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Corona und Tourismus

Ein schlechter Winterschlaf

Im Gespräch mit Füssens Tourismusdirektor Stefan Fredlmeier

Der Tourismus ist in Füssen einer der stärksten Wirtschaftszweige. Jeder vierte Arbeitsplatz hängt mit der Tourismusbranche zusammen. Ohne Tourismus ist es in Füssen sehr still geworden. Ein unfreiwilliger Winterschlaf. Wie das Aufwachen sein wird, weiß niemand.

Füssen steht still und der Wirtschaftszweig Tourismus auch. Eine Katastrophe für die Stadt Füssen, aber auch für die vielen Hotel- und Gastronomiebetriebe. Lässt sich das Volumen der täglichen Umsatzverluste in Ihrer Branche beziffern?
Eine Hochrechnung täglicher Umsatzverluste ist wenig zielführend, da der Tagesumsatz je nach Wochentag und Saison- bzw. Ferienzeit stark differiert. Sicher wird es solche Berechnungen geben, wenn die Phase der Corona-bedingten Umsatzausfälle zeitlich klar erfassbar ist. Dies wird aber erst in der Rückschau und nicht in der Vorausschau möglich sein. Der Füssener Bruttoumsatz aus dem Tourismus wird pro Jahr auf 209 Mio. Euro umgerechnet. Ein Dividieren durch 365 wäre aber auch nur eine sehr grobe Annäherung. Die Umsatzzahlen der einzelnen Betriebe z.B. aus dem Vergleichszeitraum 2019 werden uns nicht zur Verfügung gestellt, daher können wir auch den entfallenden Umsatz nicht exakt berechnen.

Viele Unternehmer sind verzweifelt. Mit Kurzarbeitergeld haben nahezu alle Betriebe keine Erfahrung. Welche Unterstützung bietet Füssen Tourismus und Marketing bei administrativen Aufgaben an?
Wir informieren unsere Partner per FTM-News sowohl der Situation entsprechend häufig als auch ausführlich über die aktuelle Situation und die diversen Hilfsangebote. Da es noch keine wirklich gut durchorganisierte Informationskette von der Freistaat-Ebene bis hinunter in die einzelnen Betriebe gibt, ist das Zusammenstellen der Informationen recht mühsam. Wir tun hier unser Bestes. Die finale Unterstützung z.B. hinsichtlich Kurzarbeit, finanzieller Unterstützung, Krediten etc. müssen wir den kompetenten Fachbehörden wie der Agentur für Arbeit überlassen. Auf allen Ebenen bemüht man sich um schnelle und unbürokratische Unterstützung. Freilich sind die Stellen, auf die es aktuell ankommt, extrem belastet.

Im Einzelhandel und anderen Branchen gibt es den sogenannten Nachholeffekt. Dass heißt, im besten Falle holen die Verbraucher ihre Konsumbedürfnisse wieder nach. Wie sieht das in der Hotelbranche aus?
Grundsätzlich ist solch ein Nachholeffekt denkbar, aber er hängt natürlich sehr elementar davon ab, wie lange sich die jetzige „Lockdown-Phase“ noch zieht. Je länger sie ausfällt, desto stärker wird sie in negativer Weise auf die Konsumbereitschaft und damit auch auf die Reisebereitschaft wirken. Zudem sind die massiven Auswirkungen auf die Wirtschaft und damit den Arbeitsmarkt zu berücksichtigen: Wieviel Urlaubsbudget steht noch zur Verfügung, wenn ein zunehmender Teil der Bevölkerung z.B. von Kurzarbeit betroffen ist? Der Konsum in der Gegenwart hängt maßgeblich von der Einschätzung ab, wie gut es dem Verbraucher nach eigener Einschätzung in der Zukunft gehen dürfte. Ein langer Lockdown wird die Konsumbereitschaft – auch bei Freizeit und Urlaub – senken und das Sicherheitsbedürfnis steigern.

