Residenzgebäudes rollten die beiden Autos mit den königlichen Hoheiten endlich aus der Marstallgarage. Das Ziel: Schloss Wildenwart im Chiemgau. „Dem Eltern Auto folgten wir ohne Laternen durch die schwachbeleuchtete und gegen Osten menschenleere Stadt. Albrecht mußte sich ducken und die Mütze vorziehen, Hildegard war auch zusammengekauert am Rücksitz. Albrecht glaubte einen Soldaten gesehen zu haben, der dem Auto einen Stein nachwarf – tatsächlich hörte ich auch etwas gegen das Auto prallen. (…) Man war voll Schreck vor Begegnungen. (…) Das Maschinengewehrfeuer war nur innen in der Stadt. Wir glaubten an eine Schlacht zwischen Militär und Zivilisten. Jeden Augenblick fürchteten wir eine Panne. Da hält das vordere Auto – werden sie umsteigen müssen? Nein der Chauffeuer hatte sich beim Ostbahnhof verfahren. Wir (…) übernahmen nun die Führung. Baron Redwitz [Erzieher von Erbprinz Albrecht] drehte sich oft um, damit wir bei allenfallsiger Panne anhalten und beistehen könnten. Endlich lag die Vorstadt hinter uns. Wir erkannten die Gasbehälter der Riemer Straße, Ziegeleien, die Allee – frei, frei, frei! (…)“ Bedauerlicherweise verlief die Fahrt auch jetzt nicht reibungslos. Kurz vor Ostermünchen kam der nicht beleuchtete Wagen der Prinzessinnen von der Fahrbahn ab und blieb im weichen Boden stecken. Das Königspaar und deren Begleiter hatten das nicht bemerkt und fuhren weiter. Hildegard, Wiltrud, Gundelinde, Adalbert und sein Erzieher mussten zu Fuß weitergehen. Da sie bis nach Wildenwart ohne Fahrzeug noch Stunden unterwegs gewesen wären, entschieden sie sich kurzerhand, nach Tuntenhausen ins Schloss Maxlrain der Grafen Arco zu gehen. Auch das Auto des Königspaares kam später von der Straße ab und blieb liegen. Glücklicherweise konnte der Wagen mit Hilfe von zufällig in der Nähe befindlichen Soldaten wieder auf die Fahrbahn gezogen werden. In den Morgenstunden erreichten König und Königin mit ihren Begleitern schließlich Wildenwart, wo sie schon sehnlichst von den Insassen des dritten Autos erwartet wurden. Sie hatten nach erfolgreicher Reparatur als einzige ungehindert und ohne Zwischenfälle ihre Fahrt bis zum vorläufigen Ziel fortsetzen können.

Die am Morgen in Wildenwart eintreffende Nachricht aus Maxlrain vom sicheren Verbleib der Prinzessinnen beruhigte alle. Wenig später setzte die Familie ihre Flucht getrennt fort. Das nächste Ziel sollte Anif bei Salzburg sein. In Anif entband König Ludwig III. am 13. November 1918 die bayerischen Soldaten und Beamten vom Treueeid. In der sogenannten Anifer Erklärung: „Zeit meines Lebens habe ich mit dem Volk und für das Volk gearbeitet. Die Sorge für das Wohl meines geliebten Bayern war stets mein höchstes Streben. Nachdem ich infolge der Ereignisse der letzten Tage nicht mehr in der Lage bin die Regierung weiterzuführen, stelle ich allen Beamten, Offizieren und Soldaten die Weiterarbeit unter den gegebenen Verhältnissen frei und entbinde sie des mir geleisteten Treueides. / Anif den 13. November 1918 / Ludwig“. Die tatsächliche Abdankung erfolgte durch Ludwig III. jedoch nie.

Die Entbindung vom Treueeid wurde allerdings als Thronverzicht gewertet und damit das Ende der 738-jährigen Herrschaft der Dynastie Wittelsbach über Bayern erklärt. Bayern wurde Freistaat.

Text: Vanessa Richter
Foto: Wikipedia

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1 Kommentar

  1. Hat nicht König Ludwig III noch jedem seiner Getreuen noch 20 Goldmark Bayern 1914 persönlich in die Hand gedrückt? Habe ich mal irgendwo gelesen…

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