LokalesTourismus

Ein Festtag in Pfronten-Kappel

Das größte und älteste Schallenggenrennen im Allgäu

Kappel, ein kleiner Ortsteil von Pfronten mit etwa 300 Einwohnern. Für Viele eher nichtssagend, für Andere weit aus mehr als nur eine kleine Ortschaft. Zu sehen sind einige Straßen, zu eng für große Neuwägen, einige Häuser drei Mal so alt wie ihre Besitzer und Bewohner, noch im selben Haus sesshaft wie der Urgroßvater. Kappel hat noch etwas ganz Besonderes: das Schalenggenrennen.

Mit ein paar seltenen Ausfällen findet das Spektakel jährlich am Faschingssamstag statt. Über 200 verkleidete Teilnehmer treten in Teams an, um den 1.000 Meter langen Hang vor Kappel auf einem über 15 Kilogramm schweren hölzernen Hörnerschlitten, dem „Schalengga“, hinunterzurasen. Spektakuläre Szenen, aber vor allem die manchmal wildererartig verkleideten Fahrer auf ihren Großschlitten, ganz ohne Lenkhilfen und Bremsen, sichern hundertfache Zuschauerzahlen. Sie heißen „Sister’s Act“, „Omas Föhla“, „Blitzhoanar Weitnau“ oder ganz einfach „Augustiner“. Hanne Allgayer kennt sie fast alle, die wagemutigen Damen und Herren, die mit halsbrecherischem Tempo den Hang runter rodeln. Früher war das Schalenggenfahren eine harte Arbeit – heute ist es ein pures Vergnügen Doch woher kommt diese ausgefallene Faschingsgaudi? Und wozu dienten die Schalengga eigentlich ursprünglich?

Vor allem die älteren Bewohner Kappels verbinden mit dem massiven Schlitten eher gefährliche Arbeit, die mit Fasching eigentlich nichts mehr zu tun hat. Früher dienten die Schalengga nämlich zum Transport von Bergheu und Brennholz aus dem Berg ins Tal. Zuvor wurde es von den Bauern im Sommer geschnitten oder gesägt, anschließend getrocknet und gelagert, damit man die wertvollen und für den Winter lebensnotwendigen Rohstoffe auf schnellstem Wege nach unten bringen konnte. Natürlich war die Fahrt nicht ungefährlich und der eine Winter schon mal schneereicher und kälter als der andere, aber da die Pfade für Maultiere zu steil waren, blieb der Schalengga die einzig schnellste Lösung. „Die Männer  schafften am Tag etwa drei bis vier Runden der 1.000 Meter langen Steigung und mussten die schwere Last bei unbeständigem Wetter schon mal etappenweise hinunterfahren. Die körperliche Anstrengung war deswegen natürlich hoch“, erzählt Hanne Allgayer. Sie kann sich noch sehr gut an die arbeitsreiche Zeit erinnern. Hochschwanger ging sie damals mit ihrem Mann ins Kohlholz, so heißt das Gebiet oben auf dem Hündleskopf. Mühsam schleppte man den Grasmäher, Rechen und alles was man für einen langen Arbeitstag im Sommer brauchte, nach oben auf über 1.200 Meter. Erst wenn die Blumen verblüht sind, durfte gemäht werden. „Daran wird auch heute noch festgehalten“, erklärt die 71-Jährige, die seit 1997 an der Spitze des Schalenggen-Vereines steht. Dieser Tradition ist der Verein heute noch treu geblieben. Immer nach dem 15. Juli wird dann im Kohlholz gemäht. Es sind feuchte Wiesen, fast moorig, beschreibt Hanne Allgayer den Boden. Gelagert wird das Heu in einem kleinen Stadel gleich neben der Wiese.

Bis Ende der 60er Jahre holten die Männer im Februar das im Sommer gemähte Heu runter ins Tal. Immer zu zweit liefen die Männer den mühsamen Weg zum Hündleskopf raus. Der eine den Weg schaufelnd während der andere den Schalenggen auf dem Rücken hoch trug. Bis zu vier Mal am Tag stapften sie den knapp zwei Kilometer langen, mühsamen Weg rauf. „Es war eine gefährliche Arbeit, die viel Konzentration und Erfahrung brauchte“, so Hanne Allgayer. Das Heu wurde ganz fest auf dem Schalenggen festgezurrt und mit Tannenzweigen beschwert. Bremsen gab es auf den Schlitten nicht, das übernahm der hintere Mann, während der vordere den Holzschlitten lenkte. Unterdessen kochten die Frauen „a gscheites Midagessen“ und bereiteten für den Abend eine deftige Brotzeit vor.
Ab den Siebziger Jahren wurden Fahrwege, breit genug für Traktoren, errichtet, weswegen die Schalenggen zunächst keine Verwendung mehr haben sollten.
Doch nach einem flüssigen Stammtischabend 1976 in der „Käsküche“ kamen eine handvoll Männer auf die Idee, daraus ein Spaßrennen zu machen und testeten die alte Bahn am nächsten Morgen mit ersichtlich viel Gaudi und ohne die mühselige Last im Gepäck aus. Im darauf folgenden Jahr, an einem Faschingssamstag, war es dann soweit: das „1. Allgäuer Schalengg´e Rennen“ in Pfronten Kappel, mit über 70 Teilnehmern und zahlreichen Schaulustigen hatte seine Premiere. In den nächsten Jahren stiegen die Zahlen der Fahrer und Besucher rasant an, eine bessere Organisation und Planung war nötig, weshalb 1982 ein Verein gegründet wurde, der bis heute existiert und von Hanne Allgayer, die seit 1997 an der Spitze des Schalenggen-Vereines steht, geleitet wird. Das Schalenggenrennen ist auch heute noch ein langjähriger Teil Kappels, der Original-Schlitten, wie früher, beladen mit Holz oder Heu, ist ein Muss.

am 06. Februar 2016, 12 Uhr
Übrigens: alle Mannschaften kommen in die Wertung, selbst dann, wenn sie nur noch mit Bruchteilen ihres Hörnerschlitten in das Ziel trudeln…

Parkplätze sind vor Ort vorhanden, sowie ein kostenloser Busshuttle von den Pfrontener Ortsteilen und dem Bahnhof in Pfronten-Ried zum Renngeschehen nach Pfronten-Kappel.

Eintritt 3,50 Euro (bis einschließlich 16 Jahre freier Eintritt)

Text: Sabina Riegger · Bilder: Hubert Riegger

Verwandte Artikel

Das könnte Dich auch interessieren
Schließen
Schaltfläche "Zurück zum Anfang"