Das Leben ist Yin und Yang
Sie gehört nicht zu jenen, die Angst vor Veränderungen haben. Im Gegenteil. Veränderungen und Herausforderungen sind so etwas wie das Salz in der Suppe. Gut dosiert ist es ein purer Geschmack. Manche Menschen haben Angst vor Veränderungen, aber auch Angst vor dem, was andere von ihnen denken. Es ist wie ein Korsett, das alles einzwängt, ein Anzug der eng anliegt und den man lieber früher als später gegen etwas Bequemes eintauschen möchte. „Alles hat seine Zeit und das ist gut so,“ meint Anja Bölitz, die sich immer wieder neuen Herausforderungen stellt.
„Das Allgäu hat mich nach Hause geholt“, sagt sie zufrieden. „Hier bin ich herzlich von der Nachbarschaft aufgenommen worden.“ In Berlin war sie Coach, die anderen half, nicht in ein tiefes Loch zu fallen und sich ein „dickes Fell“ anzueignen oder wie man heutzutage sagt, resilienter zu werden. Mittlerweile hat sie den Businessanzug gegen leichte und bunte Kleidung eingetauscht.
„Während der Corona-Pandemie habe ich gemerkt, dass diese Art von Coachen nicht mehr mein Ding ist. Ich wollte zu meinen Herzensmenschen ins Allgäu. In Berlin habe ich gemerkt, irgendwas stimmt und passt nicht mehr. Ich war froh ,wieder hier zu sein, in der Natur.“
In Nesselwang fühlt sich Anja Bölitz wohl. Sie hat Fuß gefasst und sich etwas Neues aufgebaut oder vielmehr ihren Traum Wirklichkeit werden lassen: Ein eigenes Yogastudio. Den Kontakt zu ihrem Vermieter bekam sie von einer Freundin, die sie auf Kreta besuchte. „Sie gab mir eine Telefonnummer und meinte, ich solle da mal anrufen. Wenn der Traum plötzlich vor dir steht, glaube nicht, wie viele Ausreden das Gehirn plötzlich hat, den Traum platzen zu lassen“, sagt sie lachend.
Auf die Frage, ob sie spirituell ist, sagt sie: „Wenn Spiritualität bedeutet, ich selbst zu sein, authentisch, dann bin ich das.“ Für sie ist Spiritualität nicht gleich Religion. Vielmehr sieht sie die eigene Bestimmung darin, zu seinen Ecken und Kanten zu stehen und das zu machen, was einem gut tut. „Verändere das, was Du ändern möchtest, so lange, bis es zu dir passt und wenn es nicht funktioniert, dann suche dir etwas anderes“, so ihre Erfahrung.
Zehn Jahre war Anja Bölitz beim Robinson Club als Animateurin beschäftigt und leitete ein 30-köpfiges Team. „Meine ehemaligen Kollegen und Kolleginnen bezeichneten mich früher als Perfektionistin, die das Ziel hatte, immer schneller, weiter und höher kommen zu wollen.“ Sie erzählt von Menschen, die sich in ihrer Nähe unwohl fühlten, weil sie als Übermensch galt.
„Heute sagen sie: Du bist gelassener und entspannter geworden. Du bist in Dir angekommen.“ Ein schöneres Kompliment gibt es für sie nicht. Denn sie ist da, wo sie sein wollte. Ihr Yogastudio „Auszeit“ ist eine kleine Oase geworden. Es trägt ihre Handschrift, wie sollte es auch anders sein. „Das Studio ist hell und groß und ich fühle mich hier sehr wohl“, sagt sie lächelnd.
Einmal im Jahr fliegt sie auf die Malediven, um Menschen Yoga näher zu bringen, sie dafür zu begeistern, um sich letztendlich selbst etwas Gutes zu tun. Drei bis vier Mal im Jahr ist sie auch in Robinson Clubs auf der ganzen Welt unterwegs. Allerdings ganz anders als früher. „Es ist entspannter und ich freue mich, alte Freunde wiederzutreffen,“ erzählt sie.
Achtsamkeit und Spiritualität sind vielen Menschen abhanden gekommen. Vielleicht ist es die schnelllebige Zeit, die das verursacht, vielleicht aber auch die Unachtsamkeit gegenüber sich selbst. „Es stellt sich immer wieder die Frage: Wie kommst Du klar in einer chaotischen Welt, sich selbst in dem Chaos zu navigieren – damit, dass es normal ist, Schwierigkeiten zu bewältigen? Aus dem Ganzen ist dann mein Flow Yoga Week entstanden“, erzählt sie.
Sich Zeit für sich zu nehmen ist sehr wichtig. „Man braucht einen Rückzugsort“, sagt sie. „Meiner ist die Natur. Für mich ist es dann wie ein Wellnesstag.“ Nicht umsonst hat sie ihr Yoga-Studio auch so genannt. „Man soll sich die Auszeit nehmen, die jeder von uns verdient.“ Anja Bölitz glaubt fest an ihren Traum. So wie es ist, ist es in Ordnung, meint sie. „Klar hat man manchmal zu große Erwartungen. Aber ich habe gelernt, dass das, was ich anbiete, kein Produkt ist, welches man aus dem Regal nimmt. Man muss erst einmal in Kontakt kommen, sich näher kennenlernen, um dann Vertrauen zu fassen.“
Mit Yoga befasst sich Anja Bölitz seit vielen Jahren. Yoga half ihr, sich zu entspannen und neue Kraft zu sammeln. Als Kinderkrankenschwester auf der Intensivstation an der Universitätsklinik in Berlin war sie für viele Eltern ein Ankerpunkt. Sie begleitete unter anderem Kinder auf ihrem letzten Weg, spendete Trost und Licht.
„Die Zeit hat mich sehr geprägt“, erzählt sie. Sie weiß, dass Leben und Tod zusammengehören wie Tag und Nacht, Freude und Leid. „Es ist das Leben,“ sagt sie, „das Yin und Yang.“
In Nesselwang hat sie eine „wunderbare Lebensgemeinschaft, sie ist beeindruckend und einzigartig. Wir würden alle das letzte Hemd füreinander geben. Ich habe hier so einen großen Schatz bekommen, das annehmen zu dürfen ist so schön. Ich fühle mich geborgen“, sagt sie dankbar.
Text · Fotos: Sabina Riegger



