Menschen

„Ich möchte etwas zurück geben“

Sherpas auf Tirols Hütten

„Nepal hat mir persönlich so viel gegeben. Ich habe dort viele Berge bestiegen, sehr viele Freunde verloren, aber auch noch mehr Freunde gewonnen. Also habe ich gesagt, ich möchte dem Land, das mir so viel gegeben hat, auch etwas zurückgeben. Mit der Nepalhilfe und vor allem dem Sherpa-Projekt kann ich das erreichen.“ 

Der Tiroler Wolfgang Nairz leitete 1972 seine erste Himalaya-Expedition zur Südwand des Manaslu. 1978 war er Leiter der ersten österreichischen Expedition zum Mount Everest. Vor etwa zehn Jahren hat er den Verein Nepalhilfe Tirol gegründet, der auch das so genannte „Sherpa-Projekt“ startete. Seit einigen  Sommersaisonen helfen auf Tirols Hütten Sherpas, Sherpani und Nepalesen aus. Im Interview spricht Wolfgang Nairz über die Motivation, seine nepalesischen Freunde nach Tirol zu bringen, über faire Arbeitsbedingungen und darüber, was Tiroler Hüttenwirte von ihren Mitarbeitern aus dem Himalaya-Gebiet lernen können.

Vor über zehn Jahren haben Sie den Verein Nepalhilfe gegründet. Was war der Hintergrund, diesen Verein zu gründen?
Es hat in Tirol sehr viele befreundete Bergsteiger gegeben, die oft in Nepal waren und vereinzelt Hilfe geleistet haben. Der Eine hat einen Sherpa finanziell unterstützt, damit er seine Kinder in die Schule schicken kann oder hat eine Patenschaft für Kinder übernommen. Der Nächste hat Medikamente mit nach Nepal gebracht. Jeder hat irgendwas anderes gemacht. Wir wollten diese Kräfte alle bündeln und ganz gezielt Projekte fördern. Das war eigentlich der Grund, dass sich einige Freunde zusammengetan und den Verein Nepalhilfe Tirol gegründet haben. Inzwischen zählen wir 150 Mitglieder und haben in den letzten zehn Jahren ca. 520.000 Euro Hilfe direkt und indirekt nach Nepal gegeben.

Der Verein Nepalhilfe Tirol hilft nicht nur finanziell, sondern zum Beispiel auch mit dem Sherpa-Projekt. Wie kam es dazu?
Dieses Projekt ist auf eine Initiative von mir zurückgegangen. Ich war sehr oft und sehr viel in Nepal. 1970 das erste Mal und bis heute über 75 Mal. Dadurch habe ich dort viele Freunde. Auf den Expeditionen habe ich viele Sherpas kennengelernt, die alle gesagt haben, sie brauchen Hilfe. Edmund Hillary, der Erstbesteiger des Mount Everest, hat damals auch die Sherpa gefragt: „Was kann ich für Euch tun?“ Sie antworteten: „Gib uns Gesundheit, gib uns Bildung, gib uns Ausbildung.“ Er war der erste, der in Nepal Schulen, Krankenhäuser, Wasserleitungen und Brücken bauen ließ. Hillary ist dort deswegen auch sehr berühmt geworden.

Wir wollten etwas Ähnliches machen. Uns hat man auch immer gefragt: „Könnt ihr uns helfen?“ Und wir haben gefragt: „In welcher Richtung?“ Sherpas sind ein Bergvolk, gleich wie die Tiroler. Sherpa heißt ja übersetzt nicht Bergführer oder Träger, sondern „Der Mensch im Osten“. Das ist ein Volksstamm, der vor vielen hundert Jahren von Tibet herübergekommen ist, sich in Nepal ansiedelte und dort als Bergbauernvolk lebt. Aber durch viele Expeditionen sind die Sherpas natürlich gute Bergsteiger geworden und heute wäre eine Expedition ohne sie gar nicht denkbar. Das hat aber mit ihrer Funktion als Träger oder Bergführer gar nichts zu tun, wenn sie es heute auch sind.

