Kolumne

Edgar

Ich sitze auf einer gepflasterten Terrasse, umgeben von Bäumen, Sträuchern und lilafarbenen Blüten der Besenheide. Die Sonne scheint. Das Thermometer zeigt 24 Grad, dabei fühlt es sich noch viel wärmer an. Von hier oben kann ich auf die Wiese unterhalb des Hauses schauen. Mein Hund wälzt sich auf dem Rücken umher. Irgendwie sieht es so aus, als wollte er mit dem Boden eins werden. Er wirkt bedingungslos glücklich und zufrieden. 

Manchmal wünschte ich, ich könnte hören, was er denkt. Ja, wenn ich könnte, wäre das mein Wunsch: Ihm für einen Moment lang zuhören zu können, verstehen zu können, wie er die Welt um sich herum wahrnimmt, was er denkt, was er fühlt. Manchmal beneide ich ihn auch ein wenig. Er lebt mit all seinen Sinnen in einer Welt, in der er zwar mit uns lebt, aber gleichzeitig auch nur bei sich lebt, in sich. Ich weiß nicht, ob ich die richtigen Worte gewählt habe, um zu erklären, was ich meine.

Ich versuche es so: Wie oft müssen wir uns erklären, rechtfertigen, beweisen, reden, behaupten oder uns messen, obwohl wir es eigentlich gar nicht müssten? Oder es manchmal auch gar nicht können und wollen, weil Emotionen und Gefühle noch überhand nehmen, die Gedanken noch zu laut, zu wirr und zu ungeordnet sind? Wie oft überschreiten andere und auch wir selbst unsere eigenen Grenzen? Was würde sich für uns und andere ändern, wenn es den Raum gäbe, nichts sagen zu „müssen”.

Ich erinnere mich an Situationen, in denen ich mir diesen wortlosen Raum für mich gewünscht hätte. In diesem Raum lebt mein Hund andauernd… Vorhin habe ich mir einen Kaffee gemacht, obwohl ich nur selten welchen trinke. Aber im Haus stand dieser wunderschöne Keramikbecher. Und jetzt sitze ich hier, mit diesem Becher in der Hand und vor mir ist nichts weiter außer der wilden, unberührten Natur, und ich frage mich, ob das vielleicht genau so sein muss? Wir Menschen halten Haustiere und leben symbiotisch zusammen und kommunizieren auf einer anderen Ebene miteinander. Und es funktioniert. Eine Bindung entsteht, Liebe und Vertrauen wächst. Man sagt, Hunde würden bedingungslos lieben. Ist das wirklich so? Man sagt das so, als wäre es etwas Außerordentliches. Als wäre es ein einseitiger Freifahrtschein dem Tier gegenüber. Etwas von höchstem moralischen Wert ohne Gegenwert. 

Für mich gerät hier die Waage aus dem Gleichgewicht. Liebe sollte immer und ausnahmslos bedingungslos sein. Für mich ist sie das. Mein Hund läuft umher, ich sehe, wie er seine Schnauze Richtung Sonne streckt und schnuppert. Er verschwindet im Dickicht. Obwohl ich mir keinen schöneren Ort vorstellen könnte, an dem ich gerade lieber wäre, will ich ehrlich sein. So sehr ich die Natur und den Wald auch liebe, machen sie mir aber manchmal auch Angst. Vielleicht weil es hier genau umgekehrt ist. Ich betrete eine andere Welt. Eine, in der ich nicht mit Worten kommunizieren kann, eine, in der Menschen anders wahrgenommen werden.

Der Wind lässt die Bäume fast tanzen. Ich bin hier unten auf der Terrasse alleine. Um uns herum gibt es keine Nachbarn. Der nächste Ort ist eine Viertelstunde mit dem Auto entfernt. Es knirscht und knackst aus den Büschen, aber ich kann nichts sehen. Kein Reh, keinen Hasen, kein Wildschwein, keinen Fuchs. Jemand hat mir mal gesagt, die Tiere im Wald würden uns immer sehen, auch wenn wir sie nicht sehen.

Ich will aufstehen und reingehen, aber mein Hund kommt gerade von hinten an. Er setzt sich ganz dicht zu mir. Er hat mich gespürt, mich gehört, auch ohne Worte. Er ist hier.

Ich fühle mich wieder sicher. Bedingungslos.

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