Menschen

Aus der Bahn geworfen

Immer mehr Menschen werden in Deutschland wohnungslos. Wie viele es sind weiß man nicht genau, denn Wohnungslose werden in Deutschland nicht erfasst. Eine Statistik gibt es nicht.

Laut Schätzungen der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe sollen 2016 etwa 860.000 Menschen von einer Wohnungsnot betroffen gewesen sein. Wobei man unterscheiden muss zwischen wohnungs- und obdachlos. Oft macht man den Fehler, dass man beide Begriffe synonym verwendet, obwohl sie unterschiedliche Bedeutungen haben. Denn Obdachlosigkeit ist ein Teil der Wohnungslosigkeit. Als obdachlos werden Personen bezeichnet, die weder festen Wohnsitz noch Unterkunft haben. Sie übernachten auf der Straße. Wohnungslos sind dagegen Menschen ohne Mietvertrag. Sie schlafen bei Freunden und Bekannten, in Notunterkünften oder staatlich finanzierten Wohnheimen.

Auch in Füssen gibt es Menschen, die wohnungslos sind. „Es gibt vermehrt Zwangsräumungen in der Stadt, das stellen wir schon fest. Vor vier Jahren waren es noch etwa fünf Zwangsräumungen pro Jahr. Heute sind es zehn“, erklärt Verwaltungsfachwirt und Leiter des Ordnungsamtes Markus Gmeiner. Nicht jede Kommune hat die Möglichkeit für Wohnungslose eine Unterkunft zu stellen, so wie Füssen. Ein Haus mit 22 Zimmern steht den betroffenen Personen zur Verfügung, die zwischen zehn und 22 Quadratmeter groß sind. Erst vor einigen Jahren wurden die Etagenduschen und Toiletten sowie die Gemeinschaftsküche neu saniert. Zwölf Zimmer sind derzeit belegt. Dass Wohnungslosigkeit jeden treffen kann, steht außer Frage. „Man verliert den Job, kann die Miete nicht zahlen,… die Schulden häufen sich. Ich war bei zwei bis drei Zwangsräumungen dabei. Das ist nicht schön. Es ist eine schlimme Situation“, erzählt der Verwaltungsfachwirt.

Jeder, der in Füssen gemeldet ist und wohnungslos wird, hat das Anrecht auf eine Notunterkunft. Wie lange man dort wohnen bleiben kann, entscheiden die Personen selbst, beziehungsweise der Wohnungsmarkt. Es ist ein Kreislauf, der manchmal schwer zu durchbrechen ist. Nicht nur psychologische Hilfe ist hier notwendig. Die Stadt Füssen arbeitet mit der Fachstelle zur Vermeidung von Obdachlosigkeit zusammen. Es ist eine gute Kooperation, die sich um die Menschen kümmert, die in diese Notlage geraten sind. Ihren Sitz haben sie in der Herzogsägmühle in Peiting. Die Fachstelle, die von der Diakonie Bayern getragen wird, ist für den Raum Ostallgäu sowie Weilheim zuständig und hat unter anderem in Marktoberdorf ein Büro.

Wird man wohnungslos, bekommt die Stadt eine Mitteilung vom Gerichtsvollzieher. Dann wird ein Bescheid ausgestellt. „Diese Einweisung ist deshalb notwendig, um eine Obdachlosigkeit zu vermeiden. Bei Familien, die wohnungslos werden, versuchen wir eine Wiedereinweisung in die Wohnung. Dass heißt, sie bleiben in ihrer alten Wohnung, bis eine passende Unterkunft gefunden wird. Im Stieranger 5 ist es für Familien nicht geeignet“, so Markus Gmeiner. Etwa 90% der Wohnungslosen, die in der Unterkunft in Füssen leben, sind Deutsche. Manche schaffen es von dort wieder rauszukommen, Andere wollen es nicht. „Sie fühlen sich wohl und brauchen nicht mehr Platz oder eine andere Umgebung“, weiß der Verwaltungsfachwirt. Pro Quadratmeter erhebt die Stadt 3,90 Euro Gebühr. Strom ist in der Gebühr nicht inbegriffen. Kann eine Kommune keine eigene Unterkunft stellen, ist sie gesetzlich dazu verpflichtet, den oder die Betroffenen in einer Pension unterzubringen.

Das Klischee, dass Wohnungslose und Obdachlose aus einem bildungsarmen Milieu kommen, Alkohol- oder Drogensüchtig sind, muss nicht stimmen. Es gibt obdachlose Menschen, die nie eine Wohnung hatten und bereits als Kind in Heimen, Jugendwohngemeinschaften und später gar in Haftanstalten untergebracht waren. Es gibt aber auch obdachlose Menschen, die Jahre vorher Familie und Beruf hatten. Straßenkinder und obdachlose Jugendliche ziehen ein Leben auf der Straße meist den Konflikten in der Familie oder im Heim vor. Bei ihnen gab es meist einen Bruch in der Biographie, einen Schicksalsschlag: Eventuell ist die Partnerschaft zerrüttet – bis hin zur häuslichen Gewalt, ein geliebter Angehöriger gestorben oder alles zusammen. Der häufigste Grund für Wohnungsverlust sind Mietschulden gepaart mit einer wirtschaftlichen Notlage. Viele Dinge zum falschen Zeitpunkt können Menschen aus ihrer Bahn werfen.

INFO:
Bei der Fachstelle zur Vermeidung von Wohnungslosigkeit bekommt man Hilfe. Das vorrangige Ziel ist es, den Verlust der Wohnung und somit Wohnungslosigkeit zu vermeiden. Sie unterstützen die Betroffenen in folgenden Punkten:
Der Wohnungssicherung, Hilfe bei wirtschaftlichen, gesundheitlichen und persönlichen Problemen, Kontaktaufnahme und Konflikte mit Vermietern, Klärung von Leistungsansprüchen gegenüber Behörden, Probleme mit Mietrückständen, der Abwendung eines Räumungstermins, Informationen zur Wohnungssuche, Vermittlung in weiterführende Angebote.

Adresse:
Marktplatz 4 · 87616 Marktoberdorf · Telefon: 0 83 42 89 57 07 41
Der Zugang zu den Büroräumen befindet sich auf der Rückseite (Hinterhof) im Gebäudekomplex Sport Huttner.

Text: Sabina Riegger

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