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Bangkok Shutdown

Eine Stadt wird stillgelegt – eine Reportage vor Ort

Woran denkt man als erstes, wenn man Thailand hört? Man denkt an traumhafte Sandstrände, eine köstliche Küche, eine faszinierende Kultur und leider auch an Sextourismus. Das trifft genau genommen alles auf dieses fantastische Land in Südost-Asien zu, doch zurzeit kursiert es aus anderen Gründen in den Medien. Im Moment wird in Bangkok, der Hauptstadt Thailands, gegen die Regierung demonstriert. Da ich zurzeit ein Auslandssemester in Bangkok absolviere, bin ich direkt am Geschehen. Ich habe die Möglichkeit, die sich mir hier bietet, ergriffen und eine Freundin zu diesem Thema befragt. Doch um die Forderungen der Bürger und die aktuelle Lage besser zu verstehen, muss man sich als Außenstehender erst ein bisschen mit der Politik des Landes auseinandersetzen.

Der Grund für die Demonstrationen in Bangkok ist Thaksin  Shinawatra. Ein ehemaliger Polizeioffizier, der mit der Gründung des IT-, Telekommunikation- und Medienunternehmens Shin Corp im Jahre 1987 zu einem der reichsten Männer Thailands wurde. 1994 ging er in die Politik und wurde 2001 mit einer gewaltigen Mehrheit der von ihm gegründeten Partei TRT (Thai-Rak-Thai, was soviel heißt wie, „Thais lieben Thais“) Ministerpräsident. Thaksin bekämpfte die Armut in ländlichen Gebieten, führte eine allgemein zugängliche Gesundheitsversorgung ein und investierte in die Infrastruktur des Landes. Er erklärte einen Krieg gegen Drogen, in dem mehr als 2500 Menschen starben, wobei es sich in vielen Fällen um außergerichtliche Exekutionen handelte. 50.000 Menschen, hauptsächlich jüngere und ärmere, wurden des Drogenhandels verdächtigt und in militärisch organisierte  Erziehungslager geschickt. Trotz des zweifelhaft durchgeführten „Krieg gegen die Drogen“ stieß das ganze überwiegend auf Zustimmung der Bevölkerung. Die Toten wurden ausschließlich als gefährliche Kriminelle dargestellt. Dass unter den Opfern auch Männer, Kinder und Frauen waren, gegen die keine Vorwürfe vorgelegt werden konnten, wurde vertuscht.

Mit einem erneuten Wahlsieg wurde Thaksin 2005 in seine zweite Amtsperiode eingeführt. Ein Jahr später begann jedoch der Abstieg des Erfolgspolitikers. Obwohl eines seiner Hauptziele die Bekämpfung von Korruption war, hatte er selbst schon vor seiner 1. Amtszeit ein Korruptionsverfahren im Gange. Der steuerfreie Verkauf seiner milliardenschweren Anteile an seinem Unternehmen Shin Corp an Investoren aus Singapur, brachte letztendlich das Fass zum Überlaufen. Eine Bürgerbewegung, die sich gegen Thaksin richtet, organisierte sich. Die „Volksallianz für Demokratie“ besser bekannt unter „Gelbhemden“, führten Massenproteste durch und warfen ihm Korruption und Amtsmissbrauch vor. Am 19. September 2006 folgte der Putsch des Militärs. Thaksin wurde von seinem Amt suspendiert und mit einem Politikverbot belegt und seine Partei TRT verboten. Trotz Verurteilung floh er ins Ausland. Seitdem hat Thaksin aus dem Exil mehrere Versuche unternommen, eine sofortige Verhaftung auszuschließen, um nach Thailand zurückkehren zu können. Das führte mehrmals zu heftigen Protesten unter seinen Befürwortern, den „National United Front of Democracy against Dictatorship“ („Rothemden“) im Jahr 2010.

Ein Jahr später trat Yingluck Shinawatra, die Schwester von Thaksin, bei der Parlamentswahl an und gewann. Die Opposition, die Demokratische Partei Thailands, sehen in der jetzigen  Regierung eine Marionettenregierung, dessen Fäden Thaksin zieht. Diese Anschuldigung stützt der Versuch, ein Amnestiegesetz, welches Thaksin Strafffreiheit hätte gewähren sollen und ihm eine Rückkehr ermöglicht hätte, zu verabschieden. Das Amnestiegesetz, das mittlerweile zurückgestellt wurde, war der eigentliche Auslöser der aktuellen Proteste, die Ende letzten Jahres ihren Anfang nahmen.

