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Angst verdrängt man soweit es geht

Es ist nach 18 Uhr. Die vier Krankenschwestern aus der Dialysepraxis Dr. Robert Betz in Füssen machen noch die letzten Handgriffe. Es muss alles gereinigt und desinfiziert werden. Die Dialysestation ist ein hochsensibler Bereich. Hier darf nichts passieren, erst recht nicht in diesen schwierigen Zeiten.

Nierenkranke haben als Risikogruppe für einen schweren Verlauf bei COVID-19 in der öffentlichen Wahrnehmung bislang eine eher untergeordnete Rolle gespielt. Dabei sind diese Menschen doppelt hart betroffen: Zum einen sind sie stark gefährdet, bei einer Infektion ernst zu erkranken. Zum anderen müssen sie auch mit Einschränkungen bei der Dialyse rechnen. Die jungen behandelnden Krankenschwestern und Arzthelferinnen tragen Schutzausrüstung, sie sind nicht wiederzuerkennen. „Sie leisten hier ausgezeichnetet Arbeit“, sagt ihr Chef Dr. Robert Betz.

Valentina Dashballa, eine der Krankenschwestern, erzählt, dass das Atmen durch die Mund-Nasen-Maske ungefähr so sei, als ob man durch einen Strohhalm atmen müsste. „Die Schutzausrüstung ist notwendig, um unsere Patienten zu schützen“, sagt Funda Cakin. „Zum Schutz der Patienten haben wir uns freiwillig einer Umkehrquarantäne unterzogen, die auch von meinen jungen Mitarbeitern vorbildlich eingehalten wird. Seit der gleichen Zeit gilt strikte Mundschutzpflicht für alle behandelnden Personen, wie auch ausnahmslos alle Dialyse- und ambulanten Patienten, sowie alle Taxifahrer, die Dialysepatienten transportieren. Inwiefern die Patienten selbst einen konsequenten Eigenschutz durchführen, haben wir natürlich nicht in der Hand. Wir haben wiederholt Informationsmaterial zur Verfügung gestellt und diskutieren die Situation regelmäßig. Ich habe mittlerweile jedoch schon den Eindruck, dass die Gefahr für Gesundheit und Leben mental angekommen ist“, erklärt Dr. Robert Betz.

Zu den Schutzmaßnahmen gehört berührungsfreie Händedesinfektion am Hauseingang und vor dem Betreten der Behandlungseinheiten, eine automatisch öffnende Eingangtür zum Nordtrakt, die Isolation des Bautrakts Nord, die freiwillige Umkehrquarantäne von Personal und Ärzten seit Mitte Februar, sowie die Aufgabe von Nebenbeschäftigungen.

Die ersten Entscheidungen hinsichtlich Schutzmaßnahmen und Corona traf der Arzt bereits im Februar. Die Informationen aus China haben in beunruhigt. Ein Schreiben an den Bundesminister für Gesundheit, in dem er über die Risiken für die Versorgung von Dialysepatienten berichtete und anregte, für Dialyseeinrichtungen Tests auf COVID-19 als Kassenleistung vorzunehmen, blieb unbeantwortet. „Da wir durch die zuständigen Stellen sowohl hinsichtlich Patientenschutz und Krisenkonzept wie auch Schaffung von Behandlungsplätzen für aerogene Infektionen im Regen stehengelassen worden sind und werden, haben wir seit Mitte Februar professionelle Schutzaustattung beschafft, als sie noch halbwegs, wenn auch schon zu erhöhten Preisen, erhältlich war“, so Betz. Versorgungsengpässe in punkto Desinfektionsmittel hat die Praxis nicht. „Wir beziehen die Desinfektionsmittel z.T. kostenlos und z.T. zu sehr fairen Preisen von der regionalen Destillerie Albert Frey AG aus Wald.“

Wie gut die Zusammenarbeit zwischen dem Direktorat und der Dialyse ist, sieht man an der Verlegung der KVB-Bereitschaftsdienstpraxis aus den gemeinsamen Räumen von Krankenhaus und Dialyse. „Das ist ein ganz entscheidender und wichtiger Punkt, weil dort unkontrolliert Atemwegsinfektionen einschließlich noch nicht diagnostizierter Coronapatienten zusammentreffen. Ich bin äußerst dankbar für die umsichtigen Entscheidungen des Direktorats der Kliniken Ostallgäu“, freut sich Betz.

Dennoch kann die Dialysepraxis keine COVID-19-infizierten Dialysepatienten behandeln. Dazu fehlen nicht nur die räumlichen Voraussetzungen zur strikten Isolation aerogener Infektionen und das Mehr an Personal, sondern auch die Genehmigung, die durch das Bayerische Landesamt für Lebensmittelsicherheit und Gesundheit auf nichtinfektiöse Patienten beschränkt wird. Da auch keine andere Einrichtung in der Region über eine den Richtlinien des RKI entsprechende Infrastruktur für die Behandlung aerogener Infektionen vorhält und aufgrund der Gebührenordnung auch nicht vorhalten kann – Dialyseplätze kosten einschließlich Raumprogramm je nach Region zwischen 50.000,-€ bis 100.000,-€ pro Behandlungsplatz – bleibt nur die Option, Patienten auf einer Intensivstation aufnehmen zu lassen, die über eine Hämofiltration oder Dialyse verfügt. Diese Ausstattung ist ausgewählten Kliniken vorbehalten, darunter glücklicherweise auch die Klinik Füssen.

Noch ein paar wenige Vorbereitungen, und ein weiterer Tag geht für die jungen Krankenschwestern und Arzthelferinnen zu Ende. Angst vor Ansteckung verdrängen sie soweit es geht. Es muss weiter gehen.

Text · Foto: Sabina Riegger

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