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„In der Tourismus-Entwicklung hat sich viel getan“

Im Gespräch mit Füssens Tourismuschef Stefan Fredlmeier

Seit 15 Jahren ist Stefan Fredlmeier Tourismuschef in Füssen. Füssen aktuell sprach mit dem 59-jährigen Touristiker  über die Veränderung des Tourismus, Prioritäten und nicht zuletzt auch über die  heutigen Herausforderungen im Tourismus. 

Nach 100 Tagen im Amt sagten sie, dass FTM „nicht als Instrumentarium für die Lösung aller Aufgaben“ herangezogen werden könne. Wie haben sich die Aufgaben in den vergangenen 15 Jahren entwickelt? Was sind heute die Kernaufgaben von FTM?

Fredlmeier: Nach inzwischen rund 5.500 Tagen im Amt bin noch immer dieser Meinung. Zum einen gibt es mit dem Kommunalen Abgabengesetz und auch der einen oder anderen Auslegung durch das Finanzamt recht klare Vorgaben, was wir als Tourismusunternehmen dürfen und was nicht. Zum anderen finanzieren wir uns nur aus zweckgebundenen Tourismusabgaben, dem Kurbeitrag der Übernachtungsgäste und dem Fremdenverkehrsbeitrag des Übernachtungsgewerbes, so dass sich der Fokus unseres Denkens und Handelns automatisch ergibt: Das, was touristisch relevant, abgabenrechtlich vertretbar und auch steuerrechtlich begründbar ist.

Dazu, was Tourismusentwicklung bedeutet, hat sich in den letzten 15 Jahren allerdings viel getan: Ging es einst noch fast ausschließlich um die quantitative und qualitative Stärkung des Tourismus und damit die Wertschöpfung zu Gunsten der Stadt Füssen, so stellen wir uns heute der Frage: Wie sichern wir die Wertschöpfung und die Lebensqualität aus einem qualitativ möglichst hochwertigen Tourismus für alle Bürgerinnen und Bürger bei gleichzeitiger Verringerung der nachteiligen Folgen für die Stadt als Lebensraum?

Besuchermanagement, Mobilitätswende und Tourismusakzeptanz sind also ebenso wichtig wie Marketing, Angebotsentwicklung oder digitale Buchbarkeit. Nicht alles haben wir selbst in der Hand, wir können auch nicht zaubern. Den wünschenswerten Innenstadttunnel kann FTM leider nicht bauen, wir können keinen Wohnraum schaffen, keine Preise im Alltagsleben senken. 

Würden Sie sagen, dass es Ihnen gelungen ist, die Balance zwischen Hoteliers, Einzelhandel und Verwaltung in Füssen zu halten oder gar zu festigen?

Fredlmeier: Nach meiner Einschätzung sind wir noch lange nicht am Ziel, da gewisse Aufgaben wie Stadtentwicklung, Stadtmarketing oder Wirtschaftsförderung in Füssen aufgrund der aktuellen Situation personell unterbesetzt und dadurch unterversorgt sind. Aber wir spüren, dass die Diskussionskultur weniger konfliktbeladen und deutlich konstruktiver geworden ist. 

Die Zusammenarbeit hat sich dadurch deutlich verbessert und ist ergebnisreicher. Die Gemeinsamkeiten in den Zielsetzungen sind deutlicher.

Die Stadt Füssen ist in einer desolaten wirtschaftlichen Lage. Wie wirkt sich das auf den Tourismus bzw. auf Ihre touristische Arbeit aus?

Fredlmeier: Das Stabilisierungsprogramm des Freistaats Bayern ist für die Stadt Füssen ein Segen im Hinblick auf den Schuldenabbau. Gleichzeitig legt es der Stadt Fesseln an, was sogenannte freiwillige Leistungen betrifft, also alles, was nicht unbedingt zum Pflichtenkatalog einer Kommune gehört. Vereinfacht gesagt: „Freiwillig“ ist alles, was schön ist und Spaß macht, also z.B. Stadtverschönerung, Veranstaltungen, Freizeitanlagen.

Dies wirkt sich automatisch auf den öffentlichen Raum und auf das öffentliche Leben aus. Grundsätzlich richten sich diesbezügliche Angebote erst einmal an die Einheimischen, und die Gäste profitieren davon. Der aus dem Tourismus resultierende Mehraufwand wird über touristische Gelder finanziert. In der aktuellen Situation steigt der touristische finanzielle Beitrag für diese Angebote deutlich, da wir es uns als Tourismusstadt nicht leisten können, dass eben diese Angebote reduziert werden oder wegfallen.