Soviel zu der politischen Vergangenheit von Thailand. Ich habe mich über dieses Thema mit meiner Freundin Pim unterhalten. Pim ist eine 25-jährige Thailänderin, die in einem der von den Demonstranten besetzten Kaufhäuser beschäftigt ist. Sie verbrachte ihre Schulzeit in London und lebt nun wieder in Bangkok.

Pim, was sagst Du zu den Protesten?
Das ist eine sehr komplizierte Frage, man könnte ein Essay, ja sogar ein Buch über dieses komplexe Thema schreiben. Es ist schlimm

Was sind die Forderungen der Demonstranten und  was wollen sie erreichen?
Anfangs war es, die Verabschiedung des Amnesty-Gesetzes zu verhindern. Jetzt ist das Ziel, die komplette Eradikation der Shinawatra Familie aus dem politischen System. Außerdem wollen sie das Parlament abschaffen und einen Volkskongress aufstellen.

Wie gefährlich ist Bangkok zurzeit?
Bangkok ist nicht wiklich gefährlich, da die Anti-Regierungs-Demonstranten (Gelbhemden) nicht gewalttätig sind. Jedoch sind sie mit Pro-Regierungs-Demonstranten (Rothemden) zusammengestoßen. Du hast das ja sicher mitbekommen, dass sie letztes Wochenende kleine Bomben, vermutlich Handgranaten, auf die Protestzüge geworfen haben oder wie sie den Oppositionsführer Suthin Taratin während einer Rede erschossen haben. Die Rothemden sind sehr gefährlich und gewaltbereit, 2010 haben sie viele Gebäude in Brand gesetzt, darunter auch das Kaufhaus, in dem ich arbeite.

Was für Menschen sind das, die auf die Straße gehen?
Derzeit sind die Demonstranten hauptsächlich Bangkokianer, sie sind wohlhabender als die meisten Thailänder, vor allem die  von der alten Schule, die die Monarchie unterstützen. Des Weiteren die Arbeiterklasse aus dem Süden und Geschäftsleute, deren Geschäfte von Thaksins Politik beeinflusst wurden. Zum Beispiel die Reishändler, die nach der „Reispolitik“ der Regierung pleite gingen.

Wie beeinflusst Dich die momentane Lage?
Es beeinflusst uns alle sehr. Einfach Alltagssituationen wie von A nach B zu kommen… Für mich ist es nicht nachvollziehbar, dass Demonstranten einfach so eine Geschäftsstraße besetzen können. Private Unternehmen, die absolut gar nichts mit der Politik zu tun haben, leiden extrem unter diesen Protesten. Ein gutes Beispiel ist der H&M in unserer Mall. Sie machen gewöhnlich einen Tagesumsatz von drei Millionen Baht (circa 71400 Euro) . Jetzt machen sie nur noch 200.000 Baht (circa 4700 Euro) am Tag. Das sind Einbußen von über 90 Prozent. Das Land leidet darunter, da so viele Menschen in Thailand auf den Tourismus angewiesen sind. Momentan bereiten sie sich im Stadtzentrum auf ein mögliches Aufeinandertreffen der Rot- und Gelbhemden vor. Unser Unternehmen ist sehr besorgt, dass unser Kaufhaus wieder in Brand gesetzt werden könnte.

Du bist gegen die Protest-Gesetze?
Ja, Das Problem ist, die Leute verstehen zwar das Konzept, Rechte zu besitzen, jedoch nicht, dass man dabei die Rechte anderer nicht einschränken soll. Was ist mit den Leuten, die jeden Tag zur Arbeit müssen, um ihre Existenz zu sichern, oder einen anderen politischen Standpunkt haben? Im Augenblick blockieren die Demonstranten das komplette Rachaprasong Gebiet, obwohl sie sich dort lediglich einmal am Tag treffen. Die restliche Zeit ist es dort wie auf einem Straßenmarkt. In England müssen Protestzüge bei der Polizei angemeldet werden, damit die Straße für diese Zeit gesperrt und danach gleich wieder geöffnet wird. Dort hat die Polizei die Autorität, die Bürger zu stoppen.

Aber ist die Polizei in Thailand nicht korrupt?
Jeder ist korrupt. Jeder in Thailand ist korrupt!

Hast du noch irgendwelche abschließenden Worte?
Alle Politiker hier sind Mist! Das System ist so dubios, genauso wie die Personen an der Spitze. Bitte himmelt diese Leute nicht an, verschwendet weder Tränen noch Schweiß oder gar das Leben für sie.

Vielen Dank Pim

 

Text · Bilder: Yannic Riegger

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