
Brennnessel – Heil- oder Unkraut
Es gibt prinzipiell zwei Arten, einmal die große (Urtica dioica) und die kleine (Urtica urens) als Varianten. Unterscheiden kann man sie sehr gut, die große Brennnessel, wie schon der Name sagt, ist deutlich höher gewachsen, die Blätter sind eher grau-grün und spitz. Die der „kleinen“ Form sind eher rundlich und, im Unterschied, kleiner, nur grün, etwas zarter.
Also, ich persönlich würde diese sowohl als auch verwenden, bei mir wächst die große Form, mein Favorit ist ein wahrer Genuss, der „Brennnessel – Spinat“, der genau wie der „normale“ Spinat in vielen Gerichten eingesetzt werden kann, wunderbar würzig schmeckt und absolut nicht zu den Unkräutern gehört!
Die Volksnamen sind wirklich sehr vielfältig und beziehen sich zum Teil auf beide Arten: Senn-Nessel, Söuw-Nessel (das ist Schweizerisch und bedeutet so viel wie Schweinefutter), Tiere mögen es allgemein gerne in der Silage und es soll wohl den Hühnern das Eierlegen erleichtern und anregen, dann auch Dunnernettel (angeblich wird das Bier bei Gewitter sauer, wenn man nicht zuvor eine Nessel in den Bottich gibt), Haarnessel oder Krauskopf, wegen der regenerierenden Wirkung eines Brennnesseltees bei Haarausfall.
Letzteres hat bereits Pfarrer Kneipp als alkoholische Tinktur bei vielen Beschwerden der Kopfhaut empfohlen. Man kann wirklich sagen, dass diese Pflanze genau wegen ihrer „brennenden“ Eigenschaften schon lange die Aufmerksamkeit der Menschen erregt hat. So ist sie mindestens seit der Antike als Heil- und Zauberpflanze bekannt und in so gut wie allen traditionellen Kräuterbüchern beschrieben.
Der Begriff „Nessel“ ist wirklich schon sehr alt und lässt sich in mehreren westgermanischen Sprachen nachweisen. Wahrscheinlich besteht ein Zusammenhang mit dem Wort „Netz“, da die Menschen schon früh aus den Nesseln Gewebe, die feinen Nessel-Stoffe herstellten. Allerdings war das sicher nicht so ganz angenehm, wie es in Märchen u.a. von den Gebrüdern Grimm beschrieben wird, bei denen eine Königstochter ihre, von einer bösen Hexe in Schwäne verzauberten Brüder nur erlösen kann, wenn sie ihnen von ihr selbst handgewebte Nesselhemden überwirft. Stelle ich mir schon schmerzhaft vor!
Wie gesagt, beide Arten sind weltweit verbreitet und ich bin mir relativ sicher, inzwischen gibt es garantiert auch Mischformen. Die Bezeichung „Urtica“ beziehungsweise „urens“ ist vom lateinischen urere = brennen abgeleitet. Schon der Römer Plinius schrieb: „Merkwürdig ist, dass ohne irgendeinen Stachel die Wolle der Nessel selbst Schaden bringt und dass durch eine noch so leichte Berührung Jucken und alsbald einem Brandmale ähnliche Blasen entstehen.“
Der griechische Arzt Dioskurides aus dem 1. Jahrhundert empfahl die Brennnessel wirklich gegen sehr viele Beschwerden: Geschwüre, brandige Wunden, Furunkel, Verrenkungen, geschwollene Drüsen, Nasenbluten, Lungenentzündung, Asthma und Hundebiss. Weiterhin schrieb er, die Brennnessel wirke menstruationsfördernd und harntreibend. Der als Letztes genannten Wirkung würde ich auf jeden Fall zustimmen. Allerdings, wie man es früher gemacht hat, Männern mit Harnverhalt oder auch bei Rheuma den bloßen Hintern mit diesen Zweigen auszupeitschen, grenzt ja fast schon an Körperverletzung!
Der bekannte Kräuterbuch-Autor und Arzt Leonhard Fuchs aus dem 16. Jahrhundert besprach außer der uns schon bekannten Anwendung bei Haarausfall auch die Anwendung bei der damals sogenannten „Podagra“, bei uns heute Gicht genannt, am besten als Auflage. „Und allerley weetagen der Glieder“, so der Original-Text. Aber auch als Diagnostikum setzten die Heilkundigen die Brennnessel gerne ein. Dazu legten sie sie in den aktuellen Harn des Patienten.