Dies geht inzwischen so weit, dass Projekte komplett aus touristischen Geldern finanziert werden, aber nun die Einheimischen profitieren, weil es die Angebote sonst nicht mehr gäbe. Vieles lässt sich touristisch begründen, aber natürlich nicht alles aus Tourismusgeldern finanzieren. Aktuell gibt es viele Gespräche zur Aufgaben- und Finanzierungsaufteilung. Fakt ist: FTM muss und wird noch mehr in die Verantwortung gehen, damit das Stadtbild und die Infrastruktur nicht leiden.

FTM finanziert sich unter anderem durch die Kurtaxe, die man als Tourismussteuer verstehen kann. Damit wird in die touristische Infrastruktur investiert, die auch den Einheimischen zugute kommt. In Oberjoch beträgt die Taxe 3,80 Euro und in Füssen 2,50 Euro.  Ist es noch möglich, mit 2,50 Euro zu arbeiten? 

Fredlmeier: Nein, mit Blick auf die zunehmenden Aufgaben vor allem in den Bereichen Mobilität, Infrastruktur und Besuchermanagement reichen die aktuellen Gelder nicht aus. Daher werden wir mit Wirkung ab 1.12.2024 den Regelkurbeitrag auf 3 Euro erhöhen. Die Gastgeber*innen sind darüber informiert, die Änderungen der Kurbeitragssatzung werden am 24. September öffentlich beraten und beschlossen, und dann geht es an die Kommunikation gegenüber dem Gast.

Wichtig: Touristische Beiträge dürfen nur zweckgebunden und damit für den Tourismus eingesetzt werden. Dies unterscheidet einen Kur- oder Fremdenverkehrsbeitrag von einer Tourismussteuer, die ohne touristische Zweckbindung im städtischen Haushalt landet.

In den vergangenen Jahren wurde der Ruf nach „Qualitätstourismus“ lauter. Also, nach einem umwelt- und sozialverträglichen Tourismus. Wie kann das in Füssen Ihrer Meinung nach realisiert werden?

Fredlmeier: Ich glaube, dass wir hier mit vielen Partner*innen enorm vorangekommen sind: vom Boutiquehotel und Schlafgastgeber in Weißensee über echte und exzellente regionale Küche in Hopfen am See bis hin zu der liebevoll neu eingerichteten Kaffeerösterei oder der neuen Bar in der Altstadt, nicht zuletzt der Aufwertung der Bäder und Badeseen in Bad Faulenbach. Ehrlicherweise muss man aber sagen: Das Qualitätsverständnis in Füssen ist so uneinheitlich, wie es überall dort ist, wo herausragende Attraktionen viele Sightseeing-Gäste anziehen.

Es gibt zu viele Akteur*innen, denen es weniger um Qualität und Service für den Gast geht als darum, auf bequeme Art Geld zu verdienen. Dann entsteht ein 08/15-Imbiss dort, wo ein Angebot an vegetarischen und veganen Speisen netter und eine viel bessere Abrundung des Angebotes wäre. Bisweilen kann die Stadt über Bebauungspläne Einfluss nehmen, die erste Entscheidung treffen aber in der Regel die Eigentümer*innen mit der Auswahl, an wen sie vermieten oder verpachten.

Dementsprechend unterschiedlich ist auch die Widmung, was ökologische oder soziale Nachhaltigkeit betrifft. Leider! Für alles, was wir heute versäumen, erhalten wir später die Rechnung: mit Blick auf die Entwicklung von Umwelt und Klima, in Bezug auf die Attraktivität für Fachkräfte oder auch hinsichtlich der Tourismusakzeptanz der Einheimischen. Alle – ob Institutionen oder Privatmenschen – sind aufgefordert, ihre Beiträge zur Erfüllung des Generationenvertrags auf den Prüfstand zu stellen!

Das Klima verändert sich. In den vergangenen Jahren hatten wir vermehrt mit extremen Wetterereignissen zu tun. Der Landkreis erarbeitete ein Klimaanpassungskonzept aus. Betrifft das auch Ihre Arbeit bei FTM?

Fredlmeier: Definitiv! FTM ist Markenpartner Allgäu, gemeinwohlzertifiziert und Bündnispartner CO2-neutrales Allgäu. Schon lange haben wir im Unternehmen Nachhaltigkeit als Wert und Handlungsprinzip fest verankert. Dementsprechend wichtig ist es uns, gerade im Bereich der von uns umgesetzten oder betreuten Infrastrukturbausteine Klimaanpassung mitzudenken.

Muss wirklich Trinkwasser in Brunnen oder Kneippbecken verbraucht werden? Woher kommt der Strom für Ladestationen? Ist das Pflaster an touristisch geprägten Plätzen versickerungsfähig? Sind Pausen- und Rastplätze beschattet? Aktuell arbeitet FTM gemeinsam mit dem Bauamt der Stadt Füssen und den Stadtwerken an der Konzeption von Projekten, mit denen wir Klimaanpassung zunächst auf touristisch relevanter Ebene in Füssen starten wollen, da auch die Finanzierung bei FTM liegen wird.

