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Aufgeben kann jeder

Helmut Brückner: Es passiert nichts ohne einen Grund

Füssen.    Manchmal gibt es Momente, Sekunden im Leben, die man sich immer wieder durch den Kopf gehen lässt. Man würde sie gerne ungeschehen machen. Aber wenn das ginge, dann wären es Wunder und die gibt es nur ganz selten. Sich mit einer Situation zu versöhnen, gelingt nicht jedem. Helmut Brückner schon. Er ist seit 2009 querschnittsgelähmt und dennoch sagt er immer wieder, es könnte schlimmer sein. „Es könnte ja sein, dass ich mich gar nicht bewegen kann. Ich kann meine Hände benützen, ich spüre Schmerz, ich kann denken, ich kann sprechen.“ 

Im Zimmer von Helmut Brückner ist eine große 4 Kanal Bandmaschine. Es ist ein Profigerät, das er bei ebay ersteigert hat. „Ich brauche Beschäftigung. Dieses Gerät war kaputt. Ich habe es repariert und restauriert“, so der 54-jährige. Musik spielt eine große Rolle im Leben von Helmut Brückner. Er war Schlagzeuger bei diversen Musikgruppen. Den Anstoß eine eigene Gruppe zu gründen gaben die „First of second“, mit Paul Iacob als Sänger. „Sie spielten damals im Jugendhaus. Jedes Mädchen schien sich nur für die Band zu interessieren. Wir anderen wurden gar nicht registriert. Also beschlossen wir, auch eine Band zu gründen. Wir nannten sie „Van Gogh“, die kam beim Publikum sehr gut an“, erinnert sich Brückner lachend. Brückner war erst Bassist bevor er sich dann für das Schlagzeug entschied. Rhythmus hat Brückner alias Smuti, wie er von seinen Freunden genannt wird, im Blut. Bei den CD-Aufnahmen von seinen Gruppen „Alien“ oder „Alpha Projekt“ war er mit dabei. Er spielte das Schlagzeug. Perfektionistisch nannten ihn manche, wohl zu recht, denn das war und ist er heute noch. „Man macht nicht irgend etwas nur so.“ Helmut Brückner will irgendwann wieder einmal Schlagzeug spielen. Seine Beine kann er zwar nicht bewegen „aber meinen Mund“, meint er. Auf einer Messe sah er einen Querschnittsgelähmten Schlagzeug spielen. Er war fasziniert von der Technik. „Der Musiker hatte einen Sensor im Mund. Dieser ist in ein kleines Gehäuse eingegossen, das aus einem speziellen Kunststoff besteht, das auch von Zahntechnikern verwendet wird. Der Sensor sieht ähnlich aus wie eine Trillerpfeife und wird auch so getragen, ist allerdings kaum zu sehen, weil er so klein ist. Seine ergonomische Form gibt ihm sicheren Halt durch eine Kontur für die Unterlippe. Eine kleine Zunge befindet sich nun so zwischen den Zähnen – und – indem man sie an die oberen Zähne drückt und mit den unteren gegen sie tickt, triggert man die Elektronik. Das heißt jedes Ticken mit den Zähnen bewirkt einen Basstrommelschlag“, erklärt Brückner.

Der Unfall
„Manche stürzen von der Leiter, haben einen Auto- oder Motorradunfall gehabt und ich bin mit dem Flugzeug abgestürzt.“ Helmut Brückner erzählt es sachlich ohne viel Emotionen. Das was passiert ist, ist Fakt und Fakten kann man nicht verschönern. Sein Freund, der die Maschine flog, hatte eine Insassenversicherung – eine, die wie sich herausstellt, nutzlos ist. „Es ist wie bei einem Taxifahrer. Der braucht einen Beförderungsschein. Hat er den nicht, nützt ihm auch die Versicherung nichts. Nur mit dem einen Unterschied, dass mein Freund kein Lufttaxi in dem Sinne hat, sondern das Fliegen nur als Hobby betreibt“, so Brückner. Die Situation ist verzwickt. Der Freund muss den Freund verklagen, um zu seinem Recht zu kommen. Es heißt: Das Flugzeug war technisch in Ordnung, der Pilot hat kein Fehler gemacht also ist auch nichts passiert. Wie abstrakt. „Man sichert sich im Leben gegen alles ab. Und wenn man es braucht, gibt es plötzlich so viele Paragraphen, die es verhindern, dass man zu seinem Recht kommt“, so die Meinung des Füsseners. Dass sich sein Leben seit dem Unfall  um 180 Grad verändert hat, interessiert niemanden. „Ich bekomme noch ein Drittel von dem, was ich verdient habe. Die medizinische Versorgung kostet auch viel Geld und das obwohl uns unsere Krankenkasse wirklich unterstützt.“