Sie leben vom Tourismus, speziell im Sherpaland, im Solo Khumbu – also in der Gegend rund um den Mount Everest. Und da hat der Tourismus und die Infrastruktur natürlich oft sehr zu wünschen übrig gelassen. An und für sich ist die Struktur ähnlich wie bei uns in Tirol: Es gibt Wege, es gibt Hütten – dort heißen sie Lodges. Es gibt Träger, es gibt Bergführer.

Wir haben uns gefragt, wie man das verbessern könnte, sowohl in der Infrastruktur als auch in der Ausbildung. Also haben wir gesagt, wir machen ein Sherpa-Projekt, das in erster Linie die Hüttenbewirtschaftung betrifft und das Verhalten der Menschen, die diese Hütten führen müssen. Also haben wir mit dem Lodge-Management-Training begonnen. Seit sieben Jahren gibt es inzwischen dieses Projekt. Wir haben fast 300 Sherpas hier in Tirol gehabt, die auf den Hütten wirklich gelernt haben, wie man eine Hütte bewirtschaftet. Sie sind die gesamte Sommersaison über hier gewesen.

Wie man Hütten bewirtschaftet, wie man Wege baut, wie man mit der Umwelt umgeht, aber auch alles rund um die Küche und Hygiene oder die Bevorratung – das sind alles Erkenntnisse, die sie mit nach Hause nehmen. Wenn man heute durchs Solo Khumbu geht und in eine Lodge von Sherpas kommt, die hier in Tirol waren, dann fühlt man sich wohl. Was Sauberkeit, Freundlichkeit und auch das Umweltbewusstsein betrifft, kommt man sich dort vor wie auf einer Hütte in Tirol.

Wie war es für Sie, als die ersten Sherpas nach Tirol gekommen sind?
Es waren am Anfang nur einige Wenige, heute könnte ich 300, 400 oder 500 jeden Sommer herüberbringen und hätte auch genügend Plätze für sie. Durch die gesetzlichen Bestimmungen, was den Arbeitsmarkt betrifft, ist das aber nicht möglich. Es gibt eine riesige Nachfrage, sowohl bei den Sherpas als auch bei den Hüttenwirten. Die Hüttenwirte sind überaus zufrieden mit den nepalesischen Freunden – die sind freundlich, helfen überall, lernen in kürzester Zeit, haben eine ganz enorme Auffassungsgabe. Denen zeigt man etwas einmal und sie wissen, wie es geht. Sie laufen während der Saison auch nicht davon, weil sie es gewohnt sind, irgendwo hoch oben zu arbeiten und dort auch zu bleiben. Das sind also sehr gefragte Arbeitskräfte.

Wie stellt Ihr bei dem Projekt sicher, dass die Sherpas nicht als billige Arbeitskräfte ausgenützt werden?
Das sind keine billigen Arbeitskräfte, sie müssen nach Kollektiv bezahlt werden und haben genauso ihre freien Tage und freien Stunden. Die meisten Hüttenwirte sind auch selbst Bergsteiger, Bergführer, in Nepal unterwegs gewesen und wissen worum es geht. Im Moment verdienen die Sherpas zirka 1.300 Euro im Monat, das heißt, einer geht am Ende der Saison mit 5.000 bis 6.000 Euro nach Hause. Ihr Flug wird bezahlt, alle Spesen werden bezahlt, sie bringen noch Sachen mit, die sie auf den Hütten vielleicht verkaufen. Hüte, T-Shirts, selbst gestrickte Handschuhe, Mützen und so weiter. 5.000 Euro sind 500.000 nepalesische Rupien. Als Vergleich: Ein Facharzt im Krankenhaus verdient ungefähr 15.000 Rupien im Monat, ein Lehrer 10.000 und ein Kellner 3.000 Rupien pro Monat. Eine ganze Familie lebt davon zirka zwei Jahre.

