Kolumne

Alles bleibt anders

Es gibt so Dinger- ich glaube, man nennt sie False Lashes: das sind einzelne, künstliche Wimpern, die sich manche Frauen zwischen ihre eigenen Wimpernhärchen kleben lassen, um einen scheinbar unwiderstehlichen „Schau mir in die Augen Baby“- Auftritt zu inszenieren: Volle, dichte Wimpern mit einem Schwung- nein, einer Kurve, die an Serpentinen im Hinterland der Provence erinnern und einer dramatisch-aufregenden Länge, dass einem die eigenen Wimpern nur noch wie kleine, verkümmerte Stumpen vorkommen.
„Wimpernverdichtung“ sagt man dazu im Fachjargon. Inzwischen weiß ich das. Meine Freundin nämlich schenkt sich solche zu Weihnachten. Ich glaube letztes Jahr standen auf ihrem Wunschzettel noch so Sachen wie ein Hirschleder-Gürtel und neue Raclette-Pfännchen. Dieses Jahr gibt es bei ihr Fondue und neue Wimpern.

Eigentlich ist sie überhaupt nicht der Typ für Chi Chi und falsche Wimpern. Sie ist eher sowas wie ein Rambo der Kosmetikindustrie. Mit meinem Spezial-Peeling aus columbianischem Fairtrade-Kaffeesatz und regionalem Imkerhonig im Gesicht bin ich aber jetzt wohl eher der Rambo unter uns Beiden.

Zuerst bin ich nicht gleich draufgekommen, wieso eine Frau, die sich zwischen Autoreifen wechseln und einer Kosmetikbehandlung mit Sekt und Smooth Jazz immer, immer, immer für Kreide, Öl, Schweiß und Wagenheber entscheiden würde, jetzt doch die Kosmetikerin vorzieht.

Aber ich kenne jetzt den Grund der Wimpern-Affäre. Stichwörter: Dezember, Stress und Durchdrehen.

Und ich kenne das. Also das mit dem Durchdrehen, und zwar pünktlich zum ersten Advent. Deswegen soll sie sich ihren neuen, buschigen, zehn-zentimeterlangen, wild gebogenen Wimpern ruhig hemmungslos hingeben und ihren dichten Wimperkranz zelebrieren. Das ist gut. Das beruhigt bestimmt die Nerven. Und stellt das Gleichgewicht zwischen ihr und Dezember wieder her.

Mein Gleichgewicht zwischen Online- Shopping-Eskalationen, Frank Sinatra und Bing Crosby, Stress und Kerzenschein, Regenwetter und Winter Wonderland suche ich noch.
Aber ich hab ja noch ein bisschen Zeit. Es ist Weihnachten, also „What happens in December, stays in December.”

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