Kolumne

Hellwach

Ich habe lange überlegt, ob es gut ist unsere Familie zu vergrößern. So ungefähr ein Jahr lang. Ich weiß, das ist keine Ewigkeit, aber trotzdem genügend Zeit um nachzudenken. Und im Nachdenken bin ich gut. Ich meine damit, dass ich mir über die Dinge den Kopf zerbreche. Und meistens dauert das lange. Manchmal sehr lange und bei manchem vielleicht auch zu lange. Nachdenken, abwägen, überlegen- das gehört zu mir wie der Schnauzer zu Tom Selleck.

Irgendwann dachte ich dann, ich hätte genug nachgedacht und habe meine Überlegungen zum Thema «Familie vergrößern» abgeschlossen. Ich war mir sicher, dass es gut werden würde. Auch wenn die Umstände vielleicht nicht die besten waren. Aber wann sind sie das schon?

Inzwischen sind fast eineinhalb Jahre vergangen, seitdem wir zu fünft sind. Die Jahre zuvor bin ich viele Nächte wach gesessen, habe unzählige Windeln gewechselt und Wäscheberge zusammengelegt, die mit den knapp fünftausend Metern des Mont Blanc locker mithalten können. Was ich sagen will: Oft waren meine Augenränder tiefer und dunkler als jedes Erdloch, aber sie waren es wert.
Immer. Und immer wieder.

Aber dann kam «er». Und ich war müde. Müder als nach jedem Wäscheberg zuvor. Ich erinnere mich an eine bestimmte Situation, in der ich lieber doch zu viert bleiben wollte. Und zwar sofort.

Das war so:
Er war erst seit ein paar Stunden Teil unserer Familie. Um uns herum war das große Umzugschaos: Kisten, Malersachen und zwei Kinder, die ihn beobachten wie der Geheimdienst ihr Zielobjekt.

Er saß mittendrin und schaute sich mit seinen dunklen Augen um. Dann stand er auf, drehte sich wie ein Propeller um seine eigene Achse, bis er plötzlich stoppte, eine sehr spezielle Haltung einnahm und sein Geschäft auf den Echtholzboden fallen ließ. Einfach so. Ich war so sauer. Keine Ahnung was ich erwartet habe. Ganz offensichtlich waren meine Überlegungen eher rudimentär und rosarot als durchdacht- ein einschneidender Aha-Effekt für mich.

Unser Hund ist inzwischen größer als ein Schaf, er klaut ungeniert Socken, und manchmal ist er stur wie ein übermüdeter Teenager. Dann zieht er an der Leine wie ein ungarischer Zugochse den Pflug. Aber ich bin trotzdem nicht müde. Vielleicht bin ich durch ihn sogar wacher als zuvor.

Ja, ganz sicher sogar.

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