Kolumne

Am Brunnen

Es ist noch früh morgens. Gerade bin ich in einer kleinen Stadt ganz in der Nähe von Amsterdam. Die schmalen Gassen der Altstadt sind noch ruhig. Ich sitze an einem Brunnen und beobachte von hier aus das Geschehen.

Irgendwie ist es magisch: Es ist, als wäre ich die einzige Zuschauerin in einem Freilichttheater, die ganz still und heimlich die Uraufführung genießen darf.

Ganz gemächlich hauchen die ProtagonistInnen den Gassen Leben ein. Es wird gekehrt, geredet und gelacht. Die Blumenstöcke gegossen und die Terrassen bestuhlt. Die Tische der Cafés und Bistros werden mit kleinen Blumenvasen, Salzstreuern und Speisekarten bestückt. Die letzten Lieferanten laden ihre Waren ab.

Eigentlich wollte ich längst weiter sein, in einem Café ein paar Gassen weiter. Die Sonne scheint und wärmt mich. Und noch nie bin ich so gut auf einem Stein gesessen wie hier.

Mein Magen knurrt ein bisschen. Gleich gehe ich weiter. Bestimmt. Vielleicht. Schräg gegenüber geht gerade eine schwere, hellblaue Holztür auf. Drei kleine Hunde jagen sich gegenseitig auf die Straße. Einer davon sieht aus wie Snoopy.

Ein älterer Herr tritt über die Türschwelle. Er pfeift und sofort drehen die drei kleinen Racker um. Unter seinem Arm klemmt ein Klappstuhl aus Holz. Ich weiß nicht genau warum, aber mich überkommt ein Gefühl, als würde sich das Theaterstück seinem Höhepunkt nähern… Ich genieße jeden Augenblick. Noch immer schaue ich zu dem älteren Herrn rüber.
Er klappt seinen Stuhl neben einem kleinen, runden Beistelltisch auf, holt einen Napf für seine Hunde raus und setzt sich. Wie ich ihn da sehe, muss ich sofort an Herrn Wondrak denken. Janoschs´ Wondrak. Der mit dem dichten Schnauzer, den wenigen, dünnen Haaren, den kleine Augen, der große Nase und dem noch größeren Herz.

Mich überkommt ein warmes Gefühl. Er neigt sein Gesicht Richtung Sonne. Und ehe er seine Augen schließen kann, bekommt er schon Gesellschaft. Aber nicht von Luise. Sondern von einem jungen Kellner. Auf seinem Tablett trägt er eine kleine Schüssel und eine Tasse.

Er stellt beides auf dem kleinen Tisch ab. Die Hunde sind aus dem Häuschen. Der ältere Herr steht auf und lächelt bis über beide Ohren. Der Kellner wirkt glücklich. Liebevoll kneift der alte Herr dem Kellner in die Wange.
Ihr Glück kann ich bis hierher spüren.
Ich gehe heute doch nicht frühstücken. Das Stück ist nämlich noch lange nicht zu Ende…

„Herr Janosch, wozu brauchen wir denn einen Wondrak? Damit er uns von oben Trost spendet. Uns die Kraft gibt. Sonst kommen wir nicht durch. Oder so.“

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