Der Einzelhandel und die Gastronomie werben mit Gutscheinen, die man jetzt kaufen und nach der Corona-Krise einlösen kann. Das scheint gut zu funktionieren. Gibt es ähnliche Unterstützungsmaßnahmen für die Übernachtungsbetriebe?
Es handelt sich hierbei nach meinen Kenntnissen weniger um zentral organisierte Unterstützungsmaßnahmen, sondern um Aktivitäten, die die einzelnen Unternehmer starten, um nicht komplett ohne Umsatz dazustehen. Der Erfolg gibt diesen Unternehmern Recht. Im Übernachtungsbereich kann man dies am ehesten bei Stornierungen versuchen. Neubuchungen wird man darüber eher nicht gewinnen können, da aktuell kaum Jemand bereit ist, überhaupt einen Urlaub zu buchen, wenn er nicht weiß, wann er wieder wohin reisen darf. Reiseveranstalter versuchen, sich mit sehr flexiblen Stornierungsbedingungen der Situation zu nähern. Der Erfolg bleibt abzuwarten.

Was muss passieren, dass nach der Corona-Krise der Tourismus in Füssen wieder anläuft?
Zum einen muss das Reisen überhaupt erst wieder ermöglicht werden, zum anderen müssen dann seitens der Bevölkerung eine solide Reisebereitschaft und auch noch ein Urlaubsbudget vorhanden sein. Die Rahmenbedingungen für das Reisen können wir – d.h. die Tourismusbranche – aktuell so gut wie nicht beeinflussen. Die Aspekte des Schutzes der Volksgesundheit und das Verhüten der Überlastung des Gesundheitssystems haben Priorität.

Ob Volkswirtschaftler, Soziologe, Politiker oder Psychologe, alle sprechen über die Zeit nach Corona, die uns, aber auch die Wirtschaft sehr verändern wird. Können Sie eine Prognose stellen, wie sich der Tourismus in Füssen beziehungsweise in unserer Region verändern kann oder verändern wird?
Wie sich die nahe und ferne Zukunft für den Tourismus verändert, hängt maßgeblich von der Beantwortung der folgenden Fragen ab:

  1. Wann darf ich wieder reisen?
  2. Wohin darf ich reisen?
  3. Wohin kann ich mit einem Gefühl der Sicherheit reisen?
  4. Wieviel Geld steht mir (noch) für Reisen zur Verfügung?

Über die Zeit nach Corona zu sprechen, bedeutet auch, darüber zu spekulieren, ob es eine neuerliche Zeit vor Corona gibt und wie wir mit einer eventuellen zweiten Corona-Welle umgehen bzw. wie wir dann darauf vorbereitet sein werden. Gleichzeitig machen sich viele Zukunftsforscher intensive Gedanken, inwiefern sich durch Corona auch langfristige Verhaltensänderungen oder auch Änderungen der Wertewelt ergeben könnten. Richtig greifbar ist für mich unter der Voraussetzung, dass wir in absehbarer Zukunft zu einer Normalisierung des öffentlichen Lebens zurückkehren können, das folgende Szenario: Der Fernreisesektor wird sich nur sehr schleppend erholen. Neuschwanstein schaut man sich gerne an, aber bitte dann, wenn Fernreisen auch wieder sicher erscheinen. Urlauber aus Märkten wie BeNeLux, Schweiz oder Deutschland werden verstärkt dorthin reisen, wo die Entfernung eine schnelle Rückreise ermöglicht bzw. man das Gefühl hat, sich im Falle der Fälle auf ein ausgereiftes Gesundheitssystem verlassen zu können. Insofern wird Füssen sehr deutliche Einbrüche aus den Fernmärkten erleben, von denen wir hoffentlich viel aus Deutschland und dem nahen Ausland kompensieren können. Die Gastgeber sollten dies als Chance sehen, deutsche und nah-europäische Gäste stärker zu binden, denn ganz unabhängig von Corona gilt: Auslandsmärkte sind immer unsicherer als der Heimatmarkt.

