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Füssen Tourismus und Marketing wirbt für Zertifizierung „Reisen für Alle“

In Deutschland hat ca. jeder 10. Mensch einen Schwerbehindertenausweis. Und nur ein kleiner Teil aller Behinderungen ist angeboren. Es geht im Tourismus also nicht nur darum, neue Gäste zu gewinnen, sondern auch darum, Stammgäste, die im Laufe ihres Lebens eine Behinderung bekommen, als Gäste zu behalten. Von Barrierefreiheit profitieren nicht nur körperlich und geistig beeinträchtigte Menschen.

Auch Familien mit Kleinkindern, Kinderwägen, Menschen höheren Alters und Menschen mit vorübergehenden Behinderungen erleichtern barrierefreie Angebote die Zugänglichkeit und Nutzung der Urlaubserlebnisse. Barrierefreiheit bedeutet mehr Komfort für alle. Wichtig ist auch, deutlich zu machen, dass es bei Barrierefreiheit keinesfalls um eine Gefälligkeit gegenüber behinderten Menschen, sondern vielmehr um ein Menschenrecht geht, das den Betroffenen die gleichberechtigte Teilhabe in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens ermöglicht.

Füssen aktuell sprach mit Julia Knaebel von Füssen Tourismus und Marketing über die Barrierefreiheit in Füssen und welche Bedeutung und Chancen die Zertifizierung “Reisen für Alle” für den Tourismus bringen kann.

Wie sieht es mit den barrierefreien Angeboten im Tourismus aus?
Für den kompletten Umbau bestehender Infrastruktur fehlt es vielerorts an Budget oder es handelt sich um Bestandsbauten, die nicht einfach so verändert werden können. Deshalb ist es kurzfristig oft schwierig, das barrierefreie Angebot zu erweitern bzw. alle touristisch relevanten Bereiche barrierefrei auszustatten. Aus meiner Sicht ist es daher sehr wichtig, darüber zu informieren, welche bestehenden Angebote wie und in welchem Umfang barrierefrei nutzbar sind. Bei dieser Orientierungshilfe, die wir unseren Gästen bieten wollen, kann das bundesweite Kennzeichnungssystem „Reisen für Alle“ helfen.

Bei der Zertifizierung mit „Reisen für Alle“ geht es nicht darum, dass alle Angebote eines Dienstleisters vollkommen barrierefrei sind, sondern darum, verlässliche Detailinformationen zu erheben und zu kommunizieren, die unseren Gästen Orientierung geben. Je nach seinen individuellen Bedürfnissen kann der Gast schon im Vorfeld eigenständig beurteilen, ob ein Besuch der Einrichtung für ihn möglich ist oder nicht.

Was hat es mit der Zertifizierung „Reisen für Alle“ konkret auf sich?
Bei der Zertifizierung mit „Reisen für Alle“ handelt es sich um ein bundesweites Kennzeichnungssystem, das durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz gefördert wird. Deshalb kann die Zertifizierung relativ kostengünstig umgesetzt werden. Auch der zeitliche Aufwand hält sich für den einzelnen Betrieb in Grenzen.

Hat man den Antrag auf Prüfung abgeschickt, bekommt man einen Prüftermin, bei dem ein speziell geschulter Prüfer den Betrieb vor Ort besucht. Anhand eines bundesweit einheitlichen Erhebungsbogens werden die Betriebe dann geprüft und bewertet. Das Kennzeichnungssystem umfasst Kriterien für Menschen mit Gehbehinderung bzw. RollstuhlfahrerInnen, für Menschen mit Hörbehinderung bzw. gehörlöse Menschen, Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen, Menschen mit Sehbehinderungen und Blinde.

Da werden z.B. Türbreiten oder Höhenunterschiede der Bodenbeläge gemessen, aber auch geschaut, ob ausreichend Sichtmarkierungen da sind. Je nach Erfüllungsgrad erhält der Betrieb zu den einzelnen Gästegruppen die Auszeichnung für „teilweise barrierefrei“ oder „barrierefrei“.

Zusätzlich muss mindestens ein Mitarbeiter im Betrieb eine 90-minütige kostenfreie Online-Schulung zum Thema „Barrierefreiheit als Qualitäts- und Komfortmerkmal“ besuchen. Die Durchführung dieser Schulung kann man sich aber zeitlich und ortsunabhängig individuell planen. Träger des Projektes „Reisen für Alle“ ist vorerst bis 31.12.2023 das Deutsche Seminar für Tourismus (DSFT) Berlin e. V.. In Bayern ist die Bayern Tourismus GmbH (BayTM) mit der Zertifizierung betraut, wobei die operative Durchführung über die Bayern Tourist GmbH (BTG) läuft.

Wie geht es weiter nach der Zertifizierung?
Das Zertifikat ist zunächst drei Jahre gültig. Danach kann man sich rezertifizieren lassen. Der geprüfte Betrieb erhält eine Urkunde sowie detaillierte Prüfberichte als Informationsgrundlage und wird mit Fotos auf den Websites reisen-fuer-alle.de und erlebe.bayern/urlaub-fuer-alle präsentiert. Auch unter www.fuessen/barrierefrei.de gibt es eine Auflistung mit den Füssener Angeboten und Betrieben. Die Neuauflage einer Print-Broschüre mit den barrierefreien Angeboten in Füssen ist gegen Ende des Jahres 2023 geplant. Wir hoffen, dass es bis dahin noch mehr zertifizierte Angebote in Füssen gibt.

Wer kann bei „Reisen für alle“ mitmachen?
Bei der Zertifizierung können alle Unternehmen der gesamten touristischen Servicekette mitmachen: Beherbergungsbetriebe, Restaurants, Museen oder andere Freizeiteinrichtungen und Erlebnisanbieter. Und wie schon erwähnt: Die vollständige Barrierefreiheit ist nicht Voraussetzung! Jedes geprüfte Angebot erhält mindestens die Kennzeichnung „Information zur Barrierefreiheit“ sowie Prüfberichte zu allen Gästegruppen. Auch Informationen zu Themen wie Allergien und Lebensmittelunverträglichkeiten können darin erfasst werden. Die Zertifizierung ist eine wertfreie Darstellung des Ist-Zustandes, die nur einen Mehrwert bringen kann.

Warum ist es so wichtig, dass sich Betriebe damit zertifizieren lassen?
Bereits jetzt bieten zahlreiche Betriebe in Füssen tolle Angebote an, die die Reisebedürfnisse von Menschen mit Behinderungen erfüllen. Andere Anbieter haben vielleicht noch nicht über das Thema Barrierefreiheit nachgedacht oder sind sich nicht sicher, ob sie ein passendes Angebot haben. Für all diese Betriebe lohnt es sich, ihre Angebote für Menschen mit Behinderungen prüfen und zertifizieren zu lassen, um sie dann bei diesen potentiellen Gästen bekannt machen zu können.

Auch für unsere MittarbeiterInnen in den Tourist Informationen, die häufig Anfragen zu barrierefreien Unterkünften und Freizeiteinrichtungen erhalten, ist die Zertifizierung hilfreich, um gezielt beraten zu können. Eine passgenaue Empfehlung zu geben, ohne dass die Einrichtung zertifiziert ist, ist für uns schwierig, da die Bedürfnisse der Gäste sehr individuell sind. Wir würden uns sehr wünschen, dass sich mehr ortansässige Betriebe zertifizieren lassen und so Transparenz geschaffen wird.

Wie sehen Sie die Chancen des barrierefreien Tourismus?
Barrierefreie Angebote werden nicht nur im Tourismus immer selbstverständlicher und haben ein großes ökonomisches Potenzial. Barrierefreiheit ist ein gesamtgesellschaftlich wichtiges Thema. Der demographische Wandel und das stetig wachsende Bewusstsein für soziale Themen in der Gesellschaft spielen hier eine wichtige Rolle. Gastgeber sollten beim Ausbau neuer Zimmer schon jetzt auf die Barrierefreiheit achten sowie die eigene Website und andere Kommunikationskanäle soweit wie möglich anpassen. Die Bayern Tourismus Marketing GmbH (BayTM) stellt zu diesem Thema viele Infomaterialien zur Verfügung, die wir auch immer wieder in unseren Gastgeber-Newslettern bekannt machen.

An wen können sich Interessierte wenden, wenn sie ihren Betrieb zertifizieren lassen möchten?
Betriebe, die sich zertifizieren lassen wollen, können sich gerne unter Tel. 08362 – 9385-25 oder per E-Mail an j.knaebel@fuessen.de mit mir in Verbindung setzen. Ich leite ihnen dann die entsprechenden Informationen und Kontakte weiter.

Vielen Dank für das Gespräch und ich wünsche Ihnen viel Erfolg bei der Umsetzung dieses Projekts.
Herzlichen Dank. „Reisen für Alle“ ist eines von vielen relevanten Projekten und Barrierefreiheit ein Prozess, an dessen Ende die Selbstverständlichkeit steht.

Text: JK · Foto: FTM

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