Kolumne

Der Lehrer

Es war der erste Tag im neuen Schuljahr. Meinem letzten und wichtigsten. Jetzt war die heiße Phase gekommen, endlich. Das Abi war so nah – und ich so müde. Ich musste meinen Kopf stützen und habe versucht, dabei einigermaßen gerade zu sitzen. Wenigstens das.

Aus der Ecke hinten hörte man ein motziges Genuschel. Parkplätze und leerer Zigarettenautomat waren die einzigen Wörter, die sich nicht nach Wörterwaschgang à la „Kopf au vin“ nachts um eins anhörten.

Es war jetzt 7:45 Uhr und pünktlich zum Gong stand da dieser Mann in der Tür. Er grinste in die Runde. Zwei tiefe Grübchen zeichneten sich ab.

Eigentlich war ich gerade dabei, mich dem Dunst hier zu ergeben. Mein Kopf war sehr schwer geworden und meine Hand würde als Stütze nicht mehr lange durchhalten. Das konnte ich spüren – es war wackelig. Und dann war da diese laute Stimme vom Mann in der Tür: „Naaa, ihr!“ Jetzt war ich wach. Jedenfalls wacher. Ganz offensichtlich hatte er am frühen Morgen weder mit Parkplätzen, leeren Zigarettenautomaten, noch mit Müdigkeit oder Körperhaltungsproblematiken zu kämpfen.

Dafür war er einfach zu gut drauf. Seine schwarzen Haare glänzten mit seiner Gürtelschnalle um die Wette. Er war groß, ein bisschen schlaksig. Unter seinem Arm klemmte eine Ledertasche. Sie hatte die gleiche Farbe wie sein kariertes Vlieshemd.

Inzwischen war ich wach. Ganz wach. Ich war wie gefesselt. Gefesselt von einem Mann mit Grübchen, Seitenscheitel, Jeans und Salonschleichern, der aussah wie Prince und der Bergdoktor gleichzeitig.

Als er sich uns vorstellte wusste ich: Es würde ein verrücktes Jahr werden. Was ich nicht wusste: Dass sich hinter „Naaa, ihr!“ ein begnadeter Redner versteckte, der dann mit Extravaganz oder Bergidylle nicht mehr viel gemeinsam hatte.

Es dauerte nicht lange, bis er wegen unzähligen temperamentvollen Diskussionen mit einer Schülerin berühmtberüchtigt wurde. Die beiden debattierten über Finanzwirtschaft, Gleichberechtigung und Europa wie zwei Boxer im Ring.

Mit dem einzigen Unterschied, dass es keinen Verlierer gab.

Ich erinnere mich, wie er zu der Schülerin immer sagte, ihre stärkste Waffe sei ihr Mundwerk. Er sagte, sie solle Politikerin werden – und falls nicht, den Mund trotzdem nie halten.

Aus mir wurde keine Politikerin. Aber man sollte ja niemals nie sagen. Bis dahin halte ich meinen Mund sowieso weiter offen…

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