
„Ich bin zufrieden!“
Es ist Dienstagnachmittag, ein wolkenverhangener Oktobertag, und ich bin auf dem Weg zum Franziskanerkloster, um mit Bruder Johannes zu sprechen, der seit 25 Jahren im Kloster lebt. Bis vor Kurzem kannte ich noch nicht einmal den Unterschied zwischen Bruder und Pater. Ein Bruder (lat.: frater) ist ein Mönch, der keine Priesterweihe empfangen hat, wohingegen ein Mönch, der die Priesterweihe erhalten hat, mit Pater angesprochen wird.
Ich werde von Pater Michael herzlich begrüßt. Nicht so von Bruder Johannes, der uns von der hintersten Tür des Klosterganges mit folgenden Worten empfängt: „Können wir jetzt endlich beginnen, damit wir fertig werden?“
Wir betreten einen Besprechungsraum und Bruder Johannes fragt, mit ernster Miene, noch während wir Platz nehmen: „Darf ich Dialekt sprechen oder müssen wir hochdeutsch reden?“ Ich atme tief durch, grinse ihn breit an und sage: „Ja bitte, bitte Dialekt, dann muss ich mich nicht so anstrengen und kann reden, wie mir der Schnabel gewachsen ist“. Das entlockt dem mir inzwischen gegenübersitzenden Mönch nun doch ein Lächeln und das Eis ist gebrochen. Was folgt ist ein interessantes Gespräch.
Zuerst stellt er in seiner bescheidenen Art klar: „Das 25-jährige Ortsjubiläum ist nicht mein Verdienst“. Damit hat er indirekt auch Recht. Die Mönche des Franziskanerordens sind generell nicht über lange Jahre an einen Ort gebunden, sondern werden immer dorthin „versetzt“, wo sie eben gebraucht werden.
Bruder Johannes ist in Neumarkt in der Oberpfalz geboren, verbrachte dort auch seine Kindertage und die Schulzeit. Nach seiner Ausbildung zum Bäcker hat er sein Noviziat (die Zeit seiner geistigen Ausbildung) in Bad Tölz verbracht und war, bevor er nach Füssen kam, für sieben Jahre im fränkischen Gößweinstein.
Auf meine Frage, warum er sich für den Franziskaner-Orden entschieden hat, obwohl sich nur 30 Kilometer von seinem Heimatort ein Benediktinerkloster befindet, antwortet er mit einem Blitzen in den Augen: „Weil ich nicht singen kann. Die Benediktiner singen fast das ganze Chorgebet. Das hat nicht funktioniert und deswegen habe ich nach etwas anderem Ausschau gehalten.“
Seit 37 Jahren ist der gelernte Bäcker dafür zuständig, sich und seine Mitbrüder zu versorgen. Als er vor 25 Jahren nach Füssen kam, waren dort, wie heute auch, fünf Mönche zu Hause. 2005 sind dann, durch Schließungen anderer Klöster, einige Mönche dazugekommen und Füssen wurde zu einer Ruhestandsgemeinschaft.
Bruder Johannes steht „täglich um vier Uhr sechzig“, wie er mit einem schelmischen Grinsen erklärt, auf. Nachdem er das Frühstück zubereitet und im Refektorium (dem Speisesaal des Klosters) aufgetischt hat, treffen sich um halb sieben die Mönche, um das erste Gebet des Tages, die Laudes, zu beten. Mittags wird gekocht.
Am Abend gibt es nur „ab und zu“ etwas Warmes. Wünsche bezüglich der Speisen gibt es nicht, außer am Namenstag, der in der katholischen Kirche durchaus gefeiert wird. „Wir bekommen oft Lebensmittel geschenkt oder ich muss das verarbeiten, was im Garten gerade reif ist“. Wenn sich einer der Brüder beim Essen verspätet oder beim Arzt ist, „bassd ma des scho nimma“, sagt er in seinem Oberpfälzer Dialekt, weil dann das Essen viel zu lang auf dem Ofen steht oder kalt wird.
Montag, Mittwoch und Freitag sind im Kloster die fleischlosen Tage. Bruder Johannes kauft alle Lebensmittel selbst ein. Durch die zentrale Lage des Klosters kann er viele Besorgungen zu Fuß erledigen, für alles andere nimmt er das Auto.
