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Königin Marie von Bayern: Die Bergsteigerin

Am 11. Oktober 1842 betrat die sechzehnjährige Marie, Prinzessin von Preußen, das erste Mal bayerischen Boden. Sie befand sich auf ihrem Brautzug von Berlin nach München, wo sie am nächsten Tag mit dem bayerischen Kronprinzen und späteren König Maximilian II. vermählt werden sollte.

Dennoch war Marie bei ihrer Ankunft in Bayern bereits eine verheiratete Frau. Sechs Tage zuvor, am 5. Oktober 1842, war sie im Berliner Stadtschloss im Beisein der gesamten preußischen Königsfamilie vor den Traualtar getreten. Auch bei dieser Zeremonie war der Bräutigam eigentlich der vierzehn Jahre ältere Kronprinz Maximilian von Bayern. Jedoch glänzte dieser mit Abwesenheit. Der stellvertretende „Bräutigam“ hieß Wilhelm von Preußen. Er übergab Marie den Ring. Eine solche Eheschließung „per procurationem“, also durch einen Stellvertreter, galt in Adelskreisen als völlig normal.

Zwei Wochen nach der vollzogenen Münchner Trauung reiste das frisch vermählte Brautpaar das erste Mal nach Hohenschwangau. Das dortige Schloss, das Max zehn Jahre vorher kaufte und wiederherrichten ließ, sollte einer der bevorzugten Aufenthaltsorte von Marie werden. Die gesamte Fahrt von München nach Hohenschwangau stand die bayerische Bevölkerung auf den Straßen, um das junge Brautpaar zu sehen. Ab Peiting säumten Ehrenpforten die letzten Kilometer bis nach Hohenschwangau. Die Straßen waren mit Fahnen, Kränzen und Bannern dekoriert und überall jubelten die Menschen dem jungen Paar zu. Zu Ehren der Hochzeit von Max und Marie fanden in Hohenschwangau mehrtägige Feierlichkeiten statt, an denen die Bevölkerung der umliegenden Ortschaften teilnahm.

Marie liebte die malerische Landschaft des Alpenvorlandes. Die Berge, die Seen, die Wiesen und Wälder. „Von der Bergen bin ich ganz weg!“ schrieb sie ihrer Mutter in einem ihrer ersten Briefe aus Hohenschwangau. So bald wie möglich wollte sie die Berge besteigen dürfen. Das gestaltete sich allerdings aufgrund der damaligen Mode eher schwierig, wenn nicht sogar gefährlich. Weite Röcke mit großen Reifröcken, die bis zu drei Meter Umfang hatten, waren auf schmalen Wegen in den Bergen hinderlich. Marie wollte nicht nur kleine Wanderungen auf niedrige Anhöhen unternehmen. Nein, sie wollte richtig bergsteigen. Es musste eine Lösung gefunden werden, die sie sowohl gesittet als auch dem Zeitgeist entsprechend gekleidet erscheinen ließ und dabei ein maximales Maß an Sicherheit bot. Zu diesem Zweck entstand ein neuartiges Wanderkostüm.

Dieses bestand aus einem Lodenrock, der über den Knöcheln abschloss, einem Schnürmieder und einem Stopselhut. Der Clou an diesem Wanderoutfit war jedoch die bodenlange Lodenhose, die Marie unter dem Rock trug. Eine Hose für die Frau – etwas ganz Neues zu dieser Zeit. Ein Wanderstock komplettierte ihr Kostüm. So konnte ihre Bergsteigerlaufbahn beginnen. Die umliegende Bergwelt wurde von Marie in den kommenden Jahren erkundet: Aggenstein, Breitenberg, Hochplatte und Säuling waren nur einige der Gipfel, die Marie bezwang. Der höchste Gipfel war allerdings der Watzmann bei Berchtesgaden. Nach der dreimaligen Besteigung der Achsel bei Musau in Tirol stiftete sie 1844 sogar einen Orden: Den Alpenrosenorden. Dieser sollte keinen politischen Hintergrund haben, sondern als Symbol der Freundschaft und Verbundenheit getragen werden. Einer dieser Alpenrosenorden sowie einer von Maries Wanderstöcken kann im Museum der bayerischen Könige besichtigt werden.

Natürlich ging Marie nie allein in die Berge. Stets begleiteten sie ihre Hofdamen und ihre Obersthofmeisterin. Die somit auch alle „bergfest“ und schwindelfrei sein mussten. Nur während der beiden Schwangerschaften unternahm Marie keine ausgedehnten Bergtouren und schonte sich.

