Kolumne

In der Spätvorstellung

Es war 2.48 Uhr. Ich versuchte wieder einzuschlafen. Aber es ging nicht. In meinem Kopf lief mittlerweile schon ein eigener Film ab. Ein Film mit viel Gerede, guter Musik, wirren Szenen und offenen Fragen. Gerade lief „Tweedle Dee, Tweedle Dum” von Bob Dylan- ich summte leise mit.

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Von der Musik getragen, flogen meine Gedanken umher. Vor meinem inneren Auge sah ich viele Gesichter, Situationen und auch mich. Ich hielt in meinen Thermo-Becher in der Hand und stand vor einer großen grünen Tafel in einem alten Hörsaal. Eine analoge Filmkamera war auf mich gerichtet. Ein rotes Licht an ihrem Gehäuse blinkte. Ich nippte an meinem griechischen Bergtee und sah skeptisch in die Kamera. War ich hier in einer Neuauflage der Truman-Show? 

Wahrscheinlich nicht. Denn ich lag ja eigentlich in meinem Bett, oder nicht?  Die Anwesenheit der Filmkamera empfand ich als Aufforderung, etwas zu tun. Ich hatte das Gefühl, sie würde etwas erwarten. Aber was das sein sollte, wusste ich nicht.

Ich nahm einen Schluck von meinem heißen Bergtee, der mein einziger Anker in dieser surrealen Realität zu sein schien, bevor ich einen improvisierten Monolog begann: „Guten Morgen, oder eher gute Nacht? Es ist schwer zu sagen, wenn die Uhr sich weigert, die Realität zu bestätigen. Wie dem auch sei… Wissen Sie da draußen eigentlich, warum Pizzakartons nicht rund sind?“

Die Kamera gab keinen Ton von sich. Meine Frage blieb unbeantwortet. Ich sprach weiter: „Ist Ihnen eigentlich schon mal aufgefallen, dass wir in Gesprächen mit Menschen immer dieselben Standardfragen stellen, um einander kennenzulernen?  Wo kommst du her? Was machst du beruflich? Wie alt bist du? 

Wir spulen vorgegebene Dialoge ab, die im besten Fall Gemeinsamkeiten filtern sollen. Aber eigentlich betrachten wir dabei doch bloß eine Kulisse, oder nicht?

Deswegen habe ich einen Vorschlag: Wir sollten anfangen, uns andere Fragen zu stellen. Fragen wie: Was isst du gerne? Welche Musik macht dich glücklich? Was hast du für Träume? Ziele? Tanzt du gerne? Liest du? Worin bist du nicht gut? Und worin schon?”

Ich nahm einen weiteren Schluck. Und legte meine Hand in die ausgeleierte Hosentasche meiner Schlafhose. „Wissen Sie”, führte ich in Blickrichtung der Kamera fort. „Es gibt so viele Geschichten, die darauf warten, erzählt zu werden. Und vielleicht ist das der wahre Grund, warum ich hier stehe, beobachtet von einer imaginären Kamera.

Weil das Leben kein perfekter Kreis ist, sondern ein quadratischer Pizzakarton – mit Ecken und Kanten, die uns Stabilität geben, aber auch ungesehene Räume bieten. Räume für die Dinge, die wir uns trauen sollten zu fragen. Für die Gespräche, die wir führen sollten. Für die Verbindungen, die tiefer gehen als der oberflächliche Smalltalk.

Möge das rote Licht dieser Kamera nicht nur unsere äußeren Handlungen aufzeichnen, sondern auch die stillen Monologe und unbeantworteten Fragen, die uns nachts wach halten und uns letztlich daran erinnern, was wirklich zählt: Guter Schlaf.“

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