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Der König ist tot!

Um 4 Uhr morgens des 12. Juni 1886, einem Samstag, verließ eine königliche Kutsche den Schlosshof von Neuschwanstein. Eigentliche keine ungewöhnliche Zeit für eine Kutsche aus dem Fuhrpark des Königs. War er doch in den letzten Jahren zum Nachtmenschen geworden und hatte beinahe sein ganzes Leben in die dunklen Stunden verlegt – in eine Zeit, während der sein Volk schlief.

Doch die geschlossene Kutsche, die in dieser Nacht Neuschwanstein verließ, unterschied sich von den sonst üblichen in einer wesentlichen Eigenschaft – die Öffner-Oliven an der Innenseite der Türen waren entfernt worden. König Ludwig II. konnte die Kutsche von selbst nicht mehr verlassen. Eine Maßnahme, die den Monarchen an einer Flucht hindern sollte.

Ein Teil der sogenannten Fangkommission, die Ludwig bereits zwei Tage zuvor festnehmen wollte, war vor wenigen Stunden zurückgekehrt, um ihn in das Schloss Berg am Starnberger See zu eskortieren. Müde und geschafft von der Aufregung und den Strapazen der letzten beiden turbulenten Tage saß Ludwig in der Kutsche Richtung Berg fest. Scheinbar seinem Schicksal ergeben. Dort würde er die letzten Stunden seines Lebens verbringen. Dass das Ende des bayerischen Königs so nah war, ahnt in diesem Moment niemand.

Schloss Berg sollte für die nächste Zeit sein ständiger Aufenthaltsort sein, um wieder zu genesen. Aus einem seiner liebsten Schlösser war in wenigen Tagen eine Art Psychiatrie geworden. Die Stunden seiner ungehinderten und selbst gewählten Einsamkeit waren nun gezählt. In Berg warteten ununterbrochene Beobachtung durch Ärzte, Irrenwärter und Pfleger. Zu diesem Zweck wurden Türspione eingebaut, Fenster vergittert sowie Türklinken und Fensterriegel entfernt. Der König sollte seinen Lebensrhythmus wieder in den Tag verlegen und nach den Regeln der Ärzte leben.

Als er nun Neuschwanstein verließ, war er seit nunmehr zwei Tagen entmündigt und entmachtet. Sein Onkel Luitpold, mit dem er zeitlebens ein eher gespanntes Verhältnis pflegte, hatte in Stellvertretung Ludwigs, als Prinzregent die Regierung übernommen.

Am Nachmittag des folgenden Tages waren der König und der Psychiater Dr. Bernhard von Gudden in den weitläufigen Anlagen am Ufer des Starnberger Sees zu einem Spaziergang aufgebrochen. Allein. Ohne Wachen und ohne Wärter. Nachdem der Monarch und Dr. von Gudden nach zwei Stunden noch nicht zurückgekehrt waren, wurde schnellstmöglich das neue Staatsoberhaupt, Prinzregent Luitpold, informiert. „(…) Da wurde er in der Nacht zum 14ten geweckt, (…), zuerst mit der Nachricht, der König sei vom abendlichen Spaziergang noch nicht heimgekehrt, dann mit der Nachricht, man suche den Garten ab, u. so ging es weiter bis es hieß, man habe König u. Arzt im See ertrunken gefunden. (…)“, schrieb Prinzessin Therese von Bayern, Luitpolds Tochter in ihren Erinnerungen.

Therese war Ludwig II. sehr verbunden. Hatte sie doch seit ihrer Jugend beinahe jeden Sommer im Schloss Hohenschwangau verbringen dürfen. Hier am Rande der Alpen verlebte sie unbeschwerte Tage gemeinsam mit ihren Cousins Ludwig und Otto und ihrer über alles geliebten Tante Marie, der Königin Mutter. Innerhalb ihrer Familie stand Therese Ludwig am nächsten. Weder ihre Brüder noch ihr Vater hatten eine Verbindung oder gar Verständnis für den zuweilen eigenwilligen König. Nun war er tot! „Als ich in der Früh um halb sieben Uhr wie alltäglich zum Frühstück kam, theilte mir mein Vater die Schreckenskunde mit. Ich blieb buchstäblich erstarrt u. konnte keinen Gedanken fassen, ein Abgrund hatte sich vor mir aufgethan, ein düsterer, unergründlicher Abgrund. (…)“. Auch Luitpold selbst soll völlig fassungslos gewesen sein. So empfing er beispielsweise seinen Freund Ferdinand von Miller mit den Worten: „Man wird sagen, ich sei der Mörder.“ Die nächsten Jahre wird Luitpold mit enormen Anfeindungen kämpfen müssen.

Während sich die Todesnachricht in München und dem Umland wie ein Lauffeuer ausbreitete, hatte eine Person noch keine Ahnung von den Geschehnissen. Ludwigs Mutter, Königin Marie verbachte den Sommer wie so oft in ihrem Haus in Elbigenalp in Tirol. Die Aufgabe, Marie über den plötzlichen Tod ihres Sohnes zu informieren, übernahm Prinzessin Therese selbst. Sie scheute die 10 ½ Stunden Reise nicht. War Marie doch wie eine Mutter für sie. „(…) War das eine Reise, ich habe nie eine so entsetzliche gemacht. Man sehnte und man fürchtete sich anzukommen. (…)“. Therese und ihre Begleitung wussten ja nicht, ob Marie nun doch schon alles erfahren hatte. Die Reise führte sie auf direktem Weg von München nach Füssen. Dort wollte die kleine Reisegesellschaft den Weg über Reutte nach Elbigenalp nehmen. Die Schreckensnachricht hatte sie bereits überholt und war vor ihnen in Füssen angekommen. Mehrere entgegenkommende Kutschen schrien ihnen die Frage entgegen, ob es wahr sei, was man aus München hörte. Therese und ihre Begleiter konnten nur „Er ist tot“ antworten. Doch die Schockstarre der Bevölkerung wich zusehends einer großen Wut und Unmut „Dann kam Füssen, der Ort an dem ich so oft mit dem König gewesen in den früheren, glücklicheren Jahren. Dort war eben die Todesnachricht angekommen, und es gärte unter den Leuten; es schmeckte nach Revolution.“ Die Bevölkerung hatte den König verehrt. So war Ludwig durch seine Schlösser und seine Hofhaltung für viele Einheimische ein Garant für Arbeit und somit Lebensunterhalt geworden. Schock und Angst saßen tief. Die Menschen konnten nun nicht fassen, was geschehen war. War ihr geliebter König wirklich tot? Unglaublich!! „Bald war sowohl der begleitende Herr wie auch der Lakai von einem Haufen gedrängt, umringt, u. es hätte nur eines unvorsichtigen Wortes bedurft, um die Wuth in hellen Flammen aufschlagen zu machen“, erinnerte sich Therese an die Wartezeit in Füssen, während der die Pferde gewechselt wurden. Und obwohl es zwischendurch eher brenzlich schien, konnte die königliche Prinzessin ihre Reise nach Elbigenalp sicher fortsetzen und ihrer geliebten Tante Marie die traurige Nachricht überbringen.

Marie weinte bitterlich. Die schreckliche Nachricht setzte ihr enorm zu. Ihren toten Sohn würde sie nicht mehr sehen können.

Text: Vanessa Richter
Foto: Wikipedia

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