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Die Heldin von Gaeta

Den Sommerurlaub des Jahres 2021 verbrachte so mancher wieder im nahegelegenen Italien – einem Land, das wir wegen seinem warmen Klima, dem guten Essen, dem Meer und dem besonderen Flair als Urlaubsdomizil so schätzen. Das heutige Gebiet der Republik Italien setzte sich im 19. Jahrhundert gleich aus mehreren Königreichen zusammen. In einem dieser Königreiche, genauer gesagt im Königreich beider Sizilien, war eine bayerische Herzogin die Königin.

Königin Marie beider Sizilien war die vier Jahre jüngere Schwester der allseits bekannten Kaiserin Elisabeth („Sisi“) von Österreich und eine geborene Herzogin in Bayern. Wie alle Kinder aus dem Herzoglichen Hause, verlebte auch Marie eine unbeschwerte und freie Kindheit, die ganz von der liebenden und fürsorglichen Erziehung ihrer Mutter Ludovika in Bayern bestimmt war. Ludovika und ihr Ehemann Herzog Max hatten zehn Kinder, fünf davon waren wunderhübsche Mädchen, denen große Aufmerksamkeit zuteil wurde. Die Angebote und Heiratsanfragen ließen nicht lange auf sich warten. So kam es, dass im Jahr 1859 auch Maries unbeschwerte Zeit in ihrem Elternhaus enden sollte. Sie wurde verheiratet.

Der „Kandidat“ stellte eine glänzende Partie dar. Francesco war Kronprinz des Königreichs beider Sizilien und auf politischer Ebene auch für Maries Schwager Kaiser Franz Joseph von Österreich von Interesse, der die Aussicht auf familiäre Bande mit diesem Teil Italiens befürwortete. Die bayerische Königsfamilie und die österreichische Kaiserfamilie stimmten der Vermählung zu. Nur eine hatte hier kein Mitspracherecht – die Braut selbst. Maries Mutter Ludovika schrieb: „… Es ist mir große Beruhigung, Mariens Zukunft, allem Anschein nach, gesichert zu wissen, aber es ist ein großer Schmerz, sie so weit ziehen zu lassen! Und dass die jungen Leute sich nicht kennen, ist ängstlich!“ Marie hatte ihren zukünftigen Ehemann nämlich noch gar nicht kennengelernt. Lediglich ein Bild von ihm war ihr gezeigt worden. Über sein Wesen, seine Art, seinen Charakter wusste sie nichts. An dieser Tatsache sollte sich auch bis zur Hochzeit, ja sogar weit über die eigentliche Trauung hinaus nichts ändern.

Am 8. Januar 1859 war es soweit. Marie schritt am Arm ihres ältesten Bruders Ludwig in der Allerheiligenhofkirche vor den Traualtar, um Kronprinz Francesco beider Sizilien zu heiraten. Und das, obwohl ihr Vater sie vor diesem Schritt gewarnt hatte: „Heirate ihn nicht! Er ist ein Trottel!“ soll er seiner Tochter in einem Brief geschrieben haben.
Die Trauung wurde per procurationem, also mit Stellvertreter, vollzogen. Was bedeutet, dass der Bräutigam bei der Trauung nicht anwesend war. Dieser befand sich zu Hause in Neapel. Der Bräutigam wurde durch Prinz Luitpold von Bayern vertreten, dem späteren Prinzregenten.
Als Marie die Kirche verließ, war sie nicht nur verheiratet mit einem ihr unbekannten Mann, sie war auch zur Herzogin von Kalabrien und Kronprinzessin beider Sizilien aufgestiegen. Nur kurze Zeit später begab sich Marie auf die Reise Richtung Italien. Ludovika fiel die Trennung sehr schwer, da sie ihre Tochter in eine völlig ungewisse Zukunft entlassen musste.

Ein Wermutstropfen auf der Reise in die neue Heimat war der Zwischenstopp in Wien bei Ihrer Schwester Sisi. Zwei Wochen verbrachte Marie am österreichischen Kaiserhof. Aus überaus fröhlichen und glücklichen Briefen Maries und Sisis an die Mutter ist zu schließen, dass es ihr in Wien wohl sehr gut gefallen hat. Ludovika hatte sogar ein wenig Bedenken, dass es Marie zu gut gefallen könnte. Doch diese Angst war unbegründet die Reise wurde wie geplant fortgesetzt und Marie erreichte bald darauf ihre neue Heimat.

Am 3. Februar 1859 kam sie in der Hafenstadt Bari an. Hier begegnete sie zum ersten Mal ihrem Ehemann. Sämtliche Verwandten hatten genau vor diesem Moment ein wenig Bedenken, denn der junge Thronfolger soll kein Adonis gewesen sein. Auch Maries Schwiegermutter, die Königin begrüßte sie. Nur König Fernando selbst war zu krank und zu schwach, um seine frischgebackene Schwiegertochter empfangen zu können. Sein Zustand verschlechterte sich so rasch, dass er nur drei Monate nach Maries Ankunft verstarb.

Marie und ihr Ehemann wurden das neue Königspaar. Der labile Thronfolger und seine junge, unerfahrene Ehefrau konnten gegen die starke und sehr ehrgeizige erst 43-jährige Königin-Witwe nicht bestehen, die mit aller Macht gegen das junge Königspaar intrigierte. Auch außenpolitisch brodelte es auf gesamtitalienischem Gebiet. Der Wunsch nach einem Zusammenschluss aller italienischen Königreiche wurde immer lauter. Das bedeutete, dass auch das Königreich beider Sizilien, Maries Königreich, in einem geeinten Italien aufgehen würde.

Der Krieg ließ nicht lange auf sich warten. Im Jahr 1860 begannen die Aufstände. Im September erreichten die revolutionären Truppen Neapel. Marie, ihr Mann und deren Gefolge flohen in die Festungsstadt Gaeta, in der sich bereits die ungeliebte Schwiegermutter aufhielt. Knapp zwei Monate später wurde Gaeta belagert.

Lange hielt die Stadt der Belagerung nicht stand. Aufgrund der plötzlich fünffach höheren Bevölkerung wurde die Verpflegung schnell knapp, auch die Hygiene in der Stadt verschlechtert sich zusehends, Typhus brach aus. Maries Schwiegermutter und deren Gefolge flohen nach Rom. Doch Marie dachte nicht daran aufzugeben. Sie ging durch die Reihen der Bevölkerung und sprach allen Mut zu, besuchte Verletze in den Lazaretten und stand zwischen den Soldaten auf den Befestigungsanlagen an vorderster Front. Ein Augenzeuge berichtete: „Die reizende Königin beider Sizilien hat Heldenblut in den Adern. Sie ging heute auf den Batterien spazieren; die Kugeln schlugen von Zeit zu Zeit in ihrer Nähe ein; ….“ Furchtlos und kämpferisch versuchte sie ihrem Volk eine wahre Königin zu sein und wich den Menschen nicht von der Seite.

Doch allem Heldenmut und aller Tapferkeit zum Trotz musste das Königspaar am 13. Februar 1861 die Kapitulationsurkunde unterzeichnen und sein einstiges Reich verlassen. Mit dem Abschied des Königspaares endete die Existenz des Königreichs beider Sizilien. Doch die letzte Königin ging als die „Heldin von Gaeta“ in die Geschichte ein.

Text: Vanessa Richter, Kulturvermittlerin im
Museum der bayerischen Könige in
Hohenschwangau
Foto: Wikipedia

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