Menschen

Auf dem Weg in eine sichere Zukunft

Für Abdo, Heidr, Bilal und Abid hatte sich die Welt damals innerhalb weniger Monate komplett verändert. Als Teenies im Alter zwischen 15 und 16 kamen sie vor mehr als fünf Jahren aus Syrien, dem Irak und aus Pakistan nach Deutschland. Sie zählten zu den sogenannten „unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen“, in der Behördensprache kurz „UMF“ genannt. Wir haben uns die Frage gestellt, was aus den fünf jungen Menschen, die mittlerweile erwachsen sind, geworden ist und wie sich ihr Leben seitdem entwickelt hat. Füssen aktuell hat sie nach fünf Jahren wieder getroffen.

Zusammen mit rund 40.000 anderen Jugendlichen kamen 2015 auch die vier Jungs nach Deutschland, nachdem sie monatelang unterwegs waren. Auf der Flucht vor dem Krieg oder den unmenschlichen Zuständen in ihrer Heimat und in der Hoffnung, sich hier ein besseres Leben aufbauen zu können. Etwa 90 Minderjährige waren es, die damals in Maßnahmen der Kinder- und Jugendhilfe des Landkreises Ostallgäu untergebracht wurden, verteilt auf insgesamt 16 verschiedene Unterkünfte, unter anderem in Schwangau, Nesselwang, Eisenberg, Lechbruck, Seeg und Roßhaupten. Weit weg von zu Hause mussten sie sich in einer völlig neuen Welt zurechtfinden. Dabei wurden sie von örtlichen Betreuern versorgt und gefördert. Abdo, Heidr, Bilal und Abid kamen in die stationäre Jugendhilfeeinrichtung der Johanniter in Roßhaupten, wo sie in der „Villa im Wald“ schließlich ihr erstes neues Zuhause fanden.

„Heidr ist ziemlich schnell wieder nach München gezogen, wo dann auch seine Familie lebte“, erzählt die Diplom-Pädagogin Brigitte Pal, die damals die Einrichtung in Roßhaupten geleitet hat. „Abid lebt heute in Italien und Abdo in Bidingen, wo er derzeit immer noch eine Arbeit sucht.“

Insgesamt bis zu zwölf junge Menschen waren es, die von den Johannitern betreut wurden. Unter ihnen waren auch der heute 21-jährige Juan aus Aleppo sowie der gleichaltrige Abdullah aus Homs. In die Villa im Wald zogen sie im Frühjahr 2016 ein, wo sie die ersten beiden Jahre wohnten. Um Deutsch zu lernen, waren sie in einer Übergangsklasse an der Anton-Sturm-Mittelschule untergebracht. Als erstes aus der Villa wieder ausgezogen ist damals Abdullah, der seinen Weg erst finden musste. Vor gut einem Jahr hat er seine heutige Verlobte kennengelernt, die ihm half sich zurechtzufinden und positiv in die Zuklunft zu blicken. Bald wollen sie heiraten. Auch Juan hat eine eigene Unterkunft und Bilal lebt bei Familie Pal, die er als seine Familie betrachtet. Da keine minderjährigen Flüchtlinge mehr nachkamen oder die UMFs ihre Volljährigkeit erreicht hatten, wurde die Einrichtung in der Villa im Wald gegen Ende 2017 wieder aufgelöst.

Große Zukunftspläne

Schon seit einigen Jahren hat Juan nun auch eine feste Arbeit in der Küche des Hotel Wiedemann in Bad Faulenbach gefunden, wo er ein Zimmer bewohnt. „Die Arbeit macht mir sehr viel Spaß“, sagt er. „Ich mache das Frühstück und helfe dann bei der Vorbereitung für das Mittag- und Abendessen.“ Sein Landsmann Abdullah dagegen hat einen Job in einem Seniorenheim in Pfronten angenommen. „Zur Zeit bin ich dort noch als Helfer beschäftigt“, sagt er. „Ich arbeite in verschiedenen Schichten, oft fange ich schon um fünf Uhr an. Ich verteile das Essen und helfe, wo es geht.“ Im nächsten Jahr will er dann erst eine Ausbildung zum Pfleger beginnen, bevor er als Automechaniker sein Hobby schließlich irgendwann einmal zum Beruf machen möchte.

Der aus der pakistanischen Hauptstadt Islamabad stammende Bilal ist heute 23 Jahre alt und mittlerweile ausgelernter Bäckergeselle. Seine Ausbildung hatte er in der Bäckerei Höfler in Füssen erfolgreich absolviert. Bilal macht die Teige für die Backwaren und übernimmt als Geselle auch viele andere wichtige Aufgaben. Seinen Meister will er in den nächsten Jahren aber noch nicht machen. „Das ist schon eine sehr große Verantwortung, die man als Meister tragen muss“, meint er. „Dafür hab ich noch Zeit.“ Vielleicht später, irgendwann einmal, will er eine eigene Bäckerei haben. In Pakistan ist das ein guter, angesehener Beruf. Den richtigen beruflichen Weg für das neue Leben zu finden, war für die drei jungen Männer nicht ganz so einfach. Zu groß war die Umstellung anfangs, als sie sich in einer völlig fremden Umgebung, fernab von Zuhause, neu orientieren mussten. „Vor allem in den ersten ein bis zwei Jahren war es sehr schwer, als wir noch nicht richtig deutsch sprachen“, sagt Bilal. Aus dem Allgäu will Juan nicht wegziehen. „Die Berge, der Sport, überhaupt das Freizeitangebot ist super. Ich liebe diese Landschaft“, erzählt der junge Mann. Juan ist kurdischer Abstammung. Gegenseitig haben sie sich viel geholfen, aber auch viel untereinander gelernt, wie zum Beispiel die Sprache des anderen.

„Der größte Unterschied“

Bilal freut sich besonders darüber, dass er nun seit wenigen Tagen eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis in seinen Händen halten kann. So einfach ist dieser Status allerdings nicht zu bekommen. Man muss über mehrere Jahre hinweg einen festen Wohnsitz sowie einen geregelten Arbeitsplatz vorweisen, erfolgreich abgelegte Sprachkurse und unter anderem auch ein einwandfreies Führungszeugnis. Auch Juan will bald eine Aufenthaltserlaubnis beantragen. Er würde am liebsten irgendwann sein eigenes Restaurant in Füssen eröffnen, in dem er selbst kocht. Die syrische Küche ist seine große Leidenschaft. „Das gibt es hier noch nicht, da würden viele Gäste kommen“, meint er. Eines haben alle drei gemeinsam, sie wollen in Deutschland bleiben. „Wir fühlen uns hier wohl und wir haben es geschafft, ein normales Leben zu führen“, sagt Juan. Es wurden Freundschaften geschlossen und aus ihrer und der deutschen Kultur das Beste herausgepickt. Es würde ihnen schwerfallen, in ihren Heimatländern Fuß zu fassen. „Ich denke, die Zeit hier hat uns geprägt. Das, was uns am Anfang als komisch und zu bürokratisch erschien, schätzen wir jetzt“, meinen die drei.

Sie dürfen stolz sein auf das, was sie geschafft haben: nämlich, sich Weichen für ihre Zukunft gesetzt zu haben in in einem ihnen mittlerweile nicht mehr fremden Land.

Text: Lars Peter Schwarz, Sabina Riegger · Foto: rie

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