Als ihre Söhne Ludwig, der spätere König Ludwig II. und Otto, der spätere König Otto I., das Kindesalter erreicht hatten, durften sie ihre Mutter auf den ausgedehnten Bergwanderungen begleiten. Beide erbten von ihren Eltern die Liebe zu Natur und Berge. Noch heute zeugen die Marienbrücke und das Schweizerhaus in der Bleckenau von Maries Bergsteigerleidenschaft. Beides ließ Max II. zu Ehren seiner jungen Frau errichten. Die Bleckenau wurde ein beliebtes Ausflugsziel der königlichen Familie. In der Hohenschwangauer Schlosschronik ist zu lesen:

(…) Morgens acht Uhr begaben Sich Ihre Majestät mit Allerhöchst Dero Frau Obersthofmeisterin Gräfin von der Mühle und der Hofdame Freyin von Redwitz zu Wagen, Ihre königlichen Hoheiten der Kronprinz Ludwig und Prinz Otto in Begleitung des Herrn Oberst Grafen von La Rosée und Herrn Artillerie Hauptmann Orff, sämtliche zu Pferde, in die Blöckenau, machten von da eine Fußparthie in den niedern Straußberg, wo Alpenrosen gepflückt wurden. Von da aus erstiegen die Allerhöchsten Herrschaften die Gabel, woselbst das Frühstück eingenommen wurde. Um sechs Uhr abends trafen die Allerhöchsten Herrschaften ganz wohl erhalten im Schweizerhaus in der Blöckenau ein, dinirten daselbst und kamen zu Wagen Abends acht Uhr in das Schloß wieder zurück. (…)

Beim Dinner in der Bleckenau wurde ein Sechs-Gänge-Menü serviert. Es gab Reiscremesuppe auf königliche Art, Omeletts mit Schinken, Rinderschmorbraten mit Kartoffelpüree, gebratene Kalbsnuss mit grünen Bohnen, gegrilltes Hähnchen und Schmarrn mit Apfelkompott.

So lange sie konnte, bestieg Marie die bayerische Bergwelt. Doch mit zunehmendem Alter wurden aus den Bergpartien Spaziergänge. Einem weiteren Hobby ging sie allerdings bis ins hohe Alter nach. Sie liebte es zu fischen. Am Liebsten angelte sie Hechte im Alpsee oder Forellen in einem kleinen Bach bei Trauchgau.

Seit dem Frühjahr des Jahres 1889 schwanden Maries Kräfte zusehends. Im März des Jahres traf sie nach einem Kuraufenthalt in Hohenschwangau ein, wohin man das Hoflager verlegt hatte. Sie war schwach und abgemagert und nur noch ein Schatten ihrer selbst. Die Kur hatte nicht die erhoffte Besserung gebracht. Ab Anfang Mai festigte sich die Vermutung, dass Marie wohl nicht mehr gesund werden würde. Außer zum täglichen Gottesdienst in der Schlosskapelle verließ sie ihre Räumlichkeiten im Schloss nur noch selten. Prinzregent Luitpold, seine Tochter Therese und andere Familienmitglieder trafen abwechseln im Schloss Hohenschwangau ein, um die Königin Mutter zu besuchen. Am 16. Mai 1889 verschlechterte sich ihr Zustand rapide. Sie konnte nicht einmal mehr in die Schlosskapelle gehen. Um trotzdem einer Messe beiwohnen zu können, wurde ein Gottesdienst im Ortsgeschichtenzimmer in der Nähe ihres Schlafzimmers abgehalten, so dass sie keine Treppen mehr steigen musste. Pfarrer Waibel aus Elbigenalp war bereits einige Tage vorher angereist, um Marie beizustehen. Bis zum letzten Atemzug war sie wach und segnete die Menschen um sie herum. Am Vormittag des 17. Mai 1889 tat sie ihren letzten Atemzug, nur drei Jahre, nachdem ihr Sohn König Ludwig II. verstorben war.

Maries Leben prägten viele Schicksalsschläge. Der plötzliche Tod ihres Mannes, die psychische Erkrankung ihres Sohnes Otto, die Entmündigung und der frühe Tod ihres Sohnes Ludwig. Nach ihrem Übertritt zur katholischen Konfession fand sie zunehmend Halt in ihrem Glauben. Ihr Tod jährt sich heuer zum 130. Mal.

Text: Vanessa Richter · Foto: Hubert Riegger

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