
Tierische Freuden
Zirkus „Liberta“ besucht das „Haus Haas“
Lärm kann so erfrischend und entspannend sein! Nein, nicht der donnernde Presslufthammer auf der Baustelle nebenan, auch nicht die röhrenden Auspuffrohre verschiedener fahrbarer Untersätze. Ich spreche von dem „Radau“, den eine Schar schnatternder Gänse, quakende Enten und einige Dutzend gurrende Hühner machen, die voller Inbrunst und Eifer ein neues Terrain erkunden, zufrieden im hohen Gras picken und voller Begeisterung im Wasserbecken planschen.
Das taten die gefiederten Freunde kürzlich voller Vergnügen im „Haus Haas“ in Oy-Mittelberg, als die ortsansässige Einrichtung für suchtkranke- und psychisch kranke Menschen Besuch vom Kleintierzirkus „Liberta“ aus Immenstadt bekam. Mit dabei waren Hühnchen mit solch klingenden Namen wie deutsche Sperber oder Federfüße, Gänse aller Couleur, eine Schar Enten, zwei lammfromme Hunde und mehrere Katzen. Manche agierten als Zirkusdarsteller, andere waren einfach nur da zum Bestaunen, Kennenlernen und Wohlfühlen.
Das „Haus Haas“ im idyllischen Oy – unter der Leitung von Patrick Haas – gibt es bereits seit über 50 Jahren. Hier finden mehr als 70 suchtkranke- und psychisch kranke Menschen – betreut von knapp 60 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern – ein Zuhause, einen heimeligen und sicheren Rückzugsort von einem Leben, das es nicht immer gut mit ihnen meint.
Ähnlich lange – nämlich 44 Jahre – existiert der Kleintierzirkus „Liberta“. Den Eigentümern des Zirkus – Brigitte und Dieter Schetz – geht es vor allem um Menschen und Tiere, nicht um Sensationen. Deshalb treten bei ihren deutschlandweiten Shows keine Exoten aus fernen Ländern auf, sondern ganz alltägliche Bewohner unserer Breitengrade. Die dürfen – völlig frei von Druck oder Perfektionismus – für ein Stückchen Wurst die ein oder andere spektakuläre Nummer bestreiten.
Und wenn es mal nicht klappt, dann ist das laut Brigitte Schetz „überhaupt kein Problem“, denn der Spaß steht immer im Vordergrund. Und natürlich auch das gegenseitige Kennenlernen von Mensch und Tier. Um sich diese Show nicht entgehen zu lassen, besuchten auch die Kinder des Oyer Kindergartens den Zirkus und mischten sich – gemeinsam mit den Bewohnern vom „Haus Haas“ – eifrig und vergnügt unter die Schar schnatternder und flatternder Tiere. Und so gab es genug Zeit – bevor die Vorstellung begann – einander zu begegnen, sich kennen zu lernen und sich gegenseitig zu beschnuppern. Teils fühlte man sich wie auf einem kleinen Bauernhof, mit all den freilaufenden Tieren, die ganz genau wussten, dass die Erwachsenen und Kinder sie bewunderten und sich an ihnen erfreuten.

Nach einer Stunde war es dann Zeit für eine Show, die allen den Alltag versüßte. So zeigte eine verwegene Ente ihre Künste auf einer Wasserrutsche, sprang die nachtschwarze Katzendame „Herzerle“ unter tosendem Applaus des Publikums aus über drei Metern Höhe in die ihr vertrauten Arme von Brigitte Schetz, und die Mischlingshündin „Isis“ wagte unerschrocken gar den Sprung durch einen brennenden Feuerreifen, während der schneeweiße Kater „Merlin“ auf einem Drahtseil routiniert seine Geschicklichkeit beim Übersteigen eines dort sitzenden Hühnchens unter Beweis stellte. Jene mit angereisten Komparsen, die nicht bei der Show mitmachten, ließen es sich auf der Wiese gut gehen, pickten und schnatterten zwischen den Zuschauern genüsslich vor sich hin oder suchten sich einen ruhigen Schattenplatz, um dort ein Nickerchen zu halten. Nach der rundum gelungenen Show war noch genügend Zeit für die Bewohner des Heims und die Mädchen und Buben des Kindergartens, um die Tiere zu streicheln, sich über deren Kapriolen beim Planschen zu freuen, deren Zutraulichkeit zu genießen, oder um einfach in die Vielfalt der Farben und Stimmen der Tiere einzutauchen.
Nachdem sich die Kinder in Begleitung ihrer Betreuerinnen zum Mittagessen verabschiedet hatten, hielt auch im „Haus Haas“ eine wohlige Mittagsruhe Einzug. Diese friedliche Zeit der Muße wurde für einen weiteren, allerdings deutlich stilleren Höhepunkt genutzt. Zur Freude der Bewohner, die ihre Zimmer nicht verlassen konnten, machten sich Patrick Haas, Brigitte Schetz, Rosi Kutschewoj und Danièle Mauch mit jeweils einem Hühnchen auf dem Arm – begleitet von den beiden Hunden Arthus und Isis – auf den Weg, um auch ihnen ein inniges und unvergessliches Erlebnis zu bereiten.
Mühelos öffneten die Tiere mit ihrer bedingungslosen Freundlichkeit und Hingabe die Herzen aller. Mit strahlendem Lächeln und dem ein oder anderen tränenfeuchten Auge wurde samtweiches Fell gekrault, seidenweiches Gefieder gestreichelt und sich der behüteten Fröhlichkeit hingegeben, die sich entfaltete. Im Laufe des Nachmittags besuchten immer wieder neugierige und streichelfreudige Bewohner das Zoo-Lager auf dem Hof von „Haus Haas“. Sie lachten, kraulten, staunten und erfreuten sich an dem ungewöhnlichen, zutiefst entschleunigenden Treiben.
Erst am frühen Abend kehrten die Tiere schnatternd, gurrend und quakend zu ihren Transportanhängern zurück und gaben damit der Familie Schetz zu verstehen, dass es nun Zeit war, nach Hause zu fahren. Zurück auf den abgelegenen Hof bei Immenstadt, wo noch viel mehr Tiere leben, die einfach nur das tun, was sie gerne tun. Was bleibt zurück, bei den Bewohnern im „Haus Haas“? Erinnerungen an wundervolle und lustige Bilder, die mannigfaltigen Stimmen der Tiere, ein Gefühl der Freude und samtweicher Geborgenheit und – so Patrick Haas – „die Vorfreude darauf, den Zirkus ‚Liberta‘ bald wieder als Gast zu begrüßen“.
Text · Foto:: H. Birkholz



