FrauenMenschen

Ein ganz persönlicher Gipfel-Sieg

„Wenn man das Leben schätzt, dann geht vieles einfacher“. Das sind Worte einer Frau, die körperlich schwer beeinträchtigt ist. Sie ist auf die Hilfe anderer Menschen angewiesen. Marianne Hengl wurde mit einer Gelenksversteifung an allen vier Gliedmaßen geboren. „Als ich etwa acht Jahre alt war, habe ich zu meiner Mutter gesagt, ich möchte mal später eine ganz besondere Frau werden“, erzählt sie. Damals noch rutschte sie am Hinterteil durch das Haus ihrer Eltern, einem Bauernhof in Weißbach bei Salzburg. Von einem Rollstuhl war noch weit und breit nichts zu sehen. Erst als sie einen bekam, wusste sie, was Behinderung ist.

Ihr Wunsch, eine ganz besondere Frau zu werden, ist längst schon in Erfüllung gegangen. In Österreich kennt sie fast jeder. Sie ist Autorin, Co-Moderatorin in der von ihr initiierten ORF Radio Tirol Sendung „Stehaufmenschen“.
Als Geschäftsführerin von RollOn Austria ist sie auch Gründerin der ORF III Fernsehserie „Gipfel-Sieg: Der Wille versetzt Berge“. „Wir stellen in menschlich starken Portraits jeweils zwei Menschen „auf Augenhöhe“ vor, die auf unterschiedlichste Weise schwere und ehrgeizige Lebensabschnitte zu einem persönlichen „Gipfel-Sieg“ gemacht haben. Für einen schwer behinderten Menschen mag ein „Gipfel-Sieg“ bedeuten, wenn man nach 3 Jahren selbstständig und ohne fremde Hilfe aus der Badewanne steigen kann; mit einer verkrümmten Hand nach monatelangem Üben plötzlich ein Wort schreibt – all dies sind „Gipfel-Siege“, die meistens im Stillen gefeiert werden“, so die engagierte Frau.

Wenn Marianne Hengl von ihrer Kindheit spricht, dann strahlen ihre Augen. „Ich bin überzeugt vom Leben. Ich wurde eingebettet in so viel Liebe, die Menschen haben an mich geglaubt.“ Dass nicht immer alles reibungslos lief, war für die heute 54-Jährige nur eine weitere Herausforderung. Keiner wollte ihr eine Ausbildung bieten. Jeder sah nur die Behinderung in ihr. Trotz allem schaffte sie es mit Fleiß und Ehrgeiz, sich einen Weg in die Berufswelt zu bauen. Viele Jahre arbeitete sie Vollzeit als Sekretärin, danach war sie im Bereich Öffentlichkeitsarbeit und Fundraising beschäftigt, und zwar im Elisabethinum in Axams, einem Förderzentrum für behinderte Kinder, wo sie in jungen Jahren auch ihre Schulausbildung machte. Alles was sie brauchte war eine Telefon-Freisprechanlage und eine tiefer gelegte Tastatur, weil sie die Hände und Arme nicht nach oben strecken kann.
Parallel zu ihrem Vollzeitjob wurde Marianne Hengl – vor 29 Jahren – in Tirol als Obfrau des Vereins zur Förderung körperbehinderter Menschen bestellt. Heute heißt diese Organisation RollOn Austria und erstreckt sich auf ganz Österreich. Marianne Hengl hat mit RollOn Austria die stärkste Lobbygruppe für beeinträchtigte Menschen im Land aufgebaut.

2015 hat sie nach 35 Dienstjahren das Elisabethinum verlassen und ist nun seit drei Jahren Geschäftsführerin von RollOn Austria und mit ihrem zehnköpfigen Team eine erfolgreiche Unternehmerin.
Die Öffentlichkeitsarbeit von RollOn Austria schenkt Menschen mit Behinderungen ein Gesicht. Der Verein hat es sich zum Ziel gesetzt, mittels Veranstaltungen, Kampagnen (zB. „Bin ich Dir peinlich? Du mir nicht“), Radiosendungen und Fernsehsendungen ein Umdenken in der Gesellschaft zu bewirken. „Wir dürfen unsere Behinderung nicht für alles verantwortlich machen, ganz im Gegenteil, wir müssen selbstbewusst unsere Talente präsentieren“, so ihre Meinung. Eines ihrer Talente ist ohne Zweifel ihre Lebensfreude, an der sie andere Menschen teilhaben lässt. Die Menschen sind neugierig, fasziniert und zugleich auch irritiert, weil sie nicht verstehen können, wie man trotz dieser schweren Behinderung so einen starken Lebenswillen haben kann. Auch die Diagnose Brustkrebs konnte sie nicht in die Knie zwingen. Gehadert über ihr Schicksal hat sie kaum, erzählt die Powerfrau, die immer top gestylt ist. Nur einmal hatte sie eine Phase, da war sie siebzehn, in der sie manches hinterfragte oder ihr auch klar wurde, dass sie ein anderes junges Mädchen ist, im Vergleich zu ihren Freundinnen. Jeder sah nur ihre Behinderung. „Da dachte ich mir, ich halte das Leben nicht aus. Und just in dem Augenblick lernte ich Klaus kennen“, erzählt Marianne Hengl. Zwei Jahre lang waren sie verliebt, bis er einen Autounfall hatte und starb. „Ich habe ein halbes Jahr nicht mehr gelacht. Das war eine schlimme Erfahrung und ein unglaublicher Schmerz. Freunde von ihm, die mich nicht wollten, weil ich behindert war, standen mir dann plötzlich zur Seite.“

