Kolumne

Gute Aussichten

Ich sitze in einem kleinen Café. Draußen- mit Decke und einem großen Becher Tee, der fast schon so groß wie eine  Cornflakes-Schüssel ist. Es ist ziemlich kalt. Aber zum Glück scheint die Sonne und der Himmel ist strahlend blau. Am Tisch neben mir sitzen zwei französische Backpackerinnen. Ich schätze, die beiden sind Mitte-Ende Zwanzig.

Sie sind beide sehr hübsch. Eine von ihnen trägt einen großen, dunkelgrauen Hut im Seventies Look. Sie sieht ein bisschen so aus wie Twiggy. Nur nicht so dünn und mit dunklen Haaren. Die andere hat langes lockiges Haar und trägt grellen Lippenstift. Ich bin nicht sicher, ob der Farbton noch zu den Grund- oder Komplementär-Farben zählen würde, oder ob ihr Lippenstift doch schon neonfarben ist. Ich überlege kurz… Okay- doch. Das ist neonfarben.

Aber es wirkt nicht übertrieben oder aufdringlich. Ganz im Gegenteil. Sie haben beide einfach einen ganz besonderen Stil. Irgendwie selbstbewusst, feminin, chic und schrill. Nur alles auf einmal und wild gemischt. Auf dem Pulli der einen ist ein großer Aufnäher am Ärmel: „Oh là là“ steht da. Die beiden sitzen also direkt neben mir. Mit vollbepackten Reise-Rucksäcken, Neon-Lippenstift und diesem Aufnäher.

Manchmal werde ich auf einmal ganz euphorisch. Was dazu führt, dass ich dann eine Art Tatendrang verspüre etwas zu tun, was ich normalerweise nicht machen würde. Meistens passiert dieses Phänomen dann, wenn ich neugierig und interessiert bin. So wie gerade hier, auf der Terrasse. Wo reisen die beiden hin? Wo kommen sie gerade her? Wie lange sind sie schon unterwegs? Ich will alles wissen. Wir lächeln uns an. „Ah, oui“. Ich denke schon international. Das ist ein Zeichen. Denke ich mir. Mein Französisch ist zwar eher mäßig bis unzureichend, aber ich habe ja Hände und Füße. Also los, ich zeige Flagge: Ich dreh mich um und ziehe blank. „Bonjour!“ steht da auf meinem Busen. Also auf meinem Pulli über dem Busen. Dieser Pulli ist Schicksal, kein Zufall. Ich bin sicher. Das Eis ist gebrochen…

Die zwei, Julie und Philine, erzählen mir von ihrem Europatrip. Wir sprechen Engfrandeu. Ja, das gibt es. Das ist eine Mischung aus Englisch, Französisch und Deutsch. Wow, das nenne ich Europäische Gemeinschaft und Völkerverständigung. Sie erzählen von der Blockhütte in Ramdala, Schweden, Island und Joey, dem attraktiven Schotten in Breslau und von Zürich, wo sie Silvester und das Ende ihrer Reise feiern wollten. Sie fragten mich, ob ich schon mal zu Silvester dort gewesen sei.

Silvester in Zürich? Ähm, ja. Ich kann mich erinnern: Neben mir dieser kotzender Jugendliche pünktlich zum Jahreswechsel, das Frühstücksbuffet für 50 Euro pro Person, zwei schlaflose Nächte mit Mann und Baby, nervenaufreibende Straßenführung und Regen non-stop.
„Oh, Zürich sounds très spannend. Genau c´est rischtigö für us!“

Uff, na dann Freunde, guten Rutsch und formidable Aussichten…
Happy New Year uns allen…

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