Die Zeit danach

Vier Monate lag der Familienvater in der Unfallklinik in Murnau. „Ich habe dort viel gelernt, auch den Umgang mit dem Rollstuhl“, so Brückner. Er hat auch gelernt, dass seine Arme die Hauptfunktion für mehr Beweglichkeit tragen. Tägliches Training und Krankengymnastik standen auf dem Programm. Geändert hat sich daran bis heute nichts. Wenn Helmut Brückner Schmerzen hat, dann will der Tag nicht enden. „Es fühlt sich so an als ob Tausende Volts von Strom durch die Beine fließen. Es ist ein furchtbarer Schmerz. Wenn ich normale Schmerzen hätte, wäre ich glücklich. Dann hätte ich den Himmel auf Erden“. Das, was Helmut Brückner spürt, nennt der Arzt Missempfindungen. Auf eine längere Zeit hin planen, das funktioniert nicht mehr. „Mein Körper ist unzuverlässig“, sagt Brückner.
Trotzdem bestand der 54-jährige darauf, seine Arbeit wieder aufzunehmen. „Ich wollte wieder  arbeiten, das bekomme ich schon hin“, dachte er am Anfang. Weit gefehlt. Die Wiedereingliederung fand am 1. März statt. Aus dem ganzen Tag sind zwei vielleicht höchstens drei Stunden geblieben.  „Mein Körper machte nicht mit“, gibt er zu. Keine einfache Sache für einen Mann, der sich auf die Arbeit freut, auf die Kollegen, auf den Umgang mit Kunden. „Ronny ist nicht nur mein Chef, sondern auch ein guter Freund“, spricht er über seinen Vorgesetzten Reiner Heuberger.

Starker Rückhalt

Auf dem Papier steht, dass Helmut Brückner einen Grad der Behinderung von 90 hat. Solange er noch ein wenig Gefühl in den Beinen hat, was aber nicht zum Laufen ausreicht, geschweige denn zum Stehen, werden ihm nicht die 100 Grad der Behinderung angerechnet und das, obwohl er größtenteils auf die Hilfe seine Frau angewiesen ist. Bei der Pflegestufe sieht es nicht anders aus. „Ich habe die Pflegestufe 1 bekommen, da ich ja meinen Oberkörper und meinen Kopf bewegen kann. Alles andere zählt nicht“, erläutert Brückner. Seine Frau Manuela kümmert sich um die Behördengänge. „Ich habe nicht die Kraft dazu. Ich bin froh, dass sie sich um alles kümmert. Wenn ich sie nicht hätte, ich wüsste nicht, wie ich das alles schaffen würde.“ Es sind aufrichtige Worte, dankbare. Seine Familie hat ihn aufgefangen genauso wie seine Freunde. Allen voran sein Freund Werner Zikeli, der sich um den Prozess kümmert. „Keiner meiner Freunde hat mich im Stich gelassen. Ist das nicht Glück genug? In der Reha habe ich Menschen getroffen, denen es nicht so gut ging wie mir. Sie waren ganz alleine auf sich gestellt. Das bin ich nicht.“ Worte, die einen nachdenklich machen und gleichzeitig auch demütig.
Am meisten ist Helmut Brückner über die Tatsache traurig, dass er selber nie wieder fliegen wird. Fliegen war seine Passion, sein Hobby. Mit Freunden hat sich der PPL Pilot (Privat Pilot Lizenz bis zwei Tonnen) eine viersitzige Maschine gekauft. Seinen Teil hat nun ein guter Freund gekauft. „Ich kann ja nicht mehr fliegen und leisten kann ich es mir auch nicht mehr.“
Auf vieles musste Helmut Brückner bislang verzichten. Musik, Fliegen, Surfen, … „Alles was in unserem Leben passiert muss doch für etwas gut oder nützlich sein. Vielleicht wissen wir es jetzt in dem Augenblick nicht. Ohne einen Grund geschieht nichts“, ist sich der 55-jährige sicher. Was Helmut Brückner allerdings absolut nicht mag, sind die vermeintlich guten Ratschläge. „Gib nicht auf! Schau immer nach vorne! Du musst Dich mehr bemühen! Ich will das alles nicht mehr hören, weil keiner von diesen Menschen weiß, wie ich mich fühle und was ich alles tue. Wenn ich nicht nach vorne schauen würde, säße ich nicht hier.“

Träume
„Ich träume, dass ich wieder laufen kann. Ich möchte wieder stehen können. Bei Nervensachen sagt man, dass man drei Jahre Zeit hat, dass es vielleicht wieder etwas werden könnte. Man sagt, dass sich die Nerven ihre eigenen Wege suchen. Realistisch ist es, dass ich vielleicht nicht wieder laufen werde. Aber es wäre schön, wenn ich mich auf Krücken oder mit einem Gehwagen bewegen könnte. Wie gesagt, es sind Träume und Träume sind Hoffnung und die stirbt bekanntlich zuletzt.“

Text/Bilder: rie

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