Sie sind Vorstand von Füssen Tourismus und Marketing, einem Kommunalunternehmen der Stadt Füssen und mit Rund 30 Mitarbeitern. Wie wirkt sich diese Krise auf Ihr Unternehmen aus?
Die Auswirkungen auf unser Unternehmen sind nicht weniger drastisch als bei den anderen Akteuren im Tourismus. Operativ befinden wir uns in bestimmten Geschäftsbereichen im Ausnahmezustand: Die Tourist-Informationen sind geschlossen; der Service gegenüber dem Gast und den Gastgebern findet nur elektronisch und telefonisch statt und hat oft den Umgang mit der aktuellen Situation zum Inhalt, z.B. Stornierungen; wir bauen Überstunden und Resturlaub ab; und wir erledigen Aufgaben, die im hektischen Normalbetrieb immer wieder aufgeschoben werden, wie das Ausmisten des Lagers und Archivs. Nicht zuletzt stellen wir Personal für die Corona-Hotline der Stadt Füssen. Die Krisenkommunikation für den Gast, den Gastgeber und die Medien ist selbstverständlich von sehr großer Bedeutung. In anderen Bereichen des Unternehmens arbeiten wir wie in „normalen Zeiten“: an der Vorbereitung von Veranstaltungen, der Entwicklung touristischer Angebote und an Marketingmaßnahmen, wobei diese hinsichtlich der zeitlichen Platzierung natürlich auf den Prüfstand gestellt werden. Wirtschaftlich gesehen ist auch für uns die Situation ein Desaster: Unsere Einnahmen belaufen sich auf Null, da Kurbeitrag und Fremdenverkehrsbeitrag als Einnahmequellen eingebrochen sind. Für uns gibt es keine diesbezügliche Ausfallversicherung. Im Gegenzug können wir die Ausgaben nicht im gleichen Umfang reduzieren und legen sehr viel Wert darauf, Rechnungen weiterhin umgehend zu zahlen und auch die Leitprojekte wie den Mitterseepark oder die Digitalisierung ohne Verschiebung zu planen und umzusetzen. Und nicht zuletzt gilt unserem Fachpersonal und dessen wirtschaftlicher Sicherheit meine ganz persönliche Fürsorge. Wir haben im Vergleich zur Privatwirtschaft einen elementaren Vorteil: FTM kann als 100%-ige Tochter der Stadt Füssen nicht in Insolvenz gehen. Eventuell bald die Liquidität über den städtischen Haushalt sichern zu müssen ist indes eine bedrückende Vorstellung, denn Füssen ist bekanntlich haushalterisch nicht auf Rosen gebettet.

Welche Hilfsmaßnahmen wünschen Sie sich vom Landkreis für die Tourismusbranche?
Ich gehe davon aus, dass die meisten Unterstützungsprogramme seitens des Bundes oder des Freistaats Bayern ausgewiesen werden. Der Landkreis wird somit stark gefordert sein, mit seinen Fachbehörden die Tourismusakteure dabei zu begleiten, einen guten und schnellen Zugriff auf diese Programme nehmen zu können. Frau Landrätin ist für uns in jeder Phase eine zentrale Ansprechpartnerin, was die Herausforderungen an der touristischen Basis betreffen.

Was berührt und bewegt Sie in dieser Situation am meisten?
Neben dem Mitgefühl für all die die erkrankten und gestorbenen Menschen weltweit… ist es der Umstand, dass wir viele Jahre hart gearbeitet haben, um den Tourismus in Füssen solide und qualitätsorientiert aufzubauen. Bei aller berechtigten Kritik an einzelnen Aspekten ist er inzwischen ein äußerst stabiler Pfeiler unserer Wirtschaft und Garant für eine hohe Lebensqualität geworden. Von einem Moment auf den anderen wird der Tourismus nun in seinem Fundament erschüttert und zieht damit alle Tourismusakteure hinein in einen extremen und in dieser Form noch nie dagewesenen Abwärtsstrudel. Dies beschäftigt und belastet mich rund um die Uhr.“

Vielen Dank für das Interview.
Vielen Dank für Ihr Interesse. Bleiben Sie gesund!

Text: rie · Foto: Hubert Riegger

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