
Aziz Kanat: Ein Füssener Unikat verabschiedet sich
Über ein halbes Jahrhundert lang war er die erste Adresse für den perfekten Saum: Aziz Kanat, der Änderungsschneider aus der Füssener Altstadt, geht in den Ruhestand. Mit 74 Jahren blickt er auf ein Leben zurück, das Stoff für eine Hollywood-Geschichte bietet.
Von Hanf zu Hosen – mit der „Bild“ als Sprachkurs
Seine Geschichte in Deutschland beginnt 1972 in den örtlichen Hanfwerken. Doch Kanat, der in der Türkei das Schneiderhandwerk erlernt hatte, brauchte nur zehn Tage Arbeitslosigkeit, bis eine Schneiderei in der Altstadt auf ihn aufmerksam wurde. Der Clou: Er sprach kein Wort Deutsch.
Die Sprache und Schrift eignete er sich auf besondere Art und Weise an – mithilfe der Bild-Zeitung! Obwohl sein türkischer Meisterbrief hierzulande nicht anerkannt wurde, startete Kanat durch. Er managte zeitweise Filialen in Füssen, Kaufbeuren und Bad Wörishofen. Als er sich selbstständig machen wollte, stellte sich das Landratsamt quer, weil es zu dieser Zeit zu viele Schneider in Füssen gab.
Die Reaktion der Füssener war legendär: Sie starteten eine Unterschriftenaktion und „erzwangen“ damit die Genehmigung für ihren Lieblingsschneider. Die kurioseste Anekdote betrifft den Deutschen Eishockeybund (DEB): Seit Jahrzehnten schneidert Kanat für das Nationalteam. Wie es dazu kam? Er half einst dem Vater der Eishockey-Legende Xaver Unsinn während eines Krankenhausaufenthalts beim Aufstehen. Aus Dankbarkeit vermittelte der Sohn ihm die DEB-Aufträge – eine Zusammenarbeit, die bis heute hält!
Kunden reisten aus Wien, München und Stuttgart an. Doch in den letzten Jahren arbeitete Kanat nicht mehr für den großen Verdienst. Sein Antrieb? Den älteren Menschen in Füssen zu helfen: „Wo sollen sie denn sonst hingehen?“ Er arbeitete zuletzt alleine, da keiner seiner Angestellten je Kanats hohe Qualitätsansprüche erfüllte.
Tief traurig beendet der dreifache Vater und mehrfache Großvater seine Arbeit zum 31.12.2025, da ihm seine Geschäftsräume gekündigt wurden. „Gerne hätte ich noch zwei Jahre weiter gemacht“, bedauert er und möchte sich auf diesem Wege von ganzem Herzen bei seinen treuen Kunden bedanken. Was macht ein Schneider, wenn er nicht mehr schneidert? Kanats Antwort ist entwaffnend bodenständig: „Dann gehe ich in meinen Keller und bastele dort etwas.“ Ein Füssener Unikat tritt ab – und seine Geschichten bleiben unvergessen.
Text· Fotos: Tanja Kunz



