Kolumne

Wachbleiben!

Ach, übrigens …

Bücher wie „Er ist wieder da“ von Timur Vernes flogen aus der der Bestseller-Liste. 50 Shades of Grey? Schnee von gestern! Die neuen Bestseller von heute tragen Rot mit Streifen und der Aufschrift: „Prüfungsaufgaben mit Lösungen“.

Als mich neulich mein einstiges Lieblingsbuch und der ständige Begleiter von früher aus dem Schaufenster anstarrte, überkam mich ein Gefühl der Freude. Freude darüber, diese Abitur- Trainer für Fachoberschulen nie wieder selbst durchackern zu müssen.

Ich dachte auch an das Fachreferat, das ich in Englisch hielt… „Machen Sie es spannend, Ademi! So, dass Ihr Fachreferat einen mitreißt und bewegt. Halten Sie uns wach, lassen Sie nicht zu, dass alle im Klassenraum mal wieder mit den Augenlidern kämpfen müssen, um wach zu bleiben.  Und ich bin der, der hier leider wach bleiben muss, um zu benoten. Es ist Prüfungszeit und mir tun allmählich die Ohren weh. Deswegen tun Sie mir den Gefallen, Ademi, und reden Sie während ihrem Referat einfach genauso viel und vor allem laut wie sonst auch. Erbarmen wenigstens Sie sich mit mir. Ich leide sonst!“ Genau das waren damals die Worte meines Englischlehrers bei der Besprechung für mein Fachreferat. Sanfte Worte eines weisen Mannes. Und so aufbauend, danke! Irgendwie konnte ich sein „Leid“ aber ehrlich gesagt trotzdem verstehen. Gerade weil ich wusste, wie schwer es war, sich jeden Tag während der Prüfungsphase maximal mäßig interessante Themen anzuhören und sich dabei zu konzentrieren, dem Referenten aufs Wort zu folgen und gleichzeitig gegen die Schwerkraft der eigenen Augenlider zu kämpfen, um wach zu bleiben. Gelang einem das als Schüler nicht, dann schlief man eben still und klammheimlich ein. Also keine Seltenheit. Und der Lehrer? Tja, irgendwer musste ja wach bleiben, um zu benoten. Das verlangte eben das Gesetzt der Prüfungs-Hierarchie. Dafür fand er auf seinem Tisch immer einen Becher brühwarmen Kaffee frisch vom Automaten auf seinem Tisch vor.  Und das vor jedem Fachreferat. Die gesamte Prüfungszeit über. Sponsored by uns. Klingt nach Bestechung? Ich nannte es Win-Win-Situation. Jeder profitierte. Auch ohne Kaffee habe ich versucht,  irgendwie wach zu bleiben und mir die Referate anzuhören. Learning by doing. Doing wach bleiben und mir was abschauen. Tatsächlich gelang es mir auch immer, aber beim Vortrag zur Interpretation von George Orwells „Animal Farm“ in Bezug auf die Oktoberrevolution von 1917 habe ich verloren. Die Müdigkeit hat gesiegt. Ich konnte Hirn und Geist nicht länger in Einklang zueinander halten. Wie auch, wenn man nur gefühlt ein Sechstel der englischen Fachausdrücke kennt.

Mein großer Tag war gekommen und ich war bereit, den Prüfer, so wie er wollte, in Grund und Boden zu reden. Dafür musste ich mich nicht groß anstrengen. Lediglich mental eine Art Knopf drücken, um die Wörter sprudeln zu lassen. Ich kann sehr viel, sehr lang und ohne Punkt und Komma reden. Wirklich. Als meine Stimme aber mit der Zeit etwas nachließ und nur noch mit angezogener Handbremse funktionierte, war mir schon mulmig zumute. Die Klasse schlief bis auf ein, zwei Hartgesottene sowieso, aber auch das Chi meines damaligen Lehrers verabschiedete sich langsam aber sicher. Jedenfalls sah er so aus. Ich war froh, nur noch ein Videoausschnitt trennte mich von der Erlösung. Ich drückte auf Play und urplötzlich waren alle Lebensgeister wieder im Hier und Jetzt. Aber mit richtig Bums. Nicht wegen dem spannenden Video über eine Kriegsgefangenschaft in Afrika, sondern weil die Lautstärke auf Vollgas eingestellt war. Schlüpfrige Technik. Damit will ich nichts zu tun haben. Der Lehrer ist inzwischen, wohlverdient, in Pension gegangen.

In diesem Sinne, Frohes Lernen!

Herzlichst, V. Ademi

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