„Es darf nicht sein, dass bei Verdacht auf eine Behinderung ein Fötus über die Fristenregelung hinaus bis zur Geburt abgetrieben werden darf. Das ist eine ungleiche „Bewertung“ von behindertem und nichtbehindertem Leben und damit eine Diskriminierung von Menschen mit einer Behinderung. Niemand von uns darf entscheiden, welchen Wert ungeborenes Leben im Mutterleib hat, sei es nun behindert oder nicht.“

Viele Facetten des Lebens hat Marianne Hengl durchgemacht. Ihre Radio-Sendung „Stehaufmenschen“ spiegelt wahrscheinlich genau das Interesse oder auch den Respekt gegenüber jenen Menschen wider, die sich nach Misserfolgen oder Schicksalsschlägen aufrappeln und neu beginnen. Sie sehen das Leben als eine Herausforderung. So wie sie selbst auch.
In all diesen Jahren ist „die gute Fee“ Ellen Krumbholz nur selten von ihrer Seite gewichen. Seit bald 40 Jahren ist sie ihre Assistentin. „Wir helfen uns gegenseitig“, stellt Marianne Hengl richtig. „Ellen hilft mir und ich unterstütze sie in anderen Lebensbereichen. Da, wo Ellen hilflos ist“.

Ihre große Liebe, Stefan Hengl, heiratete sie mit 30. Kennengelernt haben sie sich durch ihren Schwiegervater, Dr. Walter Hengl, einem Tiroler Politiker, der sie zu seiner Feier einlud. Seit mittlerweile 23 Jahren sind die Beiden verheiratet. Ihre Pflege organisiert sie mit Assistenz. „Ich wollte nicht, dass Stefan mein Pfleger wird. Das war ein wichtiges Kriterium für mich, sonst hätte ich ihn nie geheiratet“, lächelt sie. Die Hochzeit wurde groß gefeiert. 400 Gäste kamen in die Kirche und mehr als die Hälfte davon am Abend zur Feier. Kinder haben sie keine. „Das war natürlich auch ein Thema, da war ich die starke Stimme, die sich dagegen ausgesprochen hat. Wir sind glücklich, dass wir uns haben. Ich bin perfektionistisch und ich hätte es nicht mit ansehen können, wenn jemand anderes mein Kind kuschelt, tröstet oder gar falsch im Arm hält. Da hätte ich ein großes Problem“, erzählt sie. Wenn sie mit ihrem Mann ins Restaurant geht, dann ist es sicher, dass sie viele Blicke auf sich ziehen. Er, der seiner Frau das Essen eingiebt und ihr liebevoll einen Kuss gibt, das sieht man nicht alle Tage.

Marianne Hengl ist so bekannt wie es nur Schauspieler oder Politiker sind. Sie hat es geschafft, ihren Verein
RollOn so zu präsentieren, dass keiner wegschauen kann. Es ist die stärkste Lobbygruppe für beeinträchtigte Menschen in Österreich. Ihre Themen sind vielfältig, manchmal provozierend und andererseits ansprechend. Ungemütlich wird sie, wenn Ärzte zu Abtreibung raten oder Politiker nicht handeln. „Es darf nicht sein, dass bei Verdacht auf eine Behinderung ein Fötus über die Fristenregelung hinaus bis zur Geburt abgetrieben werden darf. Das ist eine ungleiche „Bewertung“ von behindertem und nichtbehindertem Leben und damit eine Diskriminierung von Menschen mit einer Behinderung. Niemand von uns darf entscheiden, welchen Wert ungeborenes Leben im Mutterleib hat, sei es nun behindert oder nicht.“

Das Schmuckstück Natasha

Zum 25-Jahr-Jubiläum von RollOn Austria entstand in Zusammenarbeit mit der Firma Swarovski der Schmuckanhänger „Natasha“ in der Form eines Engels mit nur einem Flügel. An jener Stelle, wo der zweite Flügel fehlt und die Behinderung sichtbar wird, sind Kristalle angebracht als Zeichen dafür, dass behinderte Menschen Schmuckstücke und genauso kostbar wie alle anderen Menschen sind. Das Schmuckstück kann als Zeichen der Solidarität mit behinderten Menschen getragen werden und kostet 29,90 Euro. Bestellmöglichkeit unter: info@rollon.at oder Tel.: +43 (0) 512 / 55 11 28.

Am 6. Dezember kommt Marianne Hengl zur Aufzeichnung der RollOn/ORF III – Fernsehsendung den 25. „Gipfel-Sieg“ ins Tannheimer Tal.

Barbara Stöckl trifft Hans Kammerlander und Matthias Lanzinger im Liftmuseum des Hotels Jungbrunn. Ausgestrahlt wird die Fernsehsendung „Gipfel-Sieg“ aus dem Tannheimer Tal – auf ORF III – an folgenden Tagen:

MI 26.12.18 um 11.40 Uhr
FR 28.12.18 um 01.50 Uhr
SA 29.12.18 um 15.40 Uhr
SO 30.12.18 um 8.55 Uhr

Text: Sabina Riegger · Bilder: privat

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