Dies kann unsere Stadt sehr aufwerten für alle Menschen, die hier leben oder die Stadt besuchen. Im Idealfall gelingt es uns, gemeinsam mit der Stadtgemeinde Reutte ein grenzüberschreitendes Projekt aufzusetzen. Die Aufgabenstellung ist komplex, die Zeit und auch die Fördergelder sind knapp. Unabhängig davon steht die Klimaanpassung im Pflichtenheft jeder Kommune. Der Landkreis Ostallgäu hat für die Kommunen im Ostallgäu diesbezüglich mit dem Klimaanpassungskonzept eine gute Orientierung geschaffen.

Die Gäste reisen teilweise bereits vollumfassend informiert an, wissen genau, was sie wollen und von ihrem Urlaub erwarten. Die Basisinformationen holen sich die Gäste somit dank der Digitalisierung anderswo und größtenteils nicht mehr von den Tourist Informationen. Wie sieht die Zukunft der Tourist Informationen aus? Werden Sie noch in jedem Ort gebraucht?

Fredlmeier: Darüber, dass die Digitalisierung immer weiter fortschreitet, wird es keine zwei Meinungen geben. Uns fordert dies bei der Schaffung digitaler Infrastruktur, digitaler Services und Plattformen, aber auch massiv beim Datenmanagement, d.h. der Bereitstellung und steten Aktualisierung relevanter Daten für alle Anbieter*innen, die Füssen auf ihren Plattformen präsentieren.

Zwar haben wir unser Unternehmen personell so aufgestockt, dass wir diese Herausforderung mit eigenen Kräften meistern können. Nichtsdestoweniger müssen zwangsläufig an dem einen Ende Aufgaben wegfallen oder reduziert werden, wenn am anderen Ende Aufgaben hinzukommen. Die Services in Weißensee und Hopfen am See haben wir dementsprechend bereits reduziert, parallel massiv in digitale Selbstbedienung investiert, die auch außerhalb der Öffnungszeiten einer Tourist Information funktioniert.

Tourist Informationen verändern sich: Sie gehen stärker hin zur Selbstbedienung und zu sogenannten Markenkontaktpunkten, die die Stärken und Werte der Region oder des Ortes zeigen. In der zweiten Ausbaustufe werden wir diese Themen in der Tourist Information in Füssen umsetzen, zunächst aber einen barrierefreien Zugang anbauen – als Projekt sozialer Nachhaltigkeit und Verantwortung.

Wenn Sie auf die vergangenen 15 Jahre zurückblicken: Was ist Ihnen gelungen, was würden Sie als Fortschritte oder Erfolge verzeichnen?

Fredlmeier: Als ich das Unternehmen 2009 übernahm, nannte es sich zwar Kommunalunternehmen, war aber immer noch geführt wie ein Amt einer Stadtverwaltung. Die Akzeptanz seitens der Tourismuswirtschaft war begrenzt. Eine echte Angebotsentwicklung fand nicht statt. Die Vernetzung mit anderen Tourismusakteuren war rudimentär. In der Zwischenzeit ist das Unternehmen organisatorisch wie haushalterisch grundsaniert und kaufmännisch sehr stabil.

Als Ort sind wir der vermutlich engagierteste Allgäu-Markenpartner, Füssen ist sichtbar bei den wichtigsten touristischen Straßen, Radfernwegen und Fernwanderwegen zwischen Bodensee und Zugspitze. Das Marketing und die Angebotsentwicklung sind strategisch verankert, und wir übernehmen unseren Teil der Verantwortung für eine nachhaltige und gemeinwohlorientierte Stadtentwicklung. Besonders stolz bin ich auf ein Team, das zu jedem Zeitpunkt wertegebunden, professionell, loyal, agil, wertschätzend und ungemein sympathisch ist.

Mein Augenmerk gilt allerdings Zielen, bei denen ich – zum Teil immer noch – Handlungsbedarf sehe: ein einheitliches und ambitioniertes Qualitätsverständnis, mehr Gemeinsamkeit und Vernetzung und weniger Einzelkämpfertum, eine wieder steigende Tourismusakzeptanz und weniger Polarisierung á la „Einheimische vs. Tourismus“, nicht zuletzt ein Zielfoto für eine strategische, konsequent nachhaltige Stadtentwicklung. Ach ja: Weniger „ja, aber…“ in den Gesprächen wäre auch fein!

Das Gespräch führte Sabina Riegger · Fotos: C. Fredlmeier, Hubert Riegger

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