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Nachgefragt! bei Dr. med. Christian Stenner

Ärztesprecher, Facharzt für Innere und Allgemeinmedizin, psychosomatische Medizin und Psychotherapie.

„Die medizinische Versorgung vor Ort ist existenziell wichtig“

Man stelle sich nur mal vor, dass man krank und die nächste Arztpraxis weit entfernt ist, so dass man nicht mal eben zum Hausarzt gehen und sich untersuchen oder behandeln lassen kann, zumal das nächste Krankenhaus noch weiter weg ist.

Während sich die Lage für manche Menschen, die in ländlichen Regionen in Deutschland leben, wohl so oder ähnlich schwierig darstellt und die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung damit dort vor besonderen Herausforderungen steht, ist dies im Altlandkreis Füssen (wenigstens noch) nicht der Fall und das, obwohl mehrere Hundert Hausärzte im Freistaat fehlen.

Füssen hat neben einem Krankenhaus, das eine Vielzahl von medizinischen Dienstleistungen anbietet, darunter Notfallversorgung und verschiedene Fachabteilungen, seit 2016 auch eine Bereitschaftspraxis der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB). Diese Einrichtung bietet eine wichtige Anlaufstelle für Patienten, die außerhalb der regulären Sprechzeiten medizinische Hilfe benötigen, jedoch keine akuten Notfälle haben.

Dass die medizinische Versorgung in der Lechstadt und Umgebung gut ist, könnte mit der starken touristischen Infrastruktur zusammenhängen. Die hohe Anzahl von Touristen stellt eine zusätzliche Anforderung an die Gesundheitsversorgung dar, was dazu führt, dass touristische Gebiete häufig eine erhöhte medizinische Infrastruktur benötigen, um sowohl die Bedürfnisse der Einheimischen als auch der Besucher zu decken.

Dazu gehören Notfallversorgung, Arztpraxen und möglicherweise auch spezialisierte Kliniken. Zudem kann die Präsenz von Touristen dazu führen, dass mehr Fachkräfte in die Region ziehen, was die medizinische Versorgung weiter verbessert. Füssen aktuell sprach mit Dr. med. Christian Stenner über die medizinische Versorgung im Altlandkreis Füssen. 

Dr. Stenner, wie sieht die medizinische Versorgung hier bei uns auf dem Land aus? Haben wir ausreichend hausärztliche Praxen?

Aktuell sind wir im hausärztlichen Bereich in Füssen gut aufgestellt. Gleichzeitig werden auch hier die Hausärztinnen und Hausärzte älter. Und bei einem im Bayern-Vergleich älteren Patientenkollektiv wird es künftig sicher auch in Füssen perspektivisch mehr Versorgungsprobleme geben. Was sich innerhalb der letzten fünf Jahre abgezeichnet hat, ist, dass die Zahl der Hausbesuchspatienten, das heißt der Patienten, die nicht mehr die Hausarztpraxis aufsuchen können, stetig steigt.

Haben wir das Glück, dass wir in einer Region leben, die eine starke touristische Infrastruktur hat und deshalb die medizinische Versorgung, selbst auf dem Land, gut ist oder gibt es dafür andere Gründe?

Ich denke auf jeden Fall, dass unsere Infrastruktur und der hohe Freizeitwert dazu beitragen, dass wir ausreichend Praxen vor Ort haben. Dennoch wäre es wünschenswert, gewisse Fachbereiche wie die Lungenheilkunde, Diabetologie oder Rheumatologie vor Ort zu haben.

Nichstdestotrotz gibt es Facharztpraxen, die einen Patienten-Aufnahmestopp haben, weil Ressourcen fehlen oder weil der wirtschaftliche Aspekt nicht gegeben ist. Monatelanges Warten auf einen Termin ist nicht unüblich. Welche Möglichkeiten gibt es dennoch, dass den Patienten geholfen wird? Wie wird das bei Ihnen und Ihren Kollegen und Kolleginnen gelöst?

Die langen Wartezeiten in Facharztpraxen ergeben sich leider in nicht unerheblichem Maß aufgrund des von der Kassenärztlichen Vereinigung festgelegten Regelleistungsvolumens, welches das zur Verfügung stehende Budget pro Quartal vorgibt und die Patientenversorgung damit limitiert. Innerhalb der Praxen behilft man sich unter anderem mit im Vorfeld geblockten Notfallterminen. Da wir in Füssen sehr gut vernetzt sind, können auch die Hausärzte direkt an die Fachärzte mit entsprechenden Fragestellungen herantreten.

Die Bereitschaftspraxis der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) wurde 2016 in Füssen eröffnet. Wie wichtig ist diese Anlaufstelle und wie stark wird sie frequentiert? Gibt es hierfür Zahlen? Fahren Sie auch in andere Landkreise oder ist das „nur“ auf das Ostallgäu begrenzt?

Jeder Vertragsarzt und jedes MVZ ist verpflichtet, am Bereitschaftsdienst teilzunehmen. Innerhalb des Bereitschaftsdienstes gibt es einerseits die Bereitschaftspraxen der Kassenärztlichen Vereinigung wie bei uns in Füssen. Zum anderen gibt es einen Fahrdienst, der jedoch einen größeren Bereich des Oberallgäus bis einschließlich Lindau mit einschließt. Die Bereitschaftspraxis in Füssen ist relativ gut frequentiert, wobei mir keine konkreten Zahlen vorliegen.

Welche Rolle spielt die Digitalisierung in der medizinischen Versorgung?

Die Digitalisierung hält immer größeren Einzug im Bereich der medizinischen Versorgung. Noch vor wenigen Jahren hätte ich nicht geglaubt, dass sich E-Rezept sowie die elektronische Krankmeldung so schnell durchsetzen. Auch die Online-Terminvergabe wird von vielen Patienten sehr gut angenommen und ist aus dem Praxisalltag nicht mehr wegzudenken. 

Wie könnte  die medizinische Versorgung für die Region in der Zukunft aussehen?

Perspektivisch ist aufgrund des bevorstehenden Ärztemangels davon auszugehen, dass wir in Zukunft mehr Patienten in weniger Zeit behandeln müssen. Die fortschreitende Digitalisierung wird uns hierbei unterstützen, jedoch kann auch die vielfach propagierte Videosprechstunde den persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt nur teilweise ersetzen. Eine offene Kommunikation mit unseren Patienten und eine bestmögliche interkollegiale Vernetzung sind sicherlich wichtige Faktoren, um eine gute Versorgung gewährleisten zu können. Es ist wichtig, dass uns die Politik dahingehend unterstützt.

Sie haben erwähnt, dass die medizinische Versorgung im Oberallgäu schon ganz anders aussieht. Warum?

Im Oberallgäu kam es schon zu Versorgungsproblemen, nachdem ältere Praxisinhaber keine Nachfolger finden konnten. Die sich abzeichnende Ärzteknappheit war auch ein erheblicher Faktor, die Bereitschaftsfahrdienste von Ost- und Oberallgäu zusammenzulegen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Ich danke Ihnen für Ihr Interesse.

Text: ale / rie · Foto: privat

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