Menschen

Wenn sich die Welt gleich doppelt verändert…

Unbegleitete minderjährige Asylsuchende im Ostallgäu

Für Abdo, Heidr, Bilal und Abid hat sich die Welt innerhalb weniger Monate komplett gedreht. Und das in einer Zeit, in der sie selbst angefangen haben, sich stark zu verändern. Alle vier sind zwischen 15 und 16 Jahre alt, sie kommen aus Syrien, dem Irak und aus Pakistan. Seit Mitte November leben sie im südlichen Ostallgäu, sie gehören zu den sogenannten „unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen“, in der Behördensprache kurz UMF genannt.

Ende des vergangenen Jahres waren es bundesweit rund 18.000 UMF, die in Maßnahmen der Kinder- und Jugendhilfe untergebracht waren. Bis Ende diesen Jahres werden die Zahlen auf etwa 40.000 geschätzt. Sie alle kommen nach Deutschland, nachdem sie wochen- oder monatelang unterwegs waren, auf der Flucht vor dem Krieg oder den unmenschlichen Zuständen in ihrer Heimat. Sie kommen allein oder auch mit Geschwistern, mussten Eltern und Angehörige zurück lassen, um selbst hier bei uns in Sicherheit zu sein.

Im Landkreis Ostallgäu sind es aktuell etwa 90 Minderjährige im Alter zwischen 11 und 18 Jahren. Untergebracht sind sie in insgesamt 16 verschiedenen Unterkünften, etwa 30 von ihnen leben rund um die Stadt Füssen. Die UMF wurden sowohl in der Lechstadt als auch in Schwangau, Nesselwang, Eisenberg, Lechbruck, Seeg und Roßhaupten einquartiert. Weit weg von zu Hause müssen sich die Kinder und Jugendlichen nun in einer völlig neuen Welt zurechtfinden. Dabei werden sie von örtlichen Betreuern versorgt und gefördert. So wie in der stationären Jugendhilfeeinrichtung der Johanniter in Roßhaupten, in der zur Zeit vier minderjährige Jugendliche leben. Seit Mitte November sind sie dort in der „Villa im Wald“ zu Hause. Anfangs, erzählt die Leiterin und Diplom-Pädagogin Barbara Pal, haben sich die jungen Asylsuchenden noch etwas unwohl gefühlt in ihrer neuen Umgebung, sie haben sich sogar etwas gefürchtet. „Das liegt aber vielleicht auch an der Lage der Villa hier fast mitten im Wald, obwohl wir direkt am Ortsrand von Roßhaupten sind. Die ersten Tage mussten wir nachts das Licht anlassen, mittlerweile können aber alle vier gut schlafen.“

Von den schrecklichen Erlebnissen in der Heimat erzählen sie nur selten, Traumatherapeuten oder Jugendpsychologen sind hier nicht im Einsatz. Wichtig ist aber, so Barbara Pal, ein gut strukturierter Ta-gesablauf, nach dem sich die Jugendlichen richten können. Das feste Tagesprogramm hilft, um schlechte Stimmungen oder auch eventuell vorhandene Depressionen wieder abzubauen. Der neue Alltag beginnt gegen sechs Uhr morgens, nach dem Aufstehen und Frühstück steigen die Jungs pünktlich um sieben Uhr in den Bus nach Füssen.
Alle vier sind in einer sogenannten Übergangsklasse an der Anton-Sturm-Mittelschule untergebracht, in der sie vornehmlich Deutsch lernen. Erst die Arbeit, dann das Spiel. Genau nach diesem Leitsatz stehen nach dem Mittagessen die Hausaufgaben auf dem Plan, ab 16 Uhr ist dann Freizeit angesagt. Gemeinsam Sport treiben, zusammen Grillen, Musik aus der Heimat hören oder jetzt im Winter im Schnee herumtollen. „Als es das erste Mal so richtig geschneit hat, sind wir draussen am Hang mit Tellerbobs und Plastikschlitten den Hügel heruntergerutscht, das war ein großer Spass für uns alle. Die Jungs haben das richtig genossen, für sie war es ein komplett neues Erlebnis. Demnächst haben wir auch noch vor zum Schlittschuhfahren zu gehen“, freut sich Barbara Pal jetzt schon.

Das gemeinsame Schicksal verbindet die jungen Menschen miteinander, nahezu alle vier haben keine oder nur noch wenige Familienangehörige in ihren Heimatländern. Mit Hilfe einer Internetstunde, die jedem täglich zur Verfügung steht, können die Teenies den Kontakt mit Zuhause aber gut aufrecht erhalten. Schlechte Nachrichten aus der Heimat werden so auch gemeinsam verarbeitet. „Erst vor Kurzem haben wir die Information bekommen, dass die Mutter eines der Jungen von Schüssen getroffen ins Krankenhaus eingeliefert werden musste, das hat uns dann alle sehr bewegt und beschäftigt. Natürlich ist die größte Sorge die um die Familie. Alle vier hoffen darauf, ihre Familien irgendwann einmal wiederzusehen.

Abdo, Heidr, Bilal und Abid sind mitten in der Pubertät, klar kommt es gerade hier auch mal zu diversen Meinungsverschiedenheiten. Allerdings können die Jugendlichen auch viel voneinander lernen und sich untereinander austauschen. An den festen Tagesablauf haben sich die Jungs sehr schnell gewöhnt, sagt die Betreuerin, mit den Regeln im Haus haben sie sich gut arrangiert. So sind die Jugendlichen unter anderem auch für die Reinigung ihrer sanitären Anlagen selbst verantwortlich.

Nur mit der Mülltrennung klappe es noch nicht so ganz, lacht Barbara Pal. Auch hier ist dann etwas Verständnis angebracht, schließlich kommen alle vier aus Ländern, in denen dieses Thema bisher noch nicht wirklich große Beachtung gefunden hat. So mussten sich die Jugendlichen auch daran gewöhnen, sich nicht nur nach den Anweisungen der Betreuer zu richten, sondern auch nach denen der Betreuerinnen.

Zusammen mit den Betreuern lernen die Jugendlichen im Rahmen von kleineren Ausflügen die neue Umgebung genauer kennen. Da steht auch mal ein Besuch im örtlichen Tierheim in Rieden auf dem Programm, immerhin lassen sich ein paar der einheimischen Tierarten so recht anschaulich erklären. Und wer weiss, vielleicht bekommen die Jugendlichen sogar die Möglichkeit, ein gemeinsames Haustier in der „Villa im Wald“ zu halten.
Die neue Umgebung und Kultur bietet den Jugendlichen nun auch völlig neue Möglichkeiten der Zukunftsplanung, die vor wenigen Monaten noch ganz anders ausgesehen haben dürfte. „Das vermischt sich mit Träumen, die die Jugendlichen haben, genauso wie auch die der Kids und Teenies hier bei uns.“

Ein großer Traum ist zum Beispiel auch Fussballspieler beim FC Bayern zu werden. Der 15-jährige Abdo dagegen will die Zeit in Deutschland nutzen, um viel zu lernen. Nach dem Ende des Krieges in seiner Heimat Syrien will er beim Wiederaufbau mithelfen. Alle vier haben sich vor allem für die kommenden Monate viel vorgenommen. Bis wann sie eine Entscheidung für ihr Asylrecht erhalten werden, wissen sie noch nicht. Bis es soweit ist, fehlt ihnen noch das endgültige Gefühl der Sicherheit, das Gefühl zu haben, hier bleiben zu dürfen.

Text · Bild: Lars Peter Schwarz

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