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„Besser als ein Sechser im Lotto“

Organspende - Theresia Keller lebt seit 34 Jahren mit einer Spenderniere

Mit einer Organspende können nach dem eigenen Tod die Leben von bis zu sieben anderer, schwer kranker Menschen gerettet werden. Das Thema ist im wahrsten Sinne des Wortes lebenswichtig. Jede und jeder kann in die Situation kommen, auf eine solche Spende angewiesen zu sein. Was das bedeutet und weshalb sich alle mit diesem schwierigen Thema auseinandersetzen sollten, weiß Theresia Keller aus eigener Erfahrung. Vor 34 Jahren bekam die heute 58-Jährige eine Spenderniere. Seither möchte sie jeden Tag vollends auskosten. „Ich genieße das Leben auf eine andere Weise. Für mich ist es nicht selbstverständlich.“

Geboren und aufgewachsen in Wertach, hatte Keller als Kind immer wieder und heftiger werdende Nierenbeckenentzündungen. Mit sechs Jahren verbrachte sie wegen des chronischen Verlaufs bereits mehr als einen Monat im Krankenhaus. „Ich nahm von da an immer Medikamente ein. Es ging irgendwie, aber ich konnte meine Kindheit und Jugend nicht so genießen wie andere“, erzählt Keller. Sie sei als Teenager auch mal ausgegangen, pflegte Freundschaften. „Ich hab aber einiges nicht machen dürfen.“ Einen Beitritt im Plattler- oder Faschingsverein erlaubten ihre Eltern zum Beispiel nicht. Bei der Ernährung musste sie ebenfalls Acht geben. Salzarm sollte das Essen sein und ihre Mutter bemühte sich, den Speiseplan anzupassen.

Theresia Kellers Kampf um ihre Nieren war jedoch vergebens. 1986 bereiteten sie ihre Ärzte auf die Dialyse vor. Es wurde ein sogenannter Shunt gemacht, eine operative Verbindung von Arterie und Vene am Arm, um das Dialysegerät anschließen zu können. Zeitgleich bekam die damals 21-Jährige Krampfanfälle, die so heftig waren, dass sie das Bewusstsein verlor. Als das bei einem Restaurantbesuch passierte, brachten sie Freunde ins Krankenhaus. Auf den Anfall folgte eine Lungenentzündung, Keller hatte Wasser in der Lunge. „Da haben mich die Ärzte ins künstliche Koma gelegt und ich hatte meine erste Dialyse, ohne dass ich das gemerkt hatte.“ Doch das war nur die erste Blutreinigung von vielen.

Was es bedeutet, Dialysepatient zu sein? Keller erinnert sich: „Du darfst vielleicht einen halben Liter am Tag trinken, denn du kannst nicht mehr aufs Klo. Du bist immer extrem müde und kurzatmig.“ Dreimal pro Woche lag Theresia Keller für vier Stunden am Dialysegerät. „Da wird das Wasser aus dem Blut gezogen, die Giftstoffe, aber auch alles Gute.“ Schmerzhafte Krämpfe und große Erschöpfung sind die Folge. Ein Zustand, der sich durch die Behandlungen nicht verbessert, im Gegenteil. Arbeiten zu gehen war ihr immer wichtig, deshalb allerdings nur stundenweise möglich. Die Angst, keine Spenderniere zu bekommen, habe sie recht gut handhaben können. „Ich bin positiv geblieben. Das ist sehr wichtig. Je mehr man wartet, umso gestresster reagiert der Körper und alles wird noch schlimmer.“

Obwohl Theresia Keller so schwer krank war, verliebte sich ihr heutiger Ehemann in sie. „Dass er hinter mir stand und immer zu mir gehalten hat, das bedeutet mir sehr viel und hat mir damals wirklich geholfen.“ Als eines nachts gegen 3 Uhr das Telefon klingelte, sei ihr Partner aufgeregter gewesen als sie selbst. Die Nachricht: Eine passende Niere ist da. Vorsichtige Freude habe Keller empfunden und Hoffnung sei aufgekeimt. „Es gibt so viele Faktoren, die eine Transplantation beeinflussen.“ In dieser Nacht war das Glück allerdings auf ihrer Seite. Alle Werte waren in Ordnung, die Niere konnte transplantiert werden und nur zwei Wochen nach der Operation durfte die junge Frau wieder nach Hause. Ein Jahr darauf läuteten die Hochzeitsglocken. „Ich habe zu ihm gesagt, dass ich erst heiraten möchte, wenn ich eine Niere habe“, erzählt Keller lächelnd. Als 1995, sechs Jahre nach der Operation, ihr Sohn auf die Welt kam, habe sie ihr Glück kaum fassen können. „Selbstverständlich war das nicht und ich bin sehr stolz darauf“, betont Keller. Bei einer Bekannten habe die Schwangerschaft dazu geführt, dass die Spenderniere abgestoßen wurde. Viele Medikamente helfen Keller täglich dabei, dass die Spenderniere seit mehr als drei Jahrzehnten arbeitet, nicht vom Körper abgelehnt wird oder erneut Entzündungen auftreten.

Wird ein Organ benötigt, kommt man auf die Liste des Eurotransplant-Registers mit Sitz in den Niederlanden. Spender bleiben grundsätzlich anonym. „Das ist auch okay so. Mir ist bewusst, dass jemand sein Leben verlieren musste, damit ich weiter leben kann.“ Unglaublich dankbar sei Keller, dass diese Person ein Organspender war. Dass das eigene Leben schnell in Gefahr geraten kann, darüber würden sich die Menschen allerdings zu wenig Gedanken machen, so Keller. Es gibt laut der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA) verschiedene Ursachen, die ein lebenswichtiges Organ schädigen können. Erblich bedingte Schäden, Stoffwechselerkrankungen, die Ansteckung mit Krankheitserregern, aber auch Unfälle können ein Organ angreifen. In schweren Fällen kann die Organübertragung die letzte Behandlungsmöglichkeit sein. Es werden allerdings deutlich mehr Organe benötigt als gespendet. Eine Bekannte von Theresia Keller sei 15 Jahre lang an der Dialyse gewesen. Die Tochter einer Freundin benötige jetzt eine Spenderniere: „Ihr wurde gesagt, dass man mit einer Wartezeit von sieben Jahren rechnen muss.“ Das deckt sich mit den Zahlen des BzgA: momentan warten 6 593 auf eine Spenderniere (Stand 17. Februar 2023). Im vergangenen Jahr gab es nur für 1 992 Personen auf dieser Warteliste ein passendes Organ.

Theresia Keller würde sich wünschen, dass das Thema Organspende mehr publik gemacht wird. Eine bessere Aufklärung sei nötig, um Hemmungen abzubauen. „Es ist schlimm, wenn ein Mensch auf tragische Weise sterben muss. Durch Organspende können jedoch andere Leben gerettet werden.“ Was es bedeutet, eine neue Niere zu bekommen? Keller strahlt über das ganze Gesicht: „Freiheit!“ Ein Nierenpaar zu besitzen, das nicht mehr arbeitet, mehrmals pro Woche an die Dialysemaschine zu müssen, diese Faktoren würden das gesamte Leben takten. Alles müsse danach geplant werden, ob eine verfügbare Dialysestation in der Nähe ist. Nach der Transplantation begann Keller Sport zu machen, sie konnte mit ihrem Mann eine Reise buchen und einfach einmal spontan Freunde und Bekannte besuchen.

Das Warten auf eine passende Organspende sei zermürbend und eine Transplantation ist mit großen Risiken verbunden. Keller weiß, dass sie sich unfassbar glücklich schätzen kann, dass ihr Körper die neue Niere seit über drei Jahrzehnten akzeptiert und sie sich so gut fühlt. „Das ist besser als ein Sechser im Lotto. Das Leben ist so schön“, freut sie sich über jeden neuen Tag. Viele Menschen stehen auf der Warteliste bei Eurotransplant. „Deshalb ist das Thema Organspende unglaublich wichtig. Jeder sollte bitte einmal darüber nachdenken.“

Nachgefragt Bei:
Dr. Robert Betz, Facharzt für Innere Medizin,
Dialyse & Apherese, vom Dialysezentrum in Füssen:

Was sind häufige Ursachen für ein Nierenversagen?
Chronische oder zystische Nierenerkrankungen sind der Deutschen Stiftung Organtransplantation zufolge die Hauptursachen für eine Neuanmeldung zur Transplantation, Chronisches Nierenversagen: Diabetes Typ I (23 Prozent) und Typ II (vier Prozent), Glomerulonephritis (20 Prozent), Vaskuläre Nephropathie (15 Prozent), Interstitielle Nephritis (13 Prozent), unbekannte Genese (zehn Prozent), seltene Nierenerkrankungen(zehn Prozent) und verschiedene andere Ursachen (fünf Prozent).

Wie lange warten Dialysepatienten aktuell auf eine Spenderniere?
Im Einzelfall durchschnittlich acht bis zehn Jahre.

Melden Sie als behandelnder Arzt einen Patienten bei der Stiftung Eurotransplant an?
Jeder Patient wird bei uns über die verschiedenen Methoden der Nierenersatzbehandlung aufgeklärt (Hämodialyse, Peritonealdialyse und Nierentransplantation). Wir stellen den Patienten in der von ihm bevorzugten transplantierenden Klinik vor. Das sind in der Regel das Klinikum Großhadern, das Klinikum re. D. Isar, das Zentralklinikum Augsburg, bei österreichischen Patienten die Universtitätsklinik Innsbruck. Die jeweilige Klinik übernimmt die Anmeldung bei Eurotransplant.

Wer entscheidet, ob man als Empfänger einer Spenderniere infrage kommt?
Die transplantierende Klinik entscheidet nach Durchführung der entsprechenden Diagnostik über die Aufnahme in die Warteliste. Über die Zuteilung einer Eurotransplant-Niere entscheidet die immunologische Eignung und die Zeit auf der Warteliste in Leyden. Bei Lebendspende obliegt die Entscheidung der Eignung und der Terminierung bei der transplantierenden Klinik. Wir führen im Auftrag und in enger Kooperation mit dem jeweiligen Transplantationszentrum die von dort angeforderten Untersuchungen durch, die ihrerseits Patienten auf der Warteliste zu Kontrollvorstellungen einbestellt.

Welche Aufgabe steht Ihnen in dem Ganzen zu?
Unsere Aufgabe ist es, Patienten vollumfänglich aufzuklären und sie selbst entscheiden zu lassen, welche Risiken, Vor- und Nachteile sie akzeptieren wollen. Keine der derzeit bestehenden Therapieoptionen einschließlich der Transplantation ist ideal und keine macht wirklich gesund. Lange positiv verlaufenden Fällen stehen andere gegenüber, bei denen sogar das Leben infolge Transplantation bereits nach drei Monaten zu Ende war. Und wofür immer sich der Patient entscheidet, die Medizin ist zu engagierter Unterstützung gefordert. Ich glaube, dass die Öffentlichkeit überfordert wird, wenn man das Für und Wider darstellen wollte. Aber es ist immer gut, die Hintergründe zu kennen.

Warum ist das Thema Organspende so heikel?
Weshalb die Spenderzahlen zurückgehen, ist Gegenstand vieler Vermutungen. Auch die Coronakrise gehört dazu. Wahrscheinlich spielen auch fehlende Informationen über die Entscheidungswege im Spendenfall eine Rolle.


INFO

Ja oder Nein zur Organ- und Gewebespende? Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA) informiert unter www.organspende-info.de ausführlich zum Thema. Welche Organe mithilfe der Transplantationsmedizin übertragen werden können, ist in Deutschland streng geregelt. Von den Voraussetzungen für eine Spende bis zum genauen Ablauf – hier wird alles ausführlich erläutert. Außerdem kann man einen Organspendeausweis direkt online ausfüllen und als pdf herunterladen.

Meine Organe: meine Entscheidung. Jeder Mensch kann selbst entscheiden, ob er seine Organe und Gewebe im Todesfall spenden möchte. Dies ist ein sehr persönlicher Entschluss. Er ist oftmals mit vielen Abwägungen für und wider die Organ- und Gewebespende verbunden.

In Deutschland gilt die Entscheidungslösung. Das heißt: Eine Organentnahme ist nur zulässig, wenn das ausdrückliche Einverständnis des Spenders vorliegt. Das hat der Deutsche Bundestag im Januar 2020 in seinem „Gesetz zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft bei der Organspende“ bekräftigt. In anderen Ländern Europas, zum Beispiel Frankreich, Italien, Polen, Österreich und Spanien, gilt hingegen die Widerspruchslösung. Demzufolge ist ein Mensch solange Organspender, bis er aktiv widerspricht.

Welche Entscheidungsmöglichkeiten habe ich?

  1. Vollständige oder eingeschränkte Zustimmung: Bei einer Zustimmung kann angeben werden, ob alle Organe und Gewebe gespendet werden, oder ob nur bestimmte Organe und Gewebe gespendet werden dürfen.
  2. Ablehnung der Organ- und Gewebespende: Es ist möglicher einer Entnahme von Organen und Geweben ausdrücklich zu widersprechen.
  3. Übertragung der Entscheidung auf eine andere Person: Soll eine andere Person im Fall des Todes über eine Organ- und Gewebespende entscheiden, müssen auf dem Organspendeausweis deren Kontaktdaten dokumentiert werden. Außerdem sollte die Person darüber informiert sein, dass sie die Entscheidung im Todesfall treffen muss.

Text: Selma Hegenbarth · Fotos: rie (1), Wikipedia

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