Menschen

Pietro Minnelli – Seit 46 Jahren in Füssen

„Es sollte nur für kurze Zeit sein“

Füssen.   Es war der 11. April 1965, als Pietro Minnelli nach Füssen kam. Er weiß nicht so genau, ob es ein Mittwoch oder ein Donnerstag war, aber was er wusste war, dass dieser Tag sein ganzes Leben verändern würde. Mit 18 Jahren fiel es ihm schwer, seine Freunde in Sciacca in Sizilien zu verlassen. Es sollte nicht für immer sein, nur für eine kurze Zeit, dann wollte er wieder zurück nach Sizilien, wo es nicht so kalt wird.

Das Wetter gefiel Pietro Minnelli ganz und gar nicht. Eigentlich hatte er nicht vorgehabt nach Deutschland, nach Füssen, zu kommen. Doch seine Schwester wollte die 37 Stunden Reisezeit nicht alleine verbringen, also überredete sie ihn mitzufahren, damit sie ihren Mann besuchen konnte.

Sie war bereits 1960 in Füssen und arbeitete hier für zwei Jahre, bis sie ihren Mann, einen Sarden, kennenlernte und mit ihm zurück nach Sizilien ging. Doch die schlechten Arbeitsbedingungen zwangen das junge Paar wieder zurück nach Füssen. „Als ich Füssen sah, dachte ich mir – was für eine schöne Stadt. Wenn ich schon nach Deutschland gehe, dann wollte ich wenigstens in einer Stadt leben, wo ich mich auch wohlfühlen konnte“, erzählt der heute 64-jährige Pietro Minnelli. Verständigungsprobleme gab es anfangs kaum. „Ich habe Glück gehabt, dass ich Pietro Zucca kannte. Er hatte die deutsche Schule in Füssen besucht und konnte mir alles übersetzen. Abends habe ich dann die Tillmann Schule besucht, so dass ich ein wenig Deutsch sprechen konnte.  Das war für mich sehr wichtig, ich wollte mit den anderen kommunizieren“, blickt Minnelli zurück. Viele Italiener gab es zu der Zeit in Füssen, die meisten arbeiteten in den Hanfwerken oder als Maurer, so wie Pietro Minnelli.

Herr Minnelli, wie war Ihr erster Eindruck von Deutschland? Schön. Füssen hat mir gut gefallen.

War für Sie klar, dass Sie wieder zurück in Ihre Heimat gehen wollten? Oh ja. Doch es kam alles anders. Als ich wieder nach Italien zurück wollte, kam die Gendarmerie und sagte mir, dass ich noch drei Monate Zeit hätte und dann müsste ich zum italienischen Militär, um meinen Dienst abzuleisten.
Blieben Sie dann dort? Nein, ich hatte ja einen Arbeitsvertrag. Jeder, der eine Arbeit in Deutschland hatte, musste keinen Dienst leisten. Man munkelte damals, dass die deutsche Regierung dem italienischen Staat diese „Militärdienst-Ausfälle“ zahlte.

Was war ihr erster Eindruck von Deutschland? Ich komme aus einem Fischerdorf, in dem es viele Nationalitäten gab – Tunesier, Portugiesen, Marokkaner … aber ich habe nie bemerkt, dass sie dort diskriminiert  wurden. Als ich nach Deutschland kam, war ich etwas erschrocken – man beurteilte die Menschen, ohne sie zu kennen. Das war mir fremd.

Haben Sie Ausländerfeindlichkeit selbst erfahren müssen? Ja, zum Teil, aber es war wahrscheinlich auch die Unwissenheit der Menschen. Das war 1968/69. Es gab ein großes Erdbeben in Sizilien. Wir holten unsere Eltern und die Schwester nach Füssen und suchten eine Wohnung. Aber es hieß immer wieder – an Italiener vermieten wir nicht.

Wo haben Sie anfangs gewohnt? In den Wohnungen beim Leinweber-Lager. Ich hatte ein Zimmer mit meinem Bruder, das 16 qm groß war und ein Waschbecken hatte. Auf einem Rechaud mit zwei Platten haben wir manchmal gekocht. Ein Bad gab es nicht, stattdessen sind wir zwei bis drei Mal die Woche zum „Geiger“ in die Kemptener Straße gegangen. Dort konnten wir dann ausgiebig baden. Meine Schwester hatte in der Karlstraße gewohnt. Sie hatte dort eine nette Wohnung, da habe ich mich sehr wohl gefühlt.

1970 haben Sie zum Industriemechaniker umgeschult. Gab es einen Grund dafür? Ja, ich habe mich entschlossen in Deutschland zu bleiben und ich konnte mir nicht vorstellen, bei der Kälte weiter als Maurer zu arbeiten. Also habe ich umgeschult. Dreieinhalb Jahre bin ich täglich wegen der Ausbildung nach München gefahren. Danach habe ich 40 Jahre lang als Einsteller bei Sinterstahl, der heutigen PMG,  gearbeitet.

Hatten Sie es schwer, sich in Füssen zu integrieren? Nein, ganz und gar nicht. Ich war in einer sehr netten Clique. Wir haben viel gemeinsam unternommen und trafen uns regelmäßig im ersten Stock im „Café Mozart“. Das war schon eine tolle Zeit, die möchte ich nicht missen.

Was ist Ihrer Meinung nach wichtig, um sich in einem fremden Land zu integrieren? Nicht darauf warten, dass irgendjemand einem etwas anbietet. Man muss schon selbst die Initiative ergreifen und es  auch wollen. Es gab Italiener, die sich abgekapselt haben: Nach der Arbeit nach Hause gehen, essen, schlafen und das gleiche am nächsten Tag wieder. Wichtig ist, dass man nicht schon vorab Menschen verurteilt, ohne sich wirklich ein Bild von ihnen gemacht zu haben.

Haben Sie es bereut jemals nach Deutschland gekommen zu sein? Nein, überhaupt nicht. Ich habe eine Familie aufgebaut. Leider ist meine Frau vor zwei Jahren verstorben. Meine Kinder und Enkelkinder leben hier, meine Geschwister, … eben ein großer Teil meiner Familie. Mein Leben spielt sich hier ab und ich fühle mich wohl dabei.

Text: Sabina Riegger
Bilder: Sabina Riegger (1), Privat

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