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Der Friedhof – ein Ort der Begegnung

Was sich auf den ersten Blick vielleicht etwas befremdlich liest, entpuppt sich aber auf den zweiten Blick als sehr gelungene Weiterentwicklung des „Konzeptes“ Friedhof. Über Generationen war der Friedhof ein Ort der Trauer und Stille. Der Ort, an welchem Hinterbliebene Abschied nehmen oder sich ihren Liebsten nahe fühlen konnten.

Nun bemühen sich aber immer mehr Ortschaften darum, Friedhöfe nicht nur als letzte Ruhestätte für die Toten zu gestalten, sondern auch einen (Wohlfühl-)Ort der Begegnung – mit anderen Trauernden – zu schaffen. Ein lokales Beispiel hierfür ist der Waldfriedhof in Füssen, in welchem seit April dieses Jahres dank eines Spenders zehn neue Sitzbänke angeschafft werden konnten, um den Trauernden Gelegenheit zum Verweilen anbieten zu können.

„Die Parkbänke wurden von den Hinterbliebenen mit viel Freude und Interesse angenommen. Schon gleich am Tag des Aufstellens konnten einige Friedhofsbesucher gesehen werden, die die Bänke beansprucht und sich gesetzt haben“, erzählt Magnus Böck, der sich gemeinsam mit seinem Kollegen Martin Leitner um die Friedhofspflege kümmert.

Ob sich daraus in den nächsten Jahren noch eine Weiterentwicklung, wie in anderen großen Städten ergeben wird, zeigt die Zeit. Städte wie München bieten sogar eine Art Kaffeeklatsch direkt auf dem Friedhof an. Friedhofscafés sowie Pop-up-Cafés auf dem Friedhof in Bayern werden immer beliebter und sind inzwischen an mehreren Orten zu finden, wie z.B. in Regensburg, beim Radt’schmobil in Herzogenaurach, beim „Plaudertäschen“ in Augsburg oder beim „großen Ohr“ in Aschaffenburg.

Der Verein Hospiz Südliches Ostallgäu hat kürzlich ebenfalls eine größere, halbrunde Bank aufgestellt. Die Friedhofsverwaltung könnte in naher Zukunft auch einen Raum zur Verfügung stellen, welcher aktuell leer steht, um bei Interesse dort Kaffee o. ä. anzubieten. Auch in Steingaden gibt es neben dem Welfenmünster einen Garten, der vor einigen Jahren in einen immer geöffneten Lehr- und Meditationsgarten umgestaltet wurde.

Hier gibt es neben einladenden Bänken auch Tische mit Stühlen, um sich setzen und austauschen zu können. All diese Novellierungen werden von den Trauernden mit großer Freude in Anspruch genommen und geschätzt. Dennoch ist es nicht so, dass das Konzept in der Gänze neu ist. So erklärt Alexandra Doser, Pfarrsekretärin in Rieden am Forggensee, dass Friedhöfe im Grunde genommen schon immer Orte der Begegnung waren. Hier sind sich die Hinterbliebenen zwangsläufig über den Weg gelaufen und es hat sich schon manch gutes Gespräch oder auch eine Freundschaft entwickelt. 

Für die Trauernden ist es eine enorme Hilfe, sich mit Menschen austauschen zu können, welche das gleiche Schicksal ereilt hat. Doch nicht nur die Art des Zusammenkommens auf den Friedhöfen hat sich geändert. Auch die Bestattungsformen haben sich gewandelt und werden an die Bedürfnisse der Hinterbliebenen angepasst.

So nimmt das klassische Erdgrab immer mehr an Beliebtheit ab und die Nachfrage an Urnengräbern zu. „Drei Viertel der Bestattungen in Füssen sind Urnenbestattungen, wobei diese Form der Bestattung keine Erfindung der Neuzeit ist, sondern schon vor 6000 Jahren im Europäischen Raum zelebriert wurde“, weiß Magnus Böck zu berichten. 

Auf dem Waldfriedhof in Füssen, der im September 2029 sein 100-jähriges Bestehen feiern kann, wurden zudem neue Baumgräber geschaffen. Sie waren in kurzer Zeit „ausverkauft“. Aktuell können keine Baumgräber angeboten werden, doch das sei ein temporäres Problem, heißt es seitens der Stadt. In Planung ist auch eine Waldbestattung. Hierfür wurde extra ein Areal mit Bäumen ausgesucht, in welchem schlussendlich keine direkte Grabstelle zu sehen sein wird. Vielmehr werden hier die Urnen der Verstorbenen in den Boden eingelassen, wahlweise anonym oder mit der Auflistung des Namens an einer Steintafel an der Friedhofsmauer direkt hinter den Baumgräbern.

Anonyme Gräber gewinnen derzeit an Beliebtheit. Ebenso liegen Bestattungsformen, bei welchen die Gräberpflege minimal ist, im Trend. Dies ist oft der Tatsache geschuldet, dass die Hinterbliebenen mitunter sehr weit entfernt wohnen und eine intensive Grabpflege oftmals gar nicht umsetzbar ist. 

Die neueste Form der Bestattung auf dem Füssener Waldfriedhof sind Stelengräber. Das sind im Grunde genommen ganz normale Urnengräber, bei welchen die Urne im Erdreich vor der Stele vergraben wird. Die Stele dient lediglich als eine Art Grabstein, wobei das Material von Stein über Holz bis Metall alles sein kann. Dort können bis zu vier Urnen Platz finden. Auch dies ist eine Bestattungsform, die nicht pflegeintensiv ist, denn den Boden vor der Stele lässt man wieder mit Gras zuwachsen.

Die Mitarbeiter des Füssener Waldfriedhofs sind insgesamt sehr an Nachhaltigkeit interessiert, bringen sich mit Ideen ein und können diese auch teilweise selbst umsetzen. Wie Beispielsweise das neue Urnenhochgrab, welches die beiden selbst gemauert haben. Martin Leitner erzählt, nicht ohne Stolz, dass das Steinmaterial, welches verwendet wurde, alte Randsteine von Gehwegen sind. Vier Familien können dort ihre letzte Ruhestätte finden und es sind noch andere Formen und Größen an Urnenhochgräbern geplant.

„Diese sind sehr zu empfehlen für ältere Menschen, die sich nicht mehr so gut bücken können“, so der gelernte Schreiner Magnus Böck. Das Urnenfeld kann mit Erde ausgeschmückt und mit Blumen angepflanzt werden, oder mit Steinen, Rindenmulch oder einer Steinplatte verziert werden. Dieses Jahr wurde eine große Wiesenfläche als Wildblumenwiese stehengelassen. Was manch einen Friedhofsbesucher vielleicht etwas irritiert hat, war für Bienen und andere Insekten ein wahrer Segen. Sogar das rote Waldvöglein, eine seltene Orchideenart und Blume des Jahres 1982 hat dadurch Platz zum Wachsen und Gedeihen gefunden. 

Friedhöfe werden weiterhin Begegnugsstätten und Erinnerungsorte bleiben, ja, sie sind sogar ein Kulturgut aus dem die Geschichte einer Stadt oder eines Dorfes zu lesen ist. 

Text: Tanja Kunz · Foto: Sabina Riegger

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