Kolumne

Barfuß

Ich sitze auf unserem Bett. Vor mir der Kleiderschrank. Er ist ziemlich groß, weiß, mit vielen Fächern und Schubladen und ohne Türen. Ich wollte schon immer einen offenen Schrank. Ich wollte meine Klamotten und Taschen zelebrieren. Und ich wollte sie immer im Blick haben. Mit Beleuchtung und mit farblich sortierten Kleiderstangen.

Es ist 20.42 Uhr, ein Samstagabend. Der Herbst steht vor der Tür. Und genau das ist der Grund, wieso ich jetzt hier sitze und auf diesen Schrank glotze.

Ich muss an ein Zitat denken: „Es sind die einfachen Dinge, die das Glück mit sich bringen.“

Bei dem Gedanken werde ich sentimental. Meine Augen werden feucht. Keine Ahnung, ob das normal ist, aber was ist schon normal?!

Ich wollte also einen Schrank, der von außem- wie von innem an einen der vielen skandinavischen Newcomer-Designer erinnert: Klassisch, puristisch, übersichtlich.

Was ich vor mir sehe ist aber weniger der skandinavische Jung-Designer, sondern vielmehr die Kunstlehrerin, mit Acryl-verschmierten Jeans und Bleistift im Haar, die nach Jasmintee und Orangenblüte riecht.

Aber das ist nicht das Problem. Acryl-verschmierte Jeans sind toll.

Es sind die Schuhe. Die Schuhe sind das Problem. Eigentlich sagt man, Frauen würden Schuhe lieben. Ja, die Frauen, die ich kenne, die tun das wirklich. Aber ich nicht. Ich hasse Schuhe.

Und das ist mein Problem. Schuhe sind für mich wie Knast. Jedenfalls, wenn ich sie tragen muss.

Vor mir im Schrank steht ein Paar Schuhe. Das einzige geschlossene Paar, in denen sich meine Füße nicht wie in einer Hochsicherheitszone fühlen. Sie sind aus Frankreich. Grau-braun mit Leopardenmuster. Vorne ein bisschen spitz- und halbhoch.

„Ihr seid schon heiße Treter, irgendwie.“ Irre, jetzt rede ich mit Schuhen… Aber deswegen sitze ich ja vor dem Schrank. Das einfache Glück kommt bei mir eben einfach barfuß. Bei neun Grad Außentemperatur übe ich deswegen allmählich dass „mich abfinden“. Ich denke an mein Kind, und mir wird warm dabei. Pünktlich zum Herbst muntert er mich nämlich immer auf: „Mama, die Leopardenschuhe sind doch Rock´n´Roll!“ Und er hat Recht. Das sind sie.

In meinem Ohr klingen auf einmal die Foo Fighters: „Yeah, I´m lookin to the sky to save me, looking for a sign of life…” Mit Siegerpose, Tanz und Nachthemd reiß ich mich aus meiner Lethargie: „Ich schaffe das!“ Mein Mann kommt ums Eck. Wir hopsen gemeinsam auf meiner Pyjamaparty vor dem Schrank rum. Das ist Liebe. Bis er es sagt: „Ah, hast du diese hässlichen Treter immer noch?“

Party is over.

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