Kolumne

Danke

Vor mir liegt der Report einer jungen Journalistin. Sie war auf der Suche nach Antworten auf die Frage: „Was macht ein glückliches Leben aus?“
Die Antworten wollte sie auf der ganzen Welt finden: In der Steiermark, in Kathmandu, Japan und Griechenland, in Auckland, Israel und Indien. Nach sechs Monaten und vielen, vielen Interviews später buchte sie ihr letztes Flugticket nach Italien.

Sie landete in einem kleinen Dorf mit 15 Einwohnern südwestlich von Campobasso, in der Nähe von Neapel. Einer von Ihnen ist Gaetano. Er ist 87 Jahre alt, neunfacher Urgroßvater, begnadeter Sänger und Herrscher über einen kleinen, alten Hof mit drei Hühnern, zwei Alpakas, fünf Hängebauchschweinen, einem Esel und einem Dutzend Schafe und Ziegen.

Die Journalistin will von Gaetano wissen, wie man ein glückliches Leben führt und bittet ihn auch um seine Meinung. Noch bevor Gaetano antwortet, zieht er kräftig an seiner Zigarre. Aus den Rauchschwaden sieht er sie an, zeigt auf ihr linkes Bein, lacht und sagt: „Sei für alles dankbar im Leben. Auch für den Schweinemist auf deiner hellen Hose!“

Ich bin sicher, sie war dankbar. Dankbar für den Schweinemist. Und vor allem dankbar für Gaetano. Und wahrscheinlich hat Gaetano Recht: „Sei für alles dankbar im Leben“ muss die Formel für ein glückliches Leben sein. Ich will es probieren. Gerade jetzt, wo das neue Jahr anfängt und es sich an Silvester um Punkt Null Uhr für einen Moment so anfühlt, als könnte man einfach auf Reset drücken und alles hinter sich lassen, wofür man ganz und gar nicht dankbar war. Ich dreh den Spieß um und mach‘s wie Gaetano:
„Liebes Leben,

Ich will Dir danken. Danke für ein großartiges Jahr voller wertvoller Erfahrungen. Danke, für alles. Danke für 260 Euro Strafzettel im Ausland. Danke für die verschnittene Frisur im Februar. Danke, dass mein Kind seinen „Stinkefinger“ entdeckt hat. Danke, dass mein geliebter französischer Geldbeutel von drei Autos hintereinander überfahren wurde.
Danke für die gruseligste Nacht meines Lebens in dem schwedischen Herrenhaus mitten im Nirgendwo.

Gaetano hat Recht. Dankbarsein macht glücklich. Meine Haare sind inzwischen wieder gewachsen. Einen neuen Geldbeutel hab ich auch. Und aus dem Haus in Schweden sind wir lebend rausgekommen. Was will ich mehr?

Gut, für die Sache mit den Strafzetteln und den Stinkefinger wäre mir eine Reset-Taste doch lieber. Geht aber nicht.

Aber eigentlich ist es auch egal. Danke, nämlich, dass es nur das ist!“

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