Blieb diese Tag und Nacht grün, so war mit der baldigen Genesung des Kranken zu rechnen, schrumpfte sie aber zusammen, so gab es keine Hoffnung mehr… Gruselig… Ja, ich gebe zu, diesmal bin ich relativ viel in die Geschichte eingetaucht, aber trotzdem ist es doch echt interessant, wie lange sich die Kräuterheilkunde schon entwickelt hat und doch heute noch hochaktuell ist.
Beginnend mit meiner sehr verehrten Heiligen Hildegard von Bingen möchte ich gerne zitieren: „Auf keinen Fall taugt die Brennnessel roh gegessen. Wenn sie aber frisch aus der Erde sprießt, ist sie gekocht zu Speisen nützlich, weil sie den Magen/Darm reinigt und ihm den Schleim nimmt. Jede Art von Brennnessel macht das“.
Also, was bedeutet das in unsere Zeit übersetzt: Hilfe bei Magenschleimhautentzündung, sprich Gastritis, und generell als Blutreinigungskur, speziell gerade im Frühling. Und dann beschreibt sie als Einzige etwas sehr Besonderes, das gerade in unserer Zeit leider sehr zum Problem geworden ist, ich nenne es mal „Demenz“: „Wenn ein Mensch gegen seinen Willen vergesslich ist, der nehme Brennnesseln und zerstoße sie bis zum Saftigwerden und setze dem eine mäßige Menge Olivenöl zu, und wenn er schlafen geht, soll er damit erst die Brust und dann beide Schläfen einsalben. Er soll das oft machen, und die Vergesslichkeit nimmt in ihm ab.“
Dieses „Gedächtnis-Öl“ gibt es als Fertigprodukt, man kann es aber durchaus auch selbst herstellen: 8 Gramm zerstoßene frische Brennnessel als Saft gemischt mit ca. 20ml Olivenöl.
Was aber Hildegard ausdrücklich betont, dass dieses Mittel nur dann wirken kann, wenn man sich selbst seiner Vergesslichkeit noch bewusst ist, also, wenn so manche Dinge einfach geistig nicht mehr so gut greifbar sind. Eine spätere Nutzung würde wohl angeblich nichts mehr bringen, einen Versuch würde ich nach meinem Empfinden trotzdem wagen. Die Anwendung über mindestens 1-2 Monate wäre super, sehr gut in Kombination mit gekochten Edelkastanien/Maroni, da diese nachweislich auch das Gehirn stärken. Sie schmecken super und sind sogar für Diabetiker prima geeignet.
Wenn man etwas Gutes für Gehirn und Nerven tun möchte, dann wäre eine Ernährung mit viel Dinkel, Fenchel, süßen Mandeln, dem Gewürz Bertram, eben den Edelkastanien und Kopfsalat, am besten aus dem eigenen Garten, eine super Vorbeugung. Also zeitig anfangen!
Was Sie durchaus auch interessieren könnte, ist eine Teemischung bei Neurodermitis, an der doch leider viele Menschen zu leiden haben:
Zu gleichen Teilen:
- Brennnesselblätter (Folia Urticae)
- Erdrauchkraut (Herba Fumariae)
- Gänseblümchen (Flores Bellidis)
- Stiefmütterchen (Herba Violae)
- Walnussblätter (Folia Juglangis)
Je nach Alter eine Prise bis 2 TL der Mischung pro Tasse heiß überbrühen, etwa 10 Minuten ziehen lassen und absieben. 2-4 Tassen täglich vor oder zwischen den Mahlzeiten trinken. Ergänzen könnte man diese Rezeptur natürlich noch durch entsprechende homöopathische Globuli, die ebenfalls Brennnessel enthalten und auch passende äußerliche Mittel, die das Ganze abrunden. Um mit den Worten des Schweizer Kräuterpfarrers Johann Künzle in etwas altertümlicher Sprache zu schließen:
„Hätte die Brennnessel keine Stacheln,
wäre sie schon längst ausgerottet worden,
so vielseitig sind ihre Tugenden!“
Er meinte sicher, dass die guten Wirkungen das leichte Stechen beim Pflücken deutlich überwiegen!
Also, Handschuhe an und ernten!
Ihre Apothekerin Simone Wagner



