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„Im Leben gibt es Schatten und Licht“

„Ich habe mir nie vorgenommen, zu schreiben. Ich habe damit angefangen, als ich mir nicht anders zu helfen wusste“, sagte einst Literatur Nobelpreisträgerin Herta Müller.

Diesen Satz kann Heidrun vom Bovert nur unterstreichen. Nachdem ihr Mann gestorben war, fing sie an, ihre Gedanken und Gefühle in Form von Gedichten zusammenzufassen. „Ich schrieb über alles, was mich besonders erfreut oder geärgert hatte – ich schrieb es mir von der Seele“, erzählt sie. Vier Gedichtbände sind seitdem erschienen. Zuletzt eine kleine Zusammenfassung von Gedichten mit dem Titel „Ich schenke Dir ein glückliches Jahr.“

Gedichte sind etwas ganz Persönliches, das weiß auch Heidrun vom Bovert. Ihr macht das nichts aus, im Gegenteil. Sie hat nichts zu verbergen, aber auch nichts zu verschönern. Sie schreibt so, dass es jeder und jede verstehen kann. „Als ich meine Ausbildung zur Erzieherin machte, hatte ich eine Pädagogik- und Jugendliteratur-Lehrerin. Das war die Freundin von Astrid Lindgren. Sie sagte: „Sie müssen so sprechen und schreiben, dass sie auch ein Kind versteht“, und so habe ich es immer gehalten“, erzählt sie.

Mit ihrer direkten Art eckt sie manchmal an. Sie redet nicht gerne um den heißen Brei herum. „Denn die Zeit ist zu kostbar, sie damit zu vergeuden“, erklärt sie. Heidrun vom Bovert hat zwei Berufe gelernt, die sie mit Freude ausgeübt hat. Kinder, Tiere und die Natur lagen und liegen der 84-Jährigen am Herzen.

„Ich habe zuerst eine landwirtschaftliche Ausbildung gemacht, bevor ich Erzieherin wurde“, erzählt sie und schweift mit ihren Gedanken in das „Alte Land“, dem Obstanbaugebiet, das im Landkreis Stade liegt. Hier machte sie ihre landwirtschaftliche Ausbildung. „Ich wurde immer wieder gefragt, warum ich gerade diese Ausbildung mache, wo wir doch keinen Bauernhof haben. Aber mir machte das Spaß, der Umgang mit den Tieren, die Natur, die Arbeit. Das wollte ich.“ Dass sie noch die Ausbildung zur Erzieherin machte, darauf brachte sie die Lehrfrau, die drei Kinder hatte.

Heidrun vom Bovert lacht, als sie von ihrem Praktikum erzählt. Sie erinnert sich an jeden noch so winzigen Moment ihres ersten Praktikumtages an der Reeperbahn in St. Pauli. „Ich musste durch die Reeperbahn laufen. Es war ein Spießrutenlauf. Die Frauen lachten mich aus und fragten, ob ich neu bin. Anfangs war es ein komisches Gefühl da durchzulaufen. Ich dachte mir, das schaffst du schon.“

Sie hatte es auch geschafft und fühlte sich letztendlich auch wohl in der Jugendeinrichtung und mit ihr auch die Kinder, die zwischen zwölf und 14 Jahre alt waren. Es waren Kinder aus dem Milieu. Besonders ein Kind fiel ihr auf. Es war ein kleiner serbischer Junge, der Drago hieß und nie ein Messer zum Essen benutzte und nie mit der Farbe Rot malte.

„Der Junge musste als Zweijähriger mit ansehen, wie sein Vater die Mutter aus Eifersucht erschoss und zuletzt auch sich. Viele der Kinder hatten es nicht leicht und wir waren dazu da, um sie aufzufangen und ihnen einige Stunden eine Normalität zu bieten. Man nannte sie Strandgut, weil sie Kinder von Prostituierten waren und keine Väter hatten.“

Heidrun vom Bovert arbeitete viele Jahre mit Kindern und Jugendlichen zusammen und betrieb mit ihrem Mann eine eigene Landwirtschaft in Solingen. Wahrscheinlich wäre sie weiterhin in Solingen mit ihrem Mann und den beiden Kindern geblieben und sie hätte nie eine eigene Pension gehabt, nicht das Allgäu gesehen und die vielen Menschen aus dem Ausland, die bei ihr ein- und ausgingen.

Aber manchmal spielt das Leben eine andere Musik, als die, die man hören möchte. So war es auch bei Heidrun vom Bovert. Sie mussten mit ihrem Bauernhof Platz machen für die Viehbachtal-Autobahn, die mitten durch ihr Grundstück ging. Es blieb ihnen nichts anderes übrig als zu verkaufen.

„Das war alles nicht einfach. Plötzlich steht man da und weiß nicht wohin. Alles, was man aufgebaut hat und was man so gerne mochte, sollte nicht mehr sein.“ Das war 1972. Heidrun vom Bovert ist überzeugt davon, dass alles so kommt, wie es kommen muss. Letztendlich fügt sich alles zusammen wie bei einem Puzzle.

Ihr Puzzleteil war die Großtante, die mit ihrem Mann Otto zu Besuch kam. Er war aus Oberstdorf und bekam eine Lehrerstelle in Schwangau. „Sie meinte, wir sollten mit ins Allgäu kommen. Das machten wir und bauten dort 1973 unser Haus, das Landhaus Bovert“, erinnert sich die rüstige Rentnerin. Zehn Jahre war das ihr Zuhause, bis sich dann alles wieder änderte.

Heidrun vom Boverts Mutter starb und die Kinder drängten, nach Hause zu gehen. Sie fühlten sich in der Schule unwohl. Der Grund dafür war ihre Konfession. Damals war der Unterschied zwischen den zwei christlichen Religionen für manche unüberbrückbar. „Wir haben das Haus verkauft und zogen wieder nach Solingen zurück. Zwei Jahre später waren wir wieder in Füssen und kauften das Haus am Forggensee.“

Heidrun vom Bovert hat viel gearbeitet. Selbst als ihr Mann 2002 starb, machte sie weiter und empfing Gäste aus allen Herrgottsländern. Vor etwa vier Jahren zog sie sich aus dem Tourismusgeschäft zurück. „Es war mir zuviel, ich wollte nicht die Umstellung auf Computer. Dafür fühlte ich mich dann doch nicht mehr jung“, erläutert sie. Vieles kann sie nicht mehr machen, z.B. Stricken, Häkeln oder Sticken.

„Mein Augenlicht ist nicht mehr so, wie ich es mir wünschen würde. Aber man muss aus allem das Beste machen. Ich bin noch klar im Kopf, kann laufen und meinen Haushalt selbst führen. Was will ich mehr? Im Leben gibt es nun mal Schatten und Licht.“

Text · Foto: Sabina Riegger

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