2012 sind es 27 Sherpas, die noch bis Oktober auf Hütten in ganz Tirol arbeiten. Wie schwer war es eigentlich anfangs, die unterschiedlichen Hüttenwirte auf einen Nenner zu bringen und für diese Idee zu begeistern?
Es war am Anfang schon schwierig. Durch viele persönliche Beziehungen hat dann der eine oder andere Hüttenwirt einen Sherpa angestellt. Inzwischen hat sich das so herumgesprochen unter den Hüttenwirten, dass es kein Problem wäre, 50 Plätze zu finden.

2011 hat das Sherpa-Projekt pausiert. Warum?
Im letzten Jahr wurde die Rot-Weiß-Rot-Card von der österreichischen Bundesregierung eingeführt. Es durften also hauptsächlich Fachkräfte ins Land kommen. Das Saisonier-Kontingent wird jedes Jahr neu bestimmt – vergangenes Jahr wurde es so massiv gekürzt, dass kein Platz für Leute aus Drittländern mehr da war. Nepal ist ein solches Drittland.

Sie haben erwähnt, dass die Sherpas viel auf den Tiroler Hütten lernen. Was haben denn die Hüttenwirte während der vergangenen Jahre von den Sherpas gelernt?
Die Hüttenwirte lernen sehr viel davon. In erster Linie die asiatische Ruhe und Gelassenheit und die außerordentliche Freundlichkeit. Auf vielen Hütten, wo Nepalesen sind, gibts einmal die Woche einen Nepal-Abend mit Speisen wie „Dhal Bat“ oder „Momo“. Die Leute nehmen das unheimlich gut an. Es gibt Hüttenwirte, die sagen: Am Donnerstag Abend gibts ein nepalesisches Menü – da pilgern die Leute hin, um das zu genießen. So ist es eigentlich eine Win-Win Situation.

Fahren auch Tiroler Hüttenwirte nach Nepal, um dort Erfahrungen zu sammeln?
Das gibt es sehr wohl. Die meisten Hüttenwirte sind bergbegeistert, haben ihre Freunde unter den Nepali gewonnen und gehen hinüber mit denen auf Trekking. Ich kenne zum Beispiel einen Fall, wo die Hüttenwirtin von der Pforzheimer Hütte drüben war und die wollten sie dann gleich als Köchin in der Küche behalten. Umgekehrt wie hier jetzt auf den Hütten Dhal Bat, Momo, Chicken Chili und andere nepalesische Speisen auf der Karte stehen, gibts dann drüben auch eine Frittatensuppe oder Käsespätzle, Speckknödel und einen Schweinsbraten.

Wie finanziert sich die Nepalhilfe?
Durch Spenden und Vorträge. Vor allem ist es aber ein Netzwerk, das wir aufgebaut haben. Diese 520.000 Euro, die ich eingangs erwähnt habe, wurden nicht als Geldspenden weitergereicht. Man hat zum Beispiel einen Computertomographen günstig gekauft. Der würde sonst ein Vermögen kosten. Mit Hilfe von Speditionsfirmen, Fluglinien und Technikern hat man den dann nach Nepal transportiert.

Oder das Eye-Camp, wo seit sechs Jahren Ärzte hinüberfahren und wir von der Nepalhilfe die notwendigen Geräte dazu gekauft haben. In abgelegenen Gebieten wird dann in kleinen Minikrankenhäusern operiert. Man muss sich vorstellen, am Vortag bringen sie die Leute an der Hand her, weil sie nichts sehen und am nächsten Tag gehen die sehend nach Hause. Das sind Projekte, die relativ wenig kosten, weil die Ärzte das auch gratis machen. Das Netzwerk, das alles zu organisieren – dafür ist die Nepalhilfe zuständig.

Interview & Text: Michael Gams
Bild: Wolfgang Nairz

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