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Karolina Hanauer

100 Jahre und kein bisschen leiser

Füssen.    Am 7. Januar wird Karolina Hanauer 100 Jahre alt. Geboren noch zu Zeiten der Monarchie blickt die Füssnerin  auf zwei Weltkriege, eine Diktatur, Zerstörung, Aufbau und Aufbruch zurück. Manchmal mag sie an die vergangenen Jahre nicht denken. Es sind die Jahre während des zweiten Weltkrieges. Sie waren furchtbar, so furchtbar, das Karolina Hanauers Gefühlswelt noch heute „Karussell“ fährt. „Man kann sich das nicht vorstellen. Hoffen wir, dass die Menschen nicht noch mal so blöd sind und einen Weltkrieg anfangen“.

Karolina Hanauers Verstand ist scharf – ihr entgeht nichts was in Füssen und Umgebung passiert. Sie empfindet nicht alles gut, was in „ihrer“ Stadt passiert und dennoch, so die rüstige Seniorin, „sind wir auf dem besten Wege Füssen touristisch attraktiver zu machen“. Mit ihren Ideen hält sie sich nicht zurück und wenn ihr etwas missfällt, dann will sie darüber diskutieren und hinterfragen. „Ich habe schon oft mit unserem Tourismusdirektor, Herrn Fredlmeier, gesprochen oder auch mit dem Bürgermeister. Mich interessiert Füssen“, gibt Karolina Hanauer zu verstehen. Sie weiß, wo es lang geht, schließlich war sie jahrelang die Chefin des Hotels „Sonne“. Heute wohnt sie wieder im Hotel um ganz in der Nähe ihrer Familie zu sein. Ab und zu unterhält sich mit den Gästen – wenn es nötig ist, auch auf Englisch. „Man muss für das Leben, für das Höhere interessiert sein“, ist sie sich sicher. Füssen aktuell traf sich mit der agilen Seniorin zu einem Gespräch.

Was hält Sie jung? Wollen Sie wirklich eine Antwort darauf?

Aber ja, es ist doch ein besonderes Alter. So? Im Grunde genommen lebe ich bescheiden. Ich bin früher viel zum Schwimmen gegangen und zwar im Schwansee, gleich morgens um sechs. Mit dem Fahrrad bin ich rüber, mit Trainingsanzug, Kopftuch und Mantel. Da war es nämlich kalt in der Früh. Das habe ich bis zu meinem 80. Lebensjahr gemacht. Wenn es nicht gerade aus Kübeln gegossen hat, bin ich täglich zum Schwimmen gegangen. Eigentlich hatte ich vor, immer bis Allerseelen zu schwimmen, aber es ist mir nicht jedes Jahr geglückt.

Sind Sie lebensbejahend? Das kann ich auch nicht so sagen. Ich hatte immer mit Schwermut kämpfen müssen.

Wenn Sie so zurückblicken auf ihr Leben, was für ein Resümee können Sie ziehen? Ich war viel allein, weil meine Söhne beim Studium und in der Ausbildung waren. Später habe ich mich mit der Ahnenforschung, Geschichte und Religion befasst und bekam dadurch wieder viel Kontakte. Ich wollte wissen, was jeder Einzelne von uns bewirken kann. Wissen Sie, ich habe so viel Elend in meinem Leben gesehen. Wir hatten hier ein Lazarett, Menschen, die zum Sterben kamen. Es waren viele bedrückende Jahre. Ich habe lange gebraucht, bis ich es verarbeitet habe. Man bekommt im Leben nichts geschenkt, das habe ich früh gelernt. Wenn ich so zurückschaue, dann kann ich sagen, dass ich ein glückliches Kind war. Wenn ich mein Leben noch einmal leben müsste, dann nicht mehr so wie es war. Die Zeit war einfach schlecht und schwierig. Nicht dass Sie jetzt denken, dass ich nie glücklich war. Solche Momente hatte ich auch.

Denken Sie viel an die Vergangenheit? Ja, sehr viel. Ich ertappe mich dabei nachts wach zu liegen und darüber nachzudenken. Heute gehe ich durch Füssen, meistens um 22 oder 23 Uhr nachts. Dann ist es ruhig, und ich kann mir genau die Gassen und Häuser anschauen. In jedem Haus steckt eine Geschichte. Manchmal treffe ich dann auf Füssener, die sehr überrascht sind, wenn sie mich um die Uhrzeit sehen. Sie sagen dann „Frau Hanauer, es ist gefährlich so mitten in der Nacht“.

Was sagen Sie dann dazu? Ich finde die Besorgnis nett. Dann erkläre ich Ihnen was ich mache und dann kommen wir ins Gespräch und das finde ich ganz toll.

Sind Sie stolz darauf, dass das Lebenswerk Ihres Vaters und von Ihnen weiter geführt wird? Ich bin nicht stolz, sondern ich freue mich und bin glücklich, dass wir es geschafft haben. In meiner Verwandtschaft waren alle Braumeister, Landwirte und Gastronomen – es liegt uns sozusagen im Blut. In der Hotellerie hat sich viel geändert. Manchmal kann ich nicht alles nachvollziehen, weil sich die Welt so verändert hat. Früher gab es keine Wegwerfgesellschaft, man hat nie Lebensmittel entsorgt. So etwas machte man einfach nicht. Heutzutage ist es anders. Mit dem kann ich mich nicht anfreunden. Aber die Zeiten haben sich geändert – vielleicht muss ich es auch nicht verstehen.

Haben Sie einen besonderen Wunsch an Ihrem Geburtstag?
Ich wünsche mir zu meinem Geburtstag, dass die beiden Bürgermeister meiner Gemeinden, des bayerischen königlichen Paradieses (sie lacht) kommen. Und dass ich besser höre, dass die anderen keine Plage mit mir haben. Manchmal reime ich mir etwas zusammen, weil ich nicht verstehe, was man mir sagt.

Wieso nennen Sie „Ihre“ Gemeinden „bayerisch königliche Paradiese“? Nun, König Ludwig nannte unsere Gegend ja auch so. Und er hatte recht. Wir leben hier wirklich in einer wunderschönen Region und sie ist paradiesisch. Ich bin nur froh, dass wir diesen blöden Spruch „Königswinkel“ weg haben. Ein Ausländer versteht das doch nicht „Kings Corner“ – was stellt man sich darunter vor?

Gefällt Ihnen die „romantische Seele Bayerns“ besser? Damit habe ich mich nicht wirklich befasst. Wenn ich denke, dass früher die Nachthafer auf der Straße entleert wurden, mein Gott, dieser Gestank … und heute flaniert man durch die Reichenstraße.

Vielen Dank für das nette Gespräch, Frau Hanauer. Ich danke Ihnen.

 

Text · Bild: Sabina Riegger

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