Menschen

„Ich bin ein großer Fan vom Denken“

Jürgen Brecht und seine Auffassung von Gemeinschaft

15.000 Euro spendet Jürgen Brecht jährlich an gemeinnützige Vereine, Organisationen, Schulen und Kindergärten in Füssen und der Region. Er spendet, weil er der Auffassung ist, wenn man ein Teil einer Gemeinschaft ist, sollte man sie auch unterstützen. Füssen ist für ihn eine große Gemeinschaft, er fühlt sich als ein Teil davon. Worte eines Mannes, der 2001 nach Füssen gezogen ist, um hier „seiner“ Gemeinschaft näher zu sein. Jeder kennt sie in Füssen. Irgendwie ist er dabei und auch wieder nicht. Und wenn ihn jemand fragt: „Gehörst Du dazu“, dann antwortet Jürgen Brecht: „Ich gehöre mir und sonst niemandem.“

Einmal hat man seine Spende abgelehnt. Ein bisschen tat es ihm leid. „Es war ja für einen guten Zweck gedacht“, sagt er lächelnd. Brecht drückt sich gewählt aus. Wenn er in Anzug und Krawatte auftreten würde, käme er sogar ein wenig versnobt rüber. Dass er Geld hat, lässt er sich nicht anmerken. Für ihn ist das nebensächlich, oder zumindest zeigt er das nicht, auch äußerlich nicht. Wenn es kalt ist, trägt er einen Hut, ein Trachtenhemd und einen Janker. Bayerisch für einen Westfalen, der damit seine Verbundenheit zu der Region zeigen will. Authentisch wirkt es nicht. Aber Brecht mag Rollenspiele. Vielleicht ist es eines davon. In Lippstadt geboren zog es ihn nach Berlin, um zu studieren. Drei Semester studierte er Geschichte und Sozialkunde, bis er merkte, dass er eventuell auch anders Geld verdienen könnte. „Im April 1983 habe ich mal beruflich getestet, ob mir die Kundenbetreuung am Telefon zusagt oder nicht, und das mache immer noch. Es ist eine Ortsunabhängigkeit, ich muss nicht reisen, habe überschaubare Arbeitszeiten und bin flexibel“, erzählt er begeistert. Brecht vermittelt Gebäudedarlehen ab zwei Millionen Euro.

Dass er nach Füssen wegen einer Gemeinschaft kam, ist für ihn nichts ungewöhnliches. Manche würden ihn als Hippie bezeichnen – so wie man es damals Rainer Langhans nachsagte, der freie Liebe und Kommunen liebte. Jürgen Brecht mag das auch. Er lebte in Berlin in einer Gemeinschaft, warum also nicht auch in Füssen? Dass die Füssener Gemeinschaft einen ambivalenten Ruf genießt, ist Jürgen Brecht egal. „Ich mache mir selber ein Bild von allem. Ein Bekannter von mir aus München sagte zu mir:  So eine Gemeinschaft kann nicht immer auf Zustimmung stoßen. Es war ja immer so in der Geschichte. Sie sagen: spiel nicht mit den Schmuddelkinder. Deswegen ist es für mich nichts persönliches, es wird immer Ablehnung geben. Ich finde es ein wenig schade. Es ist halt so.“

Auf Ablehnung stößt Jürgen Brecht nicht mehr oder weniger als andere Füssener. Und wenn, dann sieht er drüber hinweg. Er ist in vielen Vereinen Mitglied. „Füssen ist offen und es kommen immer wieder neue Menschen dazu. Das macht diese Stadt so interessant.“ Das Interesse für Geschichte brachte ihn auch dazu in „Alt-Füssen“ Vereinsmitglied zu werden.

Ein historischer Verein, der unter anderem das Verständnis für Geschichte und heimische Kultur Füssens und seiner Umgebung fördert. Für Jürgen Brecht ist es nur selbstverständlich, dass er den Verein finanziell unterstützt. Der Verein passt zu ihm. Denn Brecht ist ein Denker, er hinterfragt und will wissen. „Ich bin ein großer Fan vom Denken. Wer bin ich und wenn ja wie viele, so heißt auch ein Buch von David Precht. Ein genialer Titel. Aber mal im Ernst: Ich freue mich, dass mir das Leben einen Körper gegeben hat zum Bewegen und einen Geist zum Denken. Das nutze ich dann auch.“ Brecht ist begeisterter Fähnrich bei den Kaiserlichen zu Füssen, in Hohenfreyberg, Ehrenberg und Füssen in der Renaissance.

Jürgen Brecht gehört nicht zu den Schwurmenschen, so nennt sich der innere Kreis der Gemeinschaft, die er nicht bei Namen nennen will. „Sie haben ein Gemeinschaftseigentum. Ich gehöre zu dem äußeren Kreis. Es ist so wie bei bei dem einen oder anderen Katholiken. Manche gehen einmal im Jahr in die Kirche, andere täglich. Ich arbeite nicht dort und habe meine eigene Wohnung und mein eigenes Geld. Ich verstecke mich nicht und stelle mich aber auch nicht auf den Marktplatz.

Füssen hat 15.000 Leute, man kann nicht mit allen per Du sein. Diese Stadt hat so eine bunte Zusammensetzung, egal ob ethnisch oder religiös, und man muss nicht alles toll finden. Aber ich finde ausgrenzen nicht schön.“ Brecht grenzt niemanden aus, er schätzt die Kommunikation. Deswegen fühlt er sich wohl in Füssen und seiner Gemeinschaft. Und die  besungenen „Schmuddelkinder“ des Liedermachers Franz-Josef Degenhardt? „Warum hinterfragt man nicht die Lebensumstände anderer?“, gibt Brecht zurück. Spenden will er weiterhin, und wenn es jemand nicht will, dann ist es eben so.

Text: Sabina Riegger · Bild: privat

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