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Fachkräftemangel in der Pflege

BRK – St. Michael geht unkonventionelle Wege zur Rekrutierung von internationalem Personal und Auszubildenden

Erfolgreich internationale Auszubildende rekrutieren ist für das Seniorenheim St. Michael in Füssen fast eine Routine. „Nach mehreren Jahren Erfahrung mit der Rekrutierung und Integration internationaler Mitarbeiter und Azubis hat sich unsere Strategie grundlegend geändert: Wir beschäftigen inzwischen knapp 100 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen aus über 30 verschiedenen Ländern. Anstatt mit Vermittlungsagenturen zu arbeiten, kümmern wir uns über private Kontakte unserer Mitarbeiterschaft selbst mit Fokus auf Kamerun und Albanien“, erzählt Matthias Stroeher, Leiter des Seniorenheimes.

Durch seine kontinuierliche interne Personalentwicklung ist so eine Stabilität in der Pflege möglich geworden. „In diesem Jahr haben wir 3 Absolventinnen der 3-jährigen Ausbildung zur Pflegefachfrau, zwei von Ihnen waren zuvor als Pflegehelferinnen beschäftigt. Eine der Auszubildenden, Jasna Demirovic, hat als zweitbeste mit einer Gesamtnote von 1,4 bestanden und unmittelbar im Anschluss ihrer Ausbildung eine Leitungsposition übernommen“, so Stroeher. Insgesamt 14 Auszubildende im Pflegebereich bildet das Seniorenheim aus.

Warum gerade Kamerun und Albanien für das Recruiting ideal sind, erklärt Stroeher so: „Wir kennen die länderspezifischen behördlichen Hürden. Kamerun verfügt über ein gutes Bildungssystem, in dem die schulische Ausbildung auf einem hohen Niveau ist. Das hilft bei der Ausbildung und hat hohes gefordertes Leistungsniveau. In Albanien herrscht eine große Energie in einer aufstrebenden Gesellschaft. Albanisch ist eine dem Deutschen verwandte romanische Sprache. Viele Albaner lernen Deutsch leichter.“

Dass nicht nur in Albanien eine große Skepsis gegenüber Vermittlungsagenturen vorliegt, ist mittlerweile nicht von der Hand zu weisen. Die schnelle Ausdehnung der internationalen Fachkräftevermittlung, eine Art „Goldrauschstimmung“, hat global inzwischen großen Schaden verursacht. Jeder möchte ein Stück vom Kuchen abhaben.

„Wir als BRK haben mit unseren albanischen Mitarbeitern erstmals eine eigene kleine Konferenz in einem Hotel in Tirana veranstaltet. Wir möchten unsere künftigen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen persönlich von Beginn an kennenlernen. Unsere Angebote und Versprechen möchten wir selbst formulieren und nicht profitorientierten Agenturen überlassen“, beschreibt Stroeher.

So wie in vielen europäischen Ländern dauert auch in Albanien eine Pflegeausbildung fünf Jahre. „Dort lernt man Pflege nicht, sondern Pflege wird studiert“, erklärt Matthias Stroeher.

Dass diese persönliche Begleitung von Anfang an sehr zeitaufwändig ist, ist Fakt. So mal nebenher Personal zu rekrutieren, ist unmöglich. Es geht hier um viel mehr – nämlich um den humanistischen Input, wie es Stroeher nennt, der keineswegs Externen überlassen werden sollte. „Hierzu gehört es auch, sich eine persönliche Kompetenz im Dschungel der Behörden und Bürokratien anzueignen. Diese Kompetenz ist auf dem Markt nicht zu bekommen, da die lokalen Verhältnisse auf kommunaler und Landesebene sich erheblich unterscheiden. Auch diese Dschungeldurchquerung begleiten wir eng!“, so seine Aussage.

Wenn die formalen Vorgaben (Deutsch B1 / B2, Schulbildung / Zeugnisanerkennung) erfüllt sind, dauern die Verfahren auch mit dem beschleunigten Visaverfahren sechs bis 24 Monate, das hängt allerdings vom Heimatland ab. In Deutschland angekommen, müssen Deutschkenntnisse neben der Ausbildung oder neben dem angetretenen Vollzeitjob weiter gelernt werden.

Diese „echte“ Einarbeitung oder Wissens- Kompetenztransfers dauern weitere ein bis drei Jahre. „Wir machen gute Erfahrungen mit ernst gemeinter, aufrichtiger, humanistischer Personalsuche, Rekrutierung, Begleitung im neuen Leben und der neuen Arbeit. Das kostet geeignetes qualifiziertes, internes Personal und die innere Einstellung dazu.“, ist sich Stroeher sicher.

Bei so vielen verschiedenen Nationalitäten möchte man meinen, dass sich die Zusammenarbeit eventuell als schwierig erweisen könnte. Ist sie es? „Die Mehrzahl unserer internationalen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen ist jung und in ein globales Setting eingebettet. Sie begegnen ihrer neuen Welt im Allgäu offen und tolerant. Konflikte werden nicht vor dem Hintergrund von Herkunft geführt, weil es eben auch keine indigenen Mehrheiten mehr gibt, wie noch zu Zeiten der Gastarbeiter. Es ist nicht alles diskussionsfrei.

Die vielen unterschiedlichen Kulturen bereichern das Leben und die Arbeit in der Altenpflege erheblich. Respekt vor unseren Alten wird in vielen anderen Kulturen höher gehalten, als das bei uns noch der Fall ist in Deutschland. Respekt und Freunde prägen unser internationales Team deutlich im Vergleich“, beschreibt Stroeher und fügt hinzu: „Manchmal haben Bewohner und Bewohnerinnen oder ihre Angehörigen mit den internationalen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen Schwierigkeiten, wenn man das so überhaupt nennen kann. Das legt sich aber schnell wieder.“

Im Interview mit Keye Tchouyou Paule Marcelle aus Kamerun

Mit Keye Tchouyou Paule Marcelle zusammen machen derzeit vier weitere junge Menschen aus dem afrikanischen Kamerun eine dreijährige Ausbildung zur Krankenpflegerin beziehungsweise zum Krankenpfleger im Seniorenwohn- und Pflegeheim St. Michael in Füssen. Die 21-Jährige aus der westkamerunischen Stadt Bafoussam ist seit Ende August in der Lechstadt, wo sie bei ihrer Cousine Ida Ouethy wohnt, die als Praxisanleiterin schon länger in St. Michael arbeitet. Bei Marcelle haben wir uns nicht nur über ihre ersten Eindrücke hier erkundigt.

Was hat Sie bewogen, nach Deutschland zu kommen, um hier eine Ausbildung zu machen?
„Die Ausbildung ist in Deutschland besser strukturiert als in Kamerun, wo wir zwar ähnliche Ausbildungsmöglichkeiten für den Beruf als Krankenpflegerin haben, die aber wesentlich theoretischer sind. Hier in Deutschland ist die Ausbildung erheblich mehr praktisch ausgerichtet. In Deutschland gibt es zudem viel mehr Arbeitsmöglichkeiten als in Kamerun, wo wir auch schon viel über Deutschland gehört haben.“

Welche Erwartungen haben sie an die Ausbildung?
„Da die Ausbildung hier qualitativ besser ist, hoffe ich, dass ich dadurch auch insgesamt besser für meine spätere Berufstätigkeit vorbereitet werde.“

Wie haben sie sich auf ihre Ausbildung hier vorbereitet?
„Nach einem viermonatigen Praktikum in einem Krankenhaus in Kamerun habe ich mich entschieden, einen Pflegeberuf zu erlernen. Dazu hat mich nicht zuletzt meine Mutter inspiriert, die auch Krankenschwester ist. Nach dem normalen Deutschunterricht, den wir bei uns teilweise in der Schule haben, habe ich dann zwei Jahre lang eine Sprachschule besucht, um meine Deutschkenntnisse auszubauen.“

Haben sie sich schon Gedanken gemacht, ob sie nach ihrer Ausbildung zurück in ihre Heimat gehen wollen?
„Nein. Darüber habe ich noch nicht nachgedacht. Das ist momentan noch völlig offen.“

Können sie nach der kurzen Zeit, die sie hier sind, sagen, ob sie sich das so vorgestellt haben?
„Bis jetzt bin ich sogar sehr positiv beeindruckt. Ich hatte einen guten Start hier und komme bestens mit meinen Kolleginnen und Kollegen sowie den Bewohnern hier aus. So fühle ich mich absolut nicht isoliert, sondern sehr gut aufgenommen.“

Wie haben ihre Familie und Freunde darauf reagiert, als sie ihnen mitgeteilt haben, in Deutschland ihre Ausbildung zu absolvieren?
„In der Familie haben sich bis auf meine kleine Schwester, die zuerst ziemlich traurig darüber war, alle sehr für mich gefreut. Bei meinen Freunden war die Reaktion auch freudig, obwohl ich nicht hundertprozentig sicher sagen kann, ob jemand vielleicht auch ein bisschen neidisch auf mich war.“

Eine Frage zuletzt: Warum haben sie sich für diesen Beruf entschieden?
„Mir gefällt es, anderen Menschen so im direkten Kontakt helfen zu können. Darüber hinaus freue ich mich auch sehr über die persönliche Dankbarkeit, die man manchmal dafür erfährt.“

Text: Sabina Riegger · Foto: Alexander Berndt

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