Kolumne

Im Bann der Ahnen

Die Luft steht vor Wärme. Es riecht nach Holz und Pinien. Ein wohliger Geruch, der mich irgendwie ruhiger werden lässt. Ich setze mich auf die hellblaue Bettkante. Das Dachfenster ist geöffnet und bläst die Wärme ins Zimmer. Die alten Holzdielen unter den nackten Fußsohlen fühlen sich warm und weich an. Hier zu sein, hier zu sitzen, fühlt sich gut an. Aber vor einer halben Stunde war mein Gefühl ein anderes: Das Bett stand anders im Raum, und zwar so, dass das Fußende des Bettes in Richtung Tür stand. Und für mich bedeutete diese Tatsache, dass sofort getan werden musste, was getan werden muss.

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In Millimeter-Arbeit rangierte ich das Doppelbett durch den kleinen Raum. Ich blendete alles um mich herum aus, ehe das Bett mit seinem Fußende nicht mehr Richtung Tür zeigte- fokussiert und zielgerichtet. Aber das war kein Akt einer Feng-Shui-Verfechterin, sondern der einer unfreiwillig-abergläubischen Frau, in deren Hirn sich abergläubische Grundgesetze ihrer Mutter und Großmutter tief in jede ihrer vorhandenen Substanzen eingebrannt hatten – für immer!

Das Bett war also das rote Tuch, ich der gepeitschte Stier. Aber jetzt, wo das Bett „sicher“ positioniert steht, freue ich mich. Das Grundgesetz „Niemals dürfen die Füße im Bett Richtung Türe zeigen“, bleibt meinerseits unangetastet. Denn sonst wäre das Glas Wasser auf dem Tisch, das vor jedem Reiseantritt platziert werden muss, bevor man das Haus verlässt, (ein weiteres Grundgesetz) völlig umsonst gewesen. Immerhin symbolisiert es eine heile Rückkehr.
Und was hilft schon das Glas Wasser auf dem Tisch Zuhause, wenn „nur Tote mit Füßen zur Tür zeigend aus dem Raum getragen werden?“

Das alles klingt nach muffigem Hinterhof-Hokuspokus mit Potential für einen neuen SchleFaZ auf Tele 5.
Ich weiß.

Warum ich trotzdem mitmache?

Weil es einem ein leises Gefühl von Magie gibt. So, als könnte man im Universum mitmischen. Und vielleicht sogar Unheil abwenden. Es ist eine seltsame Form der Selbstermächtigung, die zwar nicht auf logischen Schlussfolgerungen gründet, sich dafür aber anfühlt, als wäre man mit den Generationen vor sich verbunden, die diese kleinen, absurden Rituale überhaupt erst in die Welt setzten, um ein Gefühl von Frieden und Sicherheit zu finden.

Selbst das klingt schon nach Tele 5.
Aber was ist schöner als der innere Frieden?!

Das Fußende des Bettes zeigt jedenfalls jetzt auf die vertäfelte Wand. Ich komme zur Ruhe. Und nehme den Raum so richtig wahr. Die langen Dielen, der eiserne Kerzenständer im Regal, das Buch daneben. Der Kunstdruck von Lucian Freud.

Das Schlafzimmer des Ferienhauses ist wunderschön und die Toten müssen sich wohl einen anderen Ausgang suchen …

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