Brauchtum

Wie eine Art Diskothek

125 Jahre nach seiner Gründung soll beim Gebirgstrachten- und Heimatverein D’Neuschwanstoaner Stamm Füssen in Zukunft noch mehr der Spaß im Vordergrund stehen.

Auch wenn es bei Richard Hartmann sicher nicht so ist, dass er die Organisation beziehungsweise Teilnahme an Veranstaltungen und Aktivitäten, an denen sich der Gebirgstrachten- und Heimatverein D’Neuschwanstoaner Stamm Füssen beteiligt oder diese selbst auf die Beine stellt, mehr als Zwang denn als Spaß empfindet, sind es genau diese beiden Dinge, auf die der erste Sprecher des Vorstands des heuer seit 125 Jahren bestehenden Vereins künftig verstärkt sein Augenmerk legen möchte.

Demzufolge wolle er zusammen mit seinen Vorstandskolleginnen und -kollegen dem bei vielen Menschen vermutlich verbreiteten Image von Trachtenvereinen als etwas Angestaubtem, Altbackenem und Provinziellem entgegenwirken und die D’Neuschwanstoaner wieder populärer machen. Schließlich waren sie das in jüngster Vergangenheit in eher abnehmendem Maße und es stand vorübergehend sogar Spitz’ auf Knopf bezüglich der Frage, ob sich der 160 Mitglieder zählende Stammbaum mehrerer anderer Trachtenvereine in der Region Füssen auflösen sollte.

Nachdem man sich aber schließlich dagegen entschieden hatte, sei man momentan gerade dabei, quasi „wie Phönix aus der Asche“ zu steigen, erklärt Hartmann und fügt hinzu: „Wir wollen den Leuten zeigen, dass es Spaß macht, mit anderen zusammen zu sein und gemeinsam etwas zu unternehmen.“

So wie es einst auch bei dem Alpenclub Edelweiss und Almenrausch, dem Ur-Verein der D’Neuschwanstoaner, der Fall war, dessen Keimzelle hinter den Fabrikfassaden der Füssener Hanfwerke lag. Deren Geschäft florierte gegen Ende des 19. Jahrhunderts geradezu, so dass sie im Zuge dessen viele junge Männer, die zum großen Teil aus Ober-und Niederbayern sowie Böhmen stammten, als attraktive Arbeitgeber in die Lechstadt lockten. Die wollten hier natürlich nicht nur arbeiten, sondern danach auch ihren Spaß haben und Füssener Mädchen kennenlernen, wobei sie sozusagen ihre Traditionen mit im Gepäck hatten, wie etwa Jodeln, Zither spielen, Schuhplatteln und Lederhosen tragen.

Infolgedessen tanzten und musizierten sie miteinander im Wirthaus „Zum Mineralbad“ auf dem Gelände der Hanfwerke. Dort holten sie am 17. November 1900 eben den heurigen Jubilar aus der Taufe, um „Sitten und Trachten unserer Alpen für unsere jugendlichen Touristen zu verbreiten“, während mit „Touristen“ die Fabrikarbeiter gemeint waren, wie es in einer Vereinschronik steht, die Hartmann erstellt hat, der schließlich sagt: „Der Trachtenverein fungierte damals als so eine Art Diskothek oder Club in unserer heutigen Zeit.“

Kein Wunder, dass der Spaß denn auch 125 Jahre nach deren Gründung die Hauptrolle bei den Aktivitäten der D’Neuschwanstoaner spielen soll. Das dürften immerhin zum Teil die diesjährigen Jubiläumsveranstaltungen deutlich machen, die im Juli mit einem Volkstanz-Abend in der Schrannenhalle, wo es 125 „Halbe“ Freibier gab, begonnen haben und am 15. November fortgesetzt werden, wenn der Trachtenverein, der zu den 50 ältesten in Bayern gehört, den Gottesdienst in St. Mang umrahmt.

Und während anschließend im Vereinsheim am Schrannenplatz noch ein geselliges Beisammensein stattfindet, hofft Hartmann, dass er im kommenden Frühjahr die Chronik mit dem Titel „125 Jahre Trachtenverein D’Neuschwanstoaner“ herausbringen kann. Darüber hinaus hat der 60-jährige Macher des Heimatvereins den Wunsch, dass die D’Neuschwanstoaner mit den anderen drei Füssener Trachtenvereinen Burg Hopfen, Almrausch und Falkenstoaner zusammen beim Einzug zum Oktoberfest 2026 in München dabei sind. Allein waren die D’Neuschwanstoaner das unter Hartmanns Ägide immerhin schon zweimal, wo sie mit ihrer weiß-blauen Tracht sowie dem Adlerflaum auf ihren Hüten ihre Aufwartung gemacht und sozusagen für die Stadt Füssen Flagge gezeigt haben.

Bis es soweit ist, stehen für den zweitältesten Allgäuer Gebirgstrachten- und Heimatverein jedoch noch jede Menge weitere Aktivitäten auf dem Programm, wie regelmäßige Jugendproben. Bei denen basteln die Kinder und Jugendlichen unter anderem gemeinsam beziehungsweise pflegen sie bestimmte Brauchtümer wie zum Beispiel das Palmboschen binden oder lassen ihren musikalischen Gehörsinn schulen. In den jeweils einmal monatlich stattfindenden Aktivenproben üben sich darüber hinaus die ab 16-Jährigen unter anderem im Schuhplatteln und in sogenannten Figurentänzen.

Und schließlich gibt es noch achtmal im Jahr Vereinsabende, die laut Hartmann „offen für alle“ sind und damit unter Beweis stellen: „Wir sind mega-divers und freuen uns über jeden“. Dabei wolle man zeigen, „wir sind kein verknöcherter Verein“, sondern wie vor 125 Jahren dessen Paragraph 1 beherzigen, der da lautet: „Sitt’ und Tracht der Alten wollen wir erhalten.“

Text: Alexander Berndt
Fotos: GTuHV D’Neuschwanstoaner Stamm Füssen e.V.

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