
“Hip Hop ist ein Lebensgefühl”
Sonja Prendivoj ist eine Frau, die nicht in Schubladen passt – und das will sie auch nicht. Die heute 51-Jährige brachte die raue Street Culture Chicagos ins beschauliche Allgäu und schuf im „Schiff“ einen Ort, der so unkonventionell ist wie sie selbst.
Ihre musikalischen Wurzeln gehen auf Chicago zurück, wo sie als College-Radio-DJ Hip-Hop und Punkrock auflegte – weit entfernt von jeglichem Mainstream. „Hip-Hop hat zu Unrecht einen schlechten Ruf“, betont sie mit ihrem amerikanischen Akzent. „Dabei hat es viele musikalische Einflüsse: Von Rock, Jazz, Pop und Soul.“ Für Prendivoj liegt die Faszination in den Ursprüngen: „Die eigentliche Hip-Hop-Bewegung entstand in den Ghettos von New York – vor allem der South Bronx – und der dort entstehenden Street Culture. Diese ausgeprägte Street Culture habe ich hier in Deutschland nicht so erlebt.“
Über 3000 Schallplatten nennt sie heute ihr Eigen – Zeugnis ihrer Leidenschaft und ihrer Zeit als Plattenladenbetreiberin. „Betty, the Friendly Recordlady wurde ich genannt“, erinnert sie sich. Mit Zeitungsanzeigen suchte sie nach Hip-Hop-Raritäten. „Die meisten Platten wurden mir von Afroamerikanern angeboten. Die hatten die besten, weil sie sich mit der Musik identifizierten.“ Dabei scheute sie auch nicht Touren in die berüchtigten Stadtteile der South Side, die von hoher Kriminalität geprägt waren. Sie selbst lebte ebenfalls in der South Side, allerdings in einem wohlhabenderen Teil, wo es keine Kriminalität gab und die Kinder mit ihren Fahrrädern auf der Straße unbedarft fahren konnten.
Rebellion gegen Konformität
Mit 13 musste sie von der South Side in einen Vorort ziehen – ein traumatisches Erlebnis. „Das war furchtbar. Ich wollte das nicht. Ich mochte den Vorort nicht, die Schule und erst recht nicht die Leute“, sagt sie heute. „In meinem Viertel in der South Side fühlte ich mich wohl, ich ging auf eine katholische Schule, die Leute waren gut drauf.“ Der Vorort war so ganz anders als die South Side. „Die South Side war bunt. I don’t like conformity – Ich mag keine Konformität. Für mich bedeutet Konformität gefangen zu sein, keine Freiheit zu haben.“ Punkrock wurde zum Ventil für ihre Aggressionen, zum Ausdruck ihrer Rebellion. Jahrelang war sie Resident-DJ in Delilah’s, einer der drei größten Punkrock-Kneipen Chicagos. „Dort DJ zu sein bedeutete, ich selbst sein zu können, und das liebten die Gäste. Kein prätentiöses Auftreten, kein Schickimicki, einfach nur Sonja Prendivoj.“
Am 27. Dezember 2005 kam sie nach Deutschland. Anfangs pendelte sie noch mehrmals jährlich nach Chicago, um Platten zu kaufen und Freunde zu treffen. Heute ist sie sesshaft geworden. Sie ist nicht mehr auf der Suche nach ihrem Wohlfühlort. „Ich bin angekommen. Ich habe zwei Wahlheimate und Menschen, mit denen ich gerne zusammen bin“, sagt sie lachend. Ob sie jemals wieder ganz nach Amerika zurückgehen würde? „Das kann ich momentan nicht sagen. Ich fühle mich hier wohl – hier habe ich meinen Lebensmittelpunkt, meine Arbeit, Freunde und diese wunderbare Allgäuer Natur, die mich immer wieder begeistert.“
Im „Schiff“, ihrer eigenen Kneipe, steht sie hinter dem DJ-Pult und ist ganz in ihrem Element. Das „Schiff“ entstand aus einem Mangel heraus: Nirgendwo fand sie eine Lokalität, wo die Musik gespielt wurde, die sie liebte. Also holte sie die Street Culture selbst ins Allgäu und brachte bekannte DJs aus den 90ern mit. Dekoration? Fehlanzeige. „Der Lech und der Ausblick auf die Stadt ist Deko genug. Ich meine, wo gibt’s das. Ich liebe es.“
Auf Gästewünsche nach anderer Musik reagiert sie pragmatisch: „Dann sage ich, gehst du in ein Restaurant und sagst, hey, kannst du bitte was anderes kochen? Sie schauen dann etwas komisch, aber ich denke, sie verstehen dann, was ich meine.“ Ihr Prinzip: „Ich muss mit Leidenschaft arbeiten und authentisch sein.“ Und genau das ist sie. Momentan denkt die 51-Jährige ans Aufhören oder nur noch an Wochenenden zu öffnen. „Ich lass es auf mich zukommen“, sagt sie – getreu ihrer Lebensphilosophie, sich nicht in Schubladen stecken zu lassen.
Text · Foto: Sabina Riegger



