Kolumne

Die Karte

Es ist Samstagabend, kurz nach neun. Mir ist kalt und ich bin müde. Aber ich versuche noch wach zu bleiben. Ein bisschen wenigstens. Da fällt mir die Karte in meiner Tasche wieder ein. Ich bin hellwach…

Letzte Woche war ich in einem kleinen Laden, wo mir zwischen Büchern, handgefertigtem Schmuck, Bandshirts und anderem Kleinkram ein mintgrüner Kartenständer ins Auge gesprungen ist. Jede Karte war in Kraftpapier verpackt und mit einem großen, runden Aufkleber verziert, auf dem stand: „Es liegt in Deinen Händen!“

Für schlappe 2,30 Euro war ich sowas von bereit das Ding in die Hand zu nehmen. Und das im wahrsten Sinne des Wortes. Keine drei Euro für einen Adrenalinkick. Das Mysterium, die Zukunft, die Weisheit, geballt in einem Rechteck aus Tonpapier- Wow, ich mag sowas.

Und heute, eine Woche später, ist es soweit. Hinter dem öden Tonpapier ist eine aufwendig illustrierte Karte versteckt.

„Shinrin Yoku“ steht da. Ich hab keine Ahnung, was es bedeutet und um welche Sprache es sich handelt. Vielleicht ist es Vietnamesisch? Oder Japanisch? Mandarin? Oder doch Thai?!

Wo auch immer Shinrin Yoku her kommt- Jetzt ist es hier. Hier bei mir. Aber ob ich mich damit wohlfühle weiß ich nicht genau. Jedenfalls ist mein Robinson Crusoe Feeling von letzter Woche nicht mehr da. Irgendwie traue ich der „Es liegt in Deinen Händen-Karte“ nicht mehr. Vielleicht ist es wegen dem Verkäufer. Mit den Worten „Sieh genau hin!“ hat er mich aus dem Laden verabschiedet. Sein enges, gelbverblasstes T-Shirt mit der Aufschrift ‚Californian Mystic‘ vergesse ich nie wieder. Auch dass ihm ziemlich kalt war konnte ich direkt unter der Aufschrift weiter „lesen“.

Also, was meinte er mit „genau hinsehen“? Seine Nippel? Die Karte? Beides? War die Karte, die eine Mischung aus Michelle Obama und den Spice Girls war, in Wirklichkeit etwas ganz Anderes? Ein Zeichen des Californian Mystic Boy? Oder einfach nur ein gemeines asiatisches Wort wie Popelnascher oder Fischkopf?

Von Sekunde zu Sekunde sinke ich tiefer und tiefer in die Abgründe vom T-Shirt-Mann und Shinrin Yoku.

Mein Mann reisst mich aus dem Wahn: „Wieso googelst du denn nicht einfach?!“

Habe ich dann gemacht: „Shinrin Yoku oder Waldbaden, wie es in Japan genannt wird, wirkt sich positiv auf die körperliche und mentale Gesundheit aus…“

Das war ein Zeichen.

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