KulturLeben

Ermordung einer Kaiserin

Am frühen Nachmittag des 10. September 1898 verlassen zwei schwarz gekleidete Damen das Genfer Hotel Beau Rivage in Richtung Schiffsanlegestelle. Sie möchten das nächste Schiff nach Territet erreichen, dessen Abfahrt für 13.40 Uhr angesetzt ist. Eine der beiden Damen ist keine Geringere als Kaiserin Elisabeth von Österreich, heute besser bekannt unter ihrem Kosenamen „Sisi“. Ihre Begleiterin ist Irma Sztáray, ihre Hofdame. Seit einiger Zeit hält sich Sisi in Territet am Genfer See auf, um sich dort einer vierwöchigen Kur zu unterziehen. Am Vortag kam die Kaiserin über Pregny, wo sie die Baronin Rothschild besucht hatte, nach Genf und stieg unter dem Namen Gräfin von Hohenembs im Hotel Beau Rivage ab.

Seit vielen Jahren war die rastlose Kaiserin überwiegend auf Reisen und nur selten in Wien anzutreffen. Das Leben am Hof, das strenge Zeremoniell, die Bediensteten und Hofchargen sowie die Tatsache, ständig beobachtet zu werden, waren Sisi ein Graus. Nur fernab von Österreich fühlte sie sich davon befreit:
„Eine Möwe bin ich von keinem Land, / Meine Heimat nenne ich keinen Strand, / Mich bindet nicht Ort und nicht Stelle; / Ich fliege von Welle zu Welle“, dichtet Elisabeth.

Zu ihrer Rastlosigkeit gesellte sich seit geraumer Zeit eine tiefe Schwermut, die einer Todessehnsucht glich: „Ich wandle einsam hin auf Erden, / der Lust, dem Leben längst schon abgewandt, / es theilt mein Seelenleben kein Gefährte. / Die Seele gab es nie, die mich verstand“, notiert Sisi.

Eine ihrer Vertrauten berichtete in einem Brief: „(…) Ihre Majestät ist zwar immer lieb, wenn wir beisammen sind und redet wie einst. Sie ist aber nicht mehr die Alte – ein Schatten liegt über ihrer Seele. (…) Glaube mir, blutige Tränen weint mein Herz. Dabei macht sie Dinge, dass den Menschen nicht nur das Herz, sondern auch der Verstand stehen bleibt. Gestern früh war schon schlechtes Wetter, trotzdem fuhr sie mit dem Segler hinaus. Um 9 Uhr begann es schon zu giessen und bis 3 Uhr nachmittags dauerte der furchtbare, von Donner begleitete Guss. Während der ganzen Zeit segelte sie um uns herum, sass an „Deck“ – hielt den Regenschirm über sich und war ganz nass. (…)“

Seit dem Tod ihres Sohnes Rudolf, der sich mit seiner Geliebten Mary Vetsera vor neun Jahren das Leben genommen hatte, trägt Elisabeth nur noch Schwarz. Ihre ständigen Begleiter in der Öffentlichkeit sind dunkle Sonnenschirme oder Fächer, hinter denen sie sich vor neugierigen Blicken versteckt. Sisis Schwermut wird von Jahr zu Jahr größer. „Der Todesgedanke umkreist sie jetzt unausgesetzt …“, notierte ihre Hofdame.

Auch an diesem 10. September ist ihre Stimmung unverändert. Dass sie in wenigen Augenblicken ihrem Mörder begegnen wird, ahnt natürlich niemand, als sich die Kaiserin mit ihrer Hofdame zur Schiffsanlegestelle aufmacht. Vor dem Hotel Beau Rivage lauert der italienische Anarchist Luiggi Lucheni. Eigentlich war der 25-Jährige nach Genf gekommen, um Prinz Henri von Orléan zu töten, ein Mitglied der von Lucheni verhassten Aristokratie. Doch Prinz Henri änderte kurzfristig seine Reiseroute und ist nicht in mehr Genf, was ihm das Leben rettet.

Lucheni findet schnell ein neues, viel prominenteres Opfer: Die Kaiserin von Österreich. Aufgrund eines Artikels, der an diesem Morgen in einer Genfer Zeitung erscheint, wird er auf Sisis Aufenthalt in der Stadt aufmerksam. Denn trotz der Verwendung ihres Pseudonyms, war sie am Tag zuvor erkannt worden. Eine Neuigkeit, die die lokale Presse umgehend veröffentlichte.

Auf Elisabeths kurzem Weg vom Hotel zur Schiffsanlegestelle, fällt Lucheni über sie her, sticht ihr eine scharf geschliffene Dreikantfeile in die Brust und flieht. Schon nach wenigen Metern kann man ihn festhalten und verhaften. Zu diesem Zeitpunkt erfolgt die Verhaftung allerdings nur wegen des Überfalls, denn die Kaiserin steht sofort wieder auf und dankt ihrer Hofdame sowie den herbeigeeilten Passanten für die schnelle Hilfe. Den Stoß mit der Feile hatte niemand im Tumult bemerkt, denn Sisi hat keine sichtbaren Verletzungen.

Anschließend macht die Kaiserin mit Hilfe ihrer Hofdame ihr Kleid sauber und eilt an Bord des Schiffes, das sie nach Territet zurückbringen soll. Auf den letzten Metern zur Anlegestelle mutmaßt sie sogar, dass ihr dieser schreckliche Mensch wahrscheinlich die Uhr abnehmen wollte. Nachdem die beiden Damen an Bord gegangen sind, legt das Schiff ab. Wenige Augenblicke später bricht Sisi zusammen.

Sie kommt noch einmal kurz zu sich und fragt: „Was ist denn jetzt mit mir geschehen?“, um daraufhin sofort wieder das Bewusstsein zu verlieren. Als man ihr Kleid öffnet, sieht man nur eine winzige Einstichstelle, die ihr der Attentäter mit der Feile beigebracht hatte. Es scheint so, als hätte sie nur einen einzigen Tropfen Blut verloren. Das Schiff wendet augenblicklich und fährt zurück nach Genf. Sie wird in ihr Zimmer im Hotel Beau Rivage gebracht, doch ein herbeigerufener Arzt kann nur noch den Tod der Kaiserin feststellen. Lucheni hat Sisi mitten ins Herz gestochen. Sie verblutet innerlich. Nachdem ihre jüngste Tochter Marie Valerie vom Tod der Mutter erfährt, notiert sie in ihr Tagebuch: „Nun ist es gekommen, wie sie es immer wünschte, rasch, schmerzlos, ohne ärztliche Beratung, ohne lange, bange Sorgentage für die Ihren.“

Das Begräbnis findet am 17. September 1898 in Wien statt. Sie wird in der Kapuzinergruft beigesetzt. Die Österreicher trauern aber eher mit ihrem hoch verehrten Kaiser Franz Joseph, der seine Frau verloren hat, als um Sisi selbst. Ein Mitglied des österreichischen Hofes erinnert sich in einem Brief: „Es wurden ihr nur wenige Tränen nachgeweint.“

So endete das Leben einer rastlosen und schwermütigen Kaiserin, die aus ihrem goldenen Käfig ausbrach, um ihr eigenes Leben zu leben und trotzdem nicht glücklich wurde.

Erst nach ihrem Tod, interessiert man sich immer mehr für die Lebensgeschichte Elisabeths. So wird Sisi, für die sich zu Lebzeiten nur wenige interessierten, mit der Zeit zur Ikone.

Text: Vanessa Richter
Foto: Wikipedia

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