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Wenn Kinder psychisch krank werden

Kinder und Jugendliche, die psychisch krank werden, unter Depressionen, Ängsten, Schlaf- oder Essstörungen leiden. Das sind Probleme, die vermehrt in Ballungsräumen oder sozialen Brennpunkten einiger Großstädte zu finden sind. Würde man meinen. Doch weit gefehlt.

Unwohlgefühle oder Anpassungsschwierigkeiten, Burnout, ja sogar suizidale Gedanken sind Gründe, warum auch in unserer Region immer mehr Kinder und Jugendliche eine psychologische Hilfe oder Beratung aufsuchen. Im Vergleich zu 2007 stiegen die Behandlungszahlen vor allem bei den Jugendlichen bundesweit teils um mehr als 100 Prozent. Das belegen Statistiken gleich mehrerer Krankenkassen in Deutschland. Nach Angaben einer Studie des Robert Koch-Instituts waren zuletzt etwa 17 Prozent der Kinder und Jugendlichen psychisch auffällig. Als Ursachen gelten oft der hohe Leistungsdruck durch Schule und Eltern, Mobbing oder auch Versagensängste. Gründe können aber auch der Verlust eines Familienmitglieds oder eine Trennung der Eltern sein.

„Kinder lernen oft nicht mehr zu selektieren oder zu filtern“

„Vielleicht war die Situation vor zwanzig Jahren auch so“, sagt Elmar Schmitt, Leiter der Anton-Sturm-Mittelschule in Füssen. „Vielleicht hat damals aber auch die Familie oder das Umfeld noch mehr aufgefangen. Heute ist der Anteil an alleinerziehenden Eltern, die oft auch aufgrund der Arbeit weniger Zeit für die Probleme ihrer Kinder haben, wesentlich höher. Fehlt dann noch die Geborgenheit, die Kinder gerade im jungen Alter benötigen, kann das zu massiven Belastungen führen. Meiner Meinung nach kommt aber auch die gesamte digitale Entwicklung dazu. Der Anteil an Kindern, die unter Aufmerksamkeitsstörungen leiden, ist heute viel höher. Sie lernen oft nicht mehr zu selektieren oder zu filtern, was wichtig ist und was nicht.“ Denn oft verbringen junge Menschen heutzutage schon im Kindesalter zu viel Zeit vor dem Fernseher, Computer oder dem Handy, was letztendlich zu psychischen Problemen führen kann. So gibt es auch an der Anton-Sturm-Schule nicht selten Fälle von Schülern, die sich beispielsweise nächtelang mit Computerspielen beschäftigen, ohne dass die Eltern etwas davon wissen, erklärt Schmitt. „Oft müssen wir die Eltern dann darauf aufmerksam machen, dass ihre Kinder dem Unterricht sehr schwer oder gar nicht folgen können. Die Vielzahl der psychischen Störungen und ihrer Erscheinungsbilder hat in den letzten zehn bis zwanzig Jahren definitiv zugenommen. Allerdings werden psychische Probleme heute auch generell wesentlich früher erkannt.“

Rahmen zu schaffen, die dem Kind gut tun

Ausgelöst werden diese Probleme aber insgesamt durch die unterschiedlichsten Gründe. „Es ist die gesamte Bandbreite, mit der sich junge Schüler an uns wenden“, erklärt Stefan Seitz, Diplom-Sozialpädagoge bei der KJF, der Kinder und Jugendhilfe Kaufbeuren-Ostallgäu. „Das kann von Ärger mit Kameraden oder Mobbing sogar bis hin zu häuslicher oder auch sexueller Gewalt gehen und zieht sich durch alle Schularten und auch Gesellschaftschichten hindurch. Essstörungen, Kopfschmerzen oder Schlaflosigkeit sind nur wenige der Resultate, zu denen psychische Probleme führen können.“ Die KJF ist eine der wenigen Einrichtungen im Landkreis, die in solchen Fällen Hilfe anbieten. Für die Schüler ist es oft der kürzeste Weg, schließlich steht die Türe der Beratungsstelle, die direkt in der Schule integriert ist, immer offen. Stefan Seitz macht den Job bei der Jugendsozialarbeit bereits seit 24 Jahren. Für die Schüler, die zu ihm kommen, stellt er eine Vertrauensperson dar, die der Schweigepflicht unterliegt. „Unsere Aufgabe ist es, einen Rahmen zu schaffen, der dem Kind gut tut“, sagt er. „Wir sind auch oft die Vermittler zwischen Schülern und Eltern oder Lehrern, vorausgesetzt, die Kinder wollen das.“ Nur in besonders schlimmen oder vermeintlich aussichtslosen Fällen arbeiten Erziehungsberater, Jugend und Sozialarbeit, wie auch Schule und Eltern dann enger zusammen.

Die Bedürfnisse der Kinder

„Oft ist es so, dass Kinder mit Problemen auf uns zukommen, die auf den ersten Blick nicht wirklich schwierig erscheinen. Im persönlichen Gespräch stellt sich dann aber auch heraus, dass die Gründe für die Probleme wesentlich ernster sein können.“ So sind Kinder und Jugendliche häufig einfach nur froh, mit dem Jugendsozialarbeiter einen Menschen gefunden zu haben, der sich Zeit nimmt und ihnen zuhört. Dabei kommt es auch durchaus vor, dass das jeweilige Problem dadurch schon hinter geschlossener Tür gelöst werden kann. In anderen Fällen sind mehrere Gespräche notwendig. Stellt sich allerdings heraus, dass das sogenannte Kindeswohl gefährdet ist, weil Gewalt im Spiel ist, müssen gegebenenfalls auch härtere Maßnahmen ergriffen oder andere hilfeleistende Behörden eingeschaltet werden. „Die sozialen und monetären Verhältnisse sind in unserer Zeit allgemein schwieriger geworden“, so Stefan Seitz. „Durch viele gesellschaftliche Veränderungen und modernere Lebensstile geraten oft die Bedürfnisse der Kinder, die in der Kette die schwächsten sind, in den Hintergrund. Können wir nicht mehr helfen, raten wir den Schülern schließlich, auch einen Kinder- und Jugendpsychologen zu konsultieren.“ Als einziger Kinder- und Jugendpsychotherapeut und Experte seines Fachs mit Sitz in Füssen war Sascha Häußler für uns allerdings aus zeitlichen Gründen leider nicht erreichbar. Zu eng ist sein Terminkalender, wie uns mitgeteilt wurde.

Text: Lars Peter Schwarz · Foto: unspash

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