Dass es manchmal auch in einer geistlichen Gemeinschaft zu Diskrepanzen kommen kann, ist nicht ungewöhnlich. In so einem großen Haus wie dem Kloster kann man sich aus dem Wege gehen oder wie es Bruder Johannes nennt: Ausweichen. „Und wenn es dauernd kracht, dann muss man sich versetzen lassen, aber so etwas kommt nur sehr selten vor. Ich habe es noch nie erlebt“, erzählt der Ordensmann, der das Kochen als
spannend, kreativ und auch meditativ betrachtet. „Das funktioniert aber nur, wenn man in Ruhe seiner Arbeit nachgehen kann und ungestört ist, andernfalls „krieagst an Vogel“, sagt er. „Unter dem Kochen bete ich oft den Rosenkranz, das habe ich von den alten Brüdern gelernt.“ Bruder Johannes hat kein Handy und dafür hat er sich bewusst entschieden. Ihm reicht das Festnetztelefon im Kloster.
„Viele Menschen machen sich selbst einen Stress, weil sie immer nach mehr streben und immer erreichbar sein wollen“, erzählt er. Ein Leben in Wohlstand oder irgendein materielles Gut benötigt Bruder Johannes nicht. „Wenn ich etwas brauche, dann bekomme ich es. Ich bin mit dem, was ich habe, zufrieden.“
In seiner Freizeit fährt er gerne Rad oder geht schwimmen. Allerdings beschränkt sich seine freie Zeit auf den Urlaub. Ansonsten hat er eine Sieben-Tage-Woche. Und wenn er mal krank wird? „Ich war noch nie krank. Und das ist ein riesiges Geschenk“. Sein Vater war mit 50 Jahren schon arbeitsunfähig und daher weiß er dieses Geschenk Gottes umso mehr zu schätzen, genauso wie die Menschen, denen er täglich begegnet. Er bezeichnet sie als eine Bereicherung in seinem Leben.
Dann machen wir uns auf den Weg, um den perfekten Platz für ein Foto zu suchen. Bruder Johannes steht nicht gerne im Mittelpunkt und ist deswegen nicht allzu begeistert, ein Foto machen zu müssen. Dennoch geht er durch das Kloster mit und wir suchen die besten Plätze für das perfekte Foto. Am Schluss lässt er sogar noch ein Fünkchen Eitelkeit zu, indem er beim Betrachten der Fotos den Kommentar „Da schau ich schlank aus. Macht das der Hintergrund?“ äußert. Und als ich vermute, dass es am Habit, dem Ordenskleid der Franziskaner, liegt, ergänzt er: „Schwarz macht schlank.“
Sein Lieblingsplatz im Kloster ist die Kapelle im Dachgeschoss. Es ist ein wunderbarer Raum. Bruder Johannes erzählt, dass er sich immer auf die Gebetszeiten freut und beschreibt, dass ihm die durch die Gebete getaktete Tagesstruktur Sicherheit gibt und dem Tag einen ganz anderen Wert. „Ohne diese feste Struktur werde ich nervös“, so Bruder Johannes.
Zum Schluss fahren wir – ganz modern – mit dem Lift wieder nach unten. Der Aufzug ist neben der zentralen Lage des Klosters ein Grund dafür, warum das Füssener Franziskanerkloster als Altersruhesitz für die Mönche dient. Zum Abschied bekomme ich dann noch ein selbstgemachtes Apfelgelee aus Äpfeln des Klostergartens geschenkt.
Beim Verabschieden an der Türe treffen wir wieder Pater Michael, der mich fragt, ob ich den Bruder Johannes nun endlich bekehrt habe. Bruder Johannes klärt mich sofort auf: „Der is imma a bissl neugierig.“
Als ich dann auch noch erfahre, dass Pater Michael nächstes Jahr 80 Jahre wird, frage ich, wie die beiden das machen, so jung auszusehen? „Der Küchendampf strafft die Haut,“ sagt Bruder Johannes und lächelt mich an. Was für ein erfrischender Humor!
Text · Foto: